Deutschland im Spargel-Hype
Es gibt zwei Dinge, die Deutsche im Ausland für gewöhnlich vermissen: Schwarzbrot und Spargel. Die deutsche Begeisterung für die bleichen Stangen ist allerdings ein Phänomen, denn der Spargel ist in weiten Teilen der Welt kaum verbreitet. Nur bei uns beginnt der Spargel-Hype in diesen Tagen aufs Neue...
Ernährung

Deutschland im Spargel-Hype

Es gibt zwei Dinge, die Deutsche im Ausland für gewöhnlich vermissen: Schwarzbrot und Spargel. Die deutsche Begeisterung für die bleichen Stangen ist allerdings ein Phänomen, denn der Spargel ist in weiten Teilen der Welt kaum verbreitet. Nur bei uns beginnt der Spargel-Hype in diesen Tagen aufs Neue...

Man kann sich dann glücklich schätzen, wenn man nach langem Suchen auf Stadtteilmärkten im fernen Ausland irgendwann einen kleinen Bund grünen Spargels ergattert, oft zu horrenden Preisen. In solchen Momenten plant man den nächsten Heimflug für die Spargelzeit ein. Oder gleich die dauerhafte Rückkehr in die Heimat. Die deutsche Spargel-Begeisterung ist ein Phänomen, jedes Frühjahr beginnt hierzulande der Hype aufs Neue.

Von der Delikatesse zur Stangenware

Jahr für Jahr verzehren die Deutschen größere Mengen der Liliengewächse: 2016 waren es nach Angaben der Marktforscher von Agrarmarkt-Information (AMI) in Bonn 120 000 Tonnen – so viel wie nie zuvor. Die Bundesländer mit der größten Anbaufläche sind Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Das einstige Königsgemüse ist damit zur Stangenware herabgesunken. Einst war es eine an Dekadenz grenzende Spezialität, erschwinglich nur für die Reichen – ein Mehrgänge-Menu begann man seinerzeit gern mit Drossel auf Spargel. Erst in den letzten Jahrzehnten verlor der Spargel vollends den Nimbus der exklusiven Delikatesse.

Seitdem kann man sich nicht mehr durch den Verzehr an sich profilieren, sondern höchstens noch dadurch, wie man das Gemüse verkostet: immer von der Spitze zum Stiel, sagen Ratgeber. Dagegen gilt es heute nicht mehr als barbarisch, beim Spargelessen Besteck zu benutzen. Auch die frühere Methode, mit der Gabel ins dicke Ende der Stange stechen und sie alsdann zum Mund zu balancieren, um im richtigen Moment den Kopf abzubeißen, ist aus der Mode gekommen.

Der Spargel beschäftigt auch die Kunst

Natürlich gibt es auch Leute, die sich nichts aus Spargel machen, sogar in Deutschland. Fast alle Kinder gehören dazu – sie verachten den Spargel genauso wie Spinat. Andere fühlen sich durch den charakteristischen Geruch des Spargelurins abgestoßen. Berühmt ist eine Szene aus Marcel Prousts Jahrhundertroman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit», in der sich ein Nachttopf nach einem ausgiebigen Spargelessen «in ein Parfümgefäß verwandelt». Proust verglich den Effekt mit einer «Feenkomödie von Shakespeare».

In Köln hängt der Spargel sogar millionenschwer im Museum: Edouard Manet malte ihn um 1880. Nach Angaben des römischen Geschichtsschreibers Plinius schossen die Spargelstangen in Germanien schon in der Antike aus dem Boden. Im Mittelalter verschwand das Gemüse und feierte dann im 16. Jahrhundert, aus Frankreich kommend, sein Comeback. Den Kostverächtern bleibt heute die Gewissheit, dass jede Spargelsaison einmal ihr Ende hat. Spätestens Ende Juni ist wieder Schluss mit dem Hype…