Hier entstehen die begehrten Tropfen: Barrique-Keller der Kellerei St. Michael in Eppan in Südtirol. (Foto: Wolfram Göll)
Südtirol

Spitzenweine aus Eppan

Kellermeister Hans Terzer hat die Kellerei St. Michael in der Südtiroler Gemeinde Eppan an die Spitze des italienischen Weinbaus geführt. Sie ist auch der Sitz des Südtiroler Weinbauernverbandes, der überwiegend Wein nach Bayern und Deutschland verkauft.

Pech für die Erste-Klasse-Flieger. Mitten im Gespräch erhält Hans Terzer, Kellermeister der Südtiroler Vorzeige-Kellerei St. Michael in Eppan, den Anruf einer großen nordwesteuropäischen Fluglinie. Der Carrier will für seine First Class unbedingt 18.000 Flaschen Sauvignon der Premium-Linie Sanct Valentin erwerben. Terzer winkt ab, mit Bedauern. Die Menge können auch er und die Kellerei St. Michael nicht einfach aus dem Ärmel schütteln.

Ein Zufallsprodukt macht die Kellerei St. Michael berühmt: Sanct Valentin Sauvignon

Eine Stunde später, bei der Verkostung und nach einem Schluck vom hellgelb schimmernden, schlank-geschmeidigen 2013er Sanct Valentin Sauvignon (19,70 Euro) versteht man den Wunsch der Fluglinie. Er ist der bekannteste Wein der Kellerei und gilt unter Weinkennern als DER Sauvignon in Italien. Was die First-Class-Flieger nicht wissen, falls sie den Eppaner Top-Wein doch einmal eingeschenkt bekommen: Sie verdanken ihn einem bloßen Zufall und der entschlossenen Initiative von Kellermeister Terzer. Bei einem Kontrollgang im Weinberg eines seiner Kellerarbeiters kostete er Ende der achtziger die im Eppaner Gebiet eigentlich fremde Traube. Der Winzer hatte sie bis dato immer seinem Weißburgunder untergemischt. Terzer ließ nun die drei Sauvignon-Rebstockreihen seines Winzers gesondert ausbauen. Er war vom Ergebnis so begeistert, dass er gleich eine ganze Hanglage mit Sauvingon für die Premiumreihe Sanct Valentin anlegen ließ. Schon vier Jahre später erhält der Sanct Valentin Sauvignon die „drei Gläser“, die höchste Auszeichnung des großen italienischen Weinführers Gambero Rosso. Seit 1993 erhielt er die Top-Auszeichnung zuverlässig jedes Jahr. Mit dem Wein gelang Terzer und der Kellerei St. Michael der ganz große Durchbruch auf dem italienischen Markt.

Spitzenweine – aber nicht nur in homöopathischen Mengen

Aber der Reihe nach. Terzer kam 1977 als 22-jähriger Kellermeister nach Eppan, direkt von der Südtiroler Weinfachschule im nahen Laimburg, mitten in der schlimmsten Krise der Kellerei St. Michael. Der Genossenschaftsbetrieb war hoffnungslos veraltet und fast bankrott. Billige süditalienische Rotweine überschwemmten die Südtiroler Absatzmärkte. Der Absatz der schlichten Kalterer See-Weine ging dramatisch zurück, vor allem in Deutschland. Und dann kam Terzer. 1981 ließ er Chardonnay anbauen – noch so eine Rebsorte, die die Südtiroler bisher ihren Weißburgundern untergemischt hatten. Der Wein kam sofort an. Als etwas später der Chardonnay zum Mode-Wein wurde, war die Kellerei St. Michael damit längst am Markt.

1977 bauten die Genossenschaftswinzer 85 Prozent Rotwein an, vor allem den eher schlichten Vernatsch. Terzer stellte eine einfache Überlegung an: „Es gibt rund um den Globus sehr viele Gebiete, in denen ein guter Roter wächst. Dagegen sind die für Weißweine geeigneten Klimazonen gezählt.“ Eppan und viele andere Südtiroler Lagen gehören dazu. Wo das Terrain es nahelegte, stellte Terzer also konsequent von Rot auf Weiß um. Heute wächst auf 70 Prozent der St. Michaeler Rebflächen Weißwein.

Terzer erzwang in Ep­pan die Wende von Quantität zu Qualität – in großer Menge. Was paradox klingt, aber nicht ist. „Ich möchte Spitzenweine nicht in homöopathischen Mengen produzieren“, so einer seiner Sätze aus dieser Zeit. Die St.-Valentin-Linie war das Ergebnis. 2,2 Millionen Flaschen produziert die Genossenschaftskellerei heute aus 380 Hektar Rebfläche, davon 458000 Flaschen der feinen Sanct-Valentin-Linie – mit Preisen zwischen 18 und 24 Euro übrigens fast schon günstige Spitzenweine.

Terzers neuer Top-Wein: Der Cuvée Appius

Terzers Arbeit hat sich mehr als gelohnt – für ihn, für die Kellerei St. Michael, für Eppan und für den Südtiroler Weinbau insgesamt. 1997 zählt der Gambero Rosso Terzer zu den wichtigsten Kellermeistern weltweit. Italienische Journalisten nennen ihn „Hans, il perfezionista“. Zwei Jahre später erklärt der Gambero Rosso Weinführer erneut St. Michael zur Kellerei des Jahres – keine andere Genossenschaftskellerei hat das je geschafft.

