Der chinesische Drache hat viel Geld im Gepäck, das die Aktionäre schwach und Übernahmen einfacher machen. (Bild: Fotolia/toa555)
Nach Kuka-Übernahme

Der Drache ist noch lange nicht satt

Die Chinesen reiben sich die Hände, mit ihrem Geld können sie bald alles regeln: Die Mehrheit am Augsburger Roboterhersteller Kuka ist ihnen nicht mehr zu nehmen. Den Ausverkauf deutschen und europäischen KnowHows ins Reich der Mitte fürchtet derweil auch die Politik immer mehr. Gräbt das Programm „Made in China 2025“ der Deutschen Industrie 4.0 das Wasser ab?

Bei den aufgerufenen Summen wurden auch die größten Kuka-Aktionäre schwach: Die Anteilseigner Voith (25,1 Prozent) und Loh (zehn Prozent) haben vergangene Woche ihre Papiere zu Geld gemacht: Der chinesische Hausgerätehersteller Midea hat zugeschlagen und hält jetzt 48,6 Prozent des renommierten Herstellers, dessen Roboter in etlichen deutschen Unternehmen arbeiten. Bis die Chinesen die absolute Mehrheit der Augsburger halten, dürfte es nicht mehr lange dauern. Schließlich ist das Angebot von 115 Euro pro Anteilsschein auch für Kleinaktionäre mehr als eine Versuchung. Es liegt noch immer knapp acht Euro über dem aktuellen Kurs. Vor einem Jahr kostete die Kuka-Aktie 75 Euro, davor noch weniger. Der Verkauf ist also für viele ein Bombengeschäft. Voith zum Beispiel rechnet mit einem Erlös von satten 1,2 Milliarden Euro. Der Wert der Beteiligung habe sich binnen rund eineinhalb Jahren mehr als verdoppelt, jubiliert das Unternehmen. „Unser Einstieg bei Kuka hat sich strategisch als ein großer Erfolg erwiesen“, freut sich Voith-Chef Hubert Lienhard.

Bedauern über Abgang der Großaktionäre

Die Freude teilen freilich nicht alle mit ihm; nicht nur der Kuka-Betriebsrat hatte sich gewünscht, Voith und Loh würden ihre Anteile behalten. Jetzt greift die Furcht vor der Zukunft mit den Chinesen erst recht um sich. Midea öffnet Kuka zwar das Eingangstor zum Markt nach Ostasien und verspricht den Augsburgern den Erhalt ihrer Eigenständigkeit. Ob das für immer und ewig gilt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Kuka-Geschäft passt in neuen Fünf-Jahres-Plan

Das Kuka-Geschäft passt in den neuen Fünf-Jahres-Plan Chinas, der sich von seinen Vorgängern deutlich unterscheidet. Im Reich der Mitte gilt jetzt Klasse statt Masse. Nicht mehr nur marode oder bereits in die Insolvenz geschlitterte ausländische Firmen werden zum Schnäppchenpreis aufgekauft, das Augenmerk liegt nun auf kerngesunden, profitablen und vor allem innovativen Unternehmen. Dafür sind die Riesen aus Shanghai, Peking oder Guangdong bereit, jeden Preis zu bezahlen, wie das Beispiel Kuka zeigt. Zuletzt zahlten die Chinesen für die Übernahme der Schweizer Syngenta AG sogar 38 Milliarden Euro. Die Schweizer sind vor allem in den Bereichen Pflanzenschutz und Saatgut unterwegs, jetzt gehören sie einem staatlichen Mischkonzern in Peking. Und das aus gutem Grund: Syngenta kann auch Chinas Landwirtschaft mit Dünger und Pflanzenschutzmitteln aufpäppeln. Das stünde ihr gut zu Gesicht: Im Reich der Mitte leben 21 Prozent der Weltbevölkerung, es bietet bislang aber weltweit nur neun Prozent der Anbauflächen. Darum erwerben die Chinesen auch zunehmend Ackerland in Asien, Afrika, Australien und Südamerika.

Zahl der Übernahmen 2015 um zehn Prozent gestiegen

Der Deal mit den Schweizern war der vorläufige Höhepunkt der chinesischen Übernahmeorgie, die immer maßloser wird. Medienberichten zufolge stieg 2015 die Zahl chinesischer Akquisitionen in Europa auf 179 und damit um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zum Vergleich: 2005 griffen die Chinesen europaweit nur 34 Mal zu, 36 Mal taten sie das vergangenes Jahr allein schon in Deutschland.

Krauss-Maffei ist bereits chinesisch

Und 2016 geht die Einkaufstour munter weiter. Das vor allem auch in Bayern: So wurde der Münchner Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei bereits Anfang des Jahres chinesisch (der Bayernkurier berichtete). Für 925 Millionen Euro erwarb ihn der größte chinesische Chemiekonzern ChemChina vom kanadischen Konzern Onex. Die Übernahme-Versprechen lauteten ähnlich wie jetzt bei Kuka: Die Standorte bleiben erhalten, und es sollen sogar mehr Stellen geschaffen werden. Da hatten dann auch die Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften freilich nichts einzuwenden.

In Europa geht es vor allem um Technologie, die Eroberung des europäischen Absatzmarktes und seit rund zwei Jahren den Versuch, die eigenen Geschäftsbereiche durch Akquisition neu aufzustellen.

Yi Sun, Partnerin bei Ernst & Young Deutschland

Was steckt hinter der immer größeren Kauflust Chinas? „In Europa geht es vor allem um Technologie, die Eroberung des europäischen Absatzmarktes und seit rund zwei Jahren den Versuch, die eigenen Geschäftsbereiche durch Akquisition neu aufzustellen“, erklärte Yi Sun, Partnerin bei Ernst & Young Deutschland, jüngst der Wirtschaftswoche. Yi Sun beschäftigt sich demnach seit Jahren mit chinesischen Übernahmen im Ausland. Früher habe China verstärkt in Staaten in Afrika und Südamerika investiert, weiß die Expertin. „Dabei ging es um die Gewinnung von Ressourcen und Infrastruktur.“

Frisst der Drache die deutsche Industrie 4.0?

Die Vorwürfe, die China bei seiner Taktik begleiten, sind mannigfaltig: Viele werfen dem Land Heuschreckenmethoden vor und fürchten ein Ausbluten ganzer Wirtschaftszweige, weil deutsche Unternehmen ihr Tafelsilber verscherbeln und Innovationen künftig im Reich der Mitte entstehen könnten: Der Drache „Made in China 2025“ frisst die deutsche Industrie 4.0. Als warnendes Beispiel heben die Kritiker die Photovoltaikbranche aufs Schild. Mir ihr ging es bekanntlich auch aufgrund der Billigkonkurrenz in China gewaltig den Bach herunter. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums sank die Zahl der Beschäftigten in der Branche zwischen 2012 und 2013 von 100.300 auf 56.000. Den Weltmarkt dominieren heute die Chinesen, daran änderten auch von der EU verhängte Strafzölle nichts.

Chinesen sind keine Restrukturierer, das passt nicht in ihre Kultur.

Kai Lucks, Honorarprofessor für Mergers & Acquisitions

Doch droht dem High-Tech-Standort-Deutschland nun tatsächlich der Ausverkauf? Der Honorarprofessor für Mergers & Acquisitions an der Technischen Hochschule in Ingolstadt, Kai Lucks, sieht es nicht so dramatisch. Er meint, dass chinesische Investoren viel aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und Deutschland „kein Desaster“ drohe. Vor dem aktuellen Fünf-Jahres-Plan hätten die Chinesen ihren Ruf völlig ruiniert, blickt Lucks zurück. „Die Übernahmen waren geprägt von erratischen Strategien, vom Einkauf billiger Unternehmen, oft aus der Insolvenz, vom Eingriff in das Management und vom Abbau deutscher Fertigungen und dem Transfer nach China“, weiß der ehemalige Siemens-Projektleiter. „Es wurde einfach Mode, ein deutsches Unternehmen zu besitzen, das Resultat war fast immer desolat.“ Der Grund liegt auf der Hand: „Chinesen sind keine Restrukturierer, das passt nicht in ihre Kultur.“

Kauf von Betonpumpen-Hersteller als bezeichnendes Beispiel

Der nun gültige 13. Fünfjahres-Plan des Zentralkomitees in Beijing folgt Lucks zufolge einer anderen Strategie. „Nunmehr werden Pläne nicht nur zur Wirtschaftlichkeit verlangt, sondern auch Konzepte zur Führung“, weiß er. Chinesen kaufen demnach nun Unternehmen, die Synergien mit den Mutterunternehmen haben „und mit denen führende Weltmarktpositionen erreicht werden können“. Bezeichnend dafür sei bereits 2012 der Erwerb des Betonpumpen-Herstellers Putzmeister durch die chinesische Sany und des Konkurrenten Schwing durch Xuzhou gewesen, meint der Experte. Damit lag nicht nur der chinesische Weltmarktanteil mit einem Schlag bei 100 Prozent, auch strategisch mache der Kauf Sinn, weil er besonders wichtig für die chinesischen Aktivitäten bei Hochhausprojekten sei. „Bei beiden Deals erwarben die Chinesen die führenden deutschen Technologien.“

Solange der Standort Deutschland vorteilhaft für das Geschäft ist und etwa einen technologischen Vorsprung vor der chinesischen Mutter sicherstellt. Da die Chinesen treue und strategische Investoren sind, kann das lange anhalten.

Lucks zu der Frage, wie lange übernommene deutsche Firmen eigenständig bleiben dürften

Das klingt bedrohlich, ist es möglicherweise aber gar nicht: Wie es für Kuka geplant ist, blieb auch Putzmeister eigenständig. Die chinesische Mutter beschränkt sich nach Angaben des Honorarprofessors auf die Bedienung des chinesischen Markts. „Auch der Cash verbleibt bei Putzmeister.“ Produktion und Entwicklung wurden genauso wie das Management nicht angetastet, man rede ihm nicht hinein. Aber wie lange noch? Lucks: „Solange der Standort Deutschland vorteilhaft für das Geschäft ist und etwa einen technologischen Vorsprung vor der chinesischen Mutter sicherstellt. Da die Chinesen treue und strategische Investoren sind, kann das lange anhalten.“

Das Gefährliche an den Übernahmen

Übernommen wurden in Deutschland zuletzt auch der Gabelstaplerproduzent Kion für 430 Millionen Euro, die Automobilzulieferer Kiekert und Sellner sowie, etwas außerhalb des Gewohnten, das Weingut Diehl-Blees. In der Schweiz haben die Chinesen neben Syngenta auch Swissport, eine Servicegesellschaft für Fluggesellschaften und Flughäfen, und Swissmetal, das auf Spezialprodukte aus Kupfer und Kupferlegierungen spezialisiert ist, gekauft. In Schweden folgte Volvo, in Portugal eine Bank. Auch in den USA kaufte das Reich der Mitte die Handy-Firma Motorola Mobility von Google (allerdings ohne den größten Teil des Patentportfolios), das New Yorker Traditionshotel Waldorf Astoria, das Hollywood-Studio Legendary Entertainment und die Versicherung „Fidelity and Guarantee Life“.

Es sind drei Dinge, die an diesen Übernahmen besonders stören:

  • Zum einen werden die meisten Übernahmen vom chinesischen Staat bezuschusst, teilweise sogar gefordert und über ganz oder teilweise staatliche Unternehmen durchgeführt. Der Staat gewährt auch günstige „Kredite“ für seine staatlichen und privaten Unternehmen. Hier kann von einer fairen Marktwirtschaft keine Rede mehr sein. Im Gegenzug ist der Marktzugang für westliche Unternehmen in China außerdem stark eingeschränkt und oft nur mit chinesischen Partnern erlaubt. Hierbei kam es dann wiederholt zu Industriespionage und ungeniertem Ideenklau.
  • Zum anderen droht trotz aller gegenteiligen Äußerungen der Technologietransfer nach China, das hat sich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt. Auf die Dauer untergräbt das die eigene Konkurrenzfähigkeit und den technologischen Vorsprung, auf den insbesondere das rohstoffarme Deutschland angewiesen ist.
  • Drittens muss in dem kommunistisch-expansionistischen Reich auch die ökonomische Ausdehnung als Teil einer chinesischen Strategie angesehen werden, die auf die Rolle einer Weltmacht abzielt. Die massive Aufrüstung Chinas und die brutal und rechtswidrig durchgesetzten angeblichen Gebietsansprüche im gesamten asiatischen Raum sprechen hier eine deutliche Sprache. China ist mittlerweile mit fast allen Nachbarländern im Streit. Erlangt man außerdem im Westen Schlüsselstellungen, so kann hier schnell der „Hahn“ zugedreht werden, selbst wenn es nur der handelspolitische ist. Auch der Erwerb des Hafens von Piräus in Griechenland könnte ein Teil einer solchen Strategie sein.

EU-Kommissar Oettinger fordert Außenwirtschaftsgesetz

Auf Vertrauen in China allein will man sich in Deutschland und Europa nicht verlassen. So dachte EU-Kommissar Günther Oettinger nach dem Kuka-Deal nun laut über ein mögliches europäisches Außenwirtschaftsgesetz nach. Für „strategisch wichtige Wirtschaftsbereiche“ sei zu prüfen, was national oder auf europäischer Ebene getan werden könne, um Wertschöpfung und Forschung auch künftig in Europa zu halten, sagte der CDU-Politiker den Stuttgarter Nachrichten. Auch Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, argumentierte in diese Richtung: „Die offensichtlich bestehende Gesetzeslücke muss auf nationaler oder europäischer Ebene geschlossen werden.“

(jvr/avd)