Der Aufstieg geht weiter. Terzer hat Neues vor: Noch oberhalb der Sanct Valentin-Linie gibt es seit Anfang November den Appius 2010 – ein Cuvée aus hauptsächlich Chardonnay mit Weißburgunder, Pinot Grigio und Sauvignon. Die Reben kommen von persönlich ausgewählten 25 bis 35 Jahre alten Rebstöcken von besonderer Qualität. Terzer: „Ich wollte genau diese Reben separat ernten, ausbauen und zu einem völlig neuen, aufsehenerregenden Wein ausbauen. Einen Wein, wie es ihn vorher bei uns in St. Michael-Eppan noch nicht gegeben hat.“ Offenbar ist es ihm gelungen. Die kürzlich zur Präsentation geladene Fachwelt war beeindruckt. Mit einem Preis von um die 50 Euro zielt der Appius auf die Spitzengastronomie und betuchte Sammler. Es wird nur 4000 Flaschen geben.

Südtiroler Weinbauernverband: Wein für Supermärkte und Discounter

Verbunden mit der Geschichte der Kellerei St. Michael ist die des Südtiroler Weinbauernverbandes. 1974, mitten in den schlimmsten Krisenjahren, gründeten sieben Südtiroler Genossenschaftskellereien unter dem Dach der Kellerei St. Michael einen gemeinsamen Vermarktungsbetrieb, der unter eigenem Namen Massenweine verkaufte. Damals war das für St. Michael ein Glücksfall: Mit Staatsgeldern aus EU-Töpfen konnte und musste für das große Gemeinschaftsprojekt neue Kellereitechnik eingekauft werden. Das nützte auch der notleidenden Kellerei. Heute profitiert der gemeinsame Vermarktungsbetrieb von der dramatischen Qualitätssteigerung der fünf beteiligten Kellereien St. Michael, Schreckbichl (Girlan), Tramin, Kurtatsch und Burggräfler Kellerei (Marling). Die Reben, die der Weinbauernverband von den beteiligten Kellereien erhält, wachsen unter den gleichen Qualitätsanforderungen wie die der Linien jener Kellereien. Die Kunden in deutschen Supermärkten und Discountern kann das nur freuen.

Die vornehmen Südtiroler Kellereien zögern, ihre Weine in banalen Supermärkten anzubieten. Die Erste-Klasse-Passagiere könnten sich ja wundern. Trotzdem möchten sie für ihre Winzer die schönen Kunden und Großabnehmer nicht verlieren. Hier kommt für sie der Südtiroler Weinbauernverband ins Spiel, heute fast noch mehr als vor dreißig Jahren. Fast zwei Millionen Flaschen Wein verkauft der Weinbauernverband heute im Jahr an Handel und Gastronomie und ist damit Südtirols zehntgrößter Produzent. 80 Prozent der Produktion gehen nach Deutschland.

Nicht wirklich billig, aber praktisch und lecker: Gewürztraminer in der Halbliterflasche

Auch beim Südtiroler Weinbauernverband hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan. Unter der Regie von Kellermeister Ulrich Ambach baut der Vermarkter seine Weine längst selber aus – unter den Dächern der Kellereien St. Michael und Schreckbichl. Auch diese Weine kommen in zweierlei – bald dreierlei – Qualitätssegmenten. Für drei bis fünf Euro gibt es in der Linie der Qualitätsweine für den Lebensmittelhandel alle in Südtirol üblichen Rebsorten. An Fachhandel und Gastronomie richtet sich die Selektionslinie „Raetia“ für knapp sechs bis knapp acht Euro. Alle 14 Raetia-Weine sind mit meist um die vier Gramm Restzucker ausgesprochen trocken ausgebaut – knackige Tropfen.

Zum 30. Geburtstag hat sich der Weinbauernverband etwas Besonderes ausgedacht: Für 5,99 Euro gibt es die beiden autochtonen Südtiroler Rebsorten Gewürztraminer und Lagrein des Jahrgangs 2013 in einer praktischen Halbliter-Flasche. Die Eppaner Marketing-Experten wollen auf veränderte – vor allem: reduzierte – Trinkgewohnheiten reagieren. Offenbar liegen sie damit richtig: Bei Aldi-Nord hat der 2013-er Gewürztraminer (14 Prozent Alkohol, 5,6 Gramm Restzucker) für 5,99 Euro reißenden Absatz gefunden. Die Kunden haben nach dem richtigen Wein gegriffen. Denn die Reben dazu hat die famose, weltweit für ihre Gewürztraminer gefeierte Kellerei Tramin geliefert. Das Ergebnis ist ein typischer Südtiroler Gewürztraminer – und die sind einfach die besten. Die kleine Lagrein-Flasche (5,99 Euro) kommt diesen Herbst in den Handel.

Zur „Raetia“-Linie hinzukommen soll jetzt eine noch höherwertigere sogenannte S-Linie – S wie Südtirol und Slow, von slow food und slow wine. Die neuen S-Weine, sollen nur über einen speziellen Vermarkter vertrieben werden und sind vor allem für den italienischen Markt gedacht, wohin bislang nur zehn Prozent der Weinbauernverbandsweine gehen. Wenn er sich bei den anspruchsvollen italienischen Weinkunden bewährt, sollten auch die Deutschen zugreifen.

Der italienische Idealwein hat einen Restzuckergehalt von 6,5 Gramm

Ausgangspunkt für die neue S-Linie war eine große Umfrage unter Weinkunden, Sommeliers, Restaurants und Journalisten, was ihre Erwartungen an besonders trinkbare – und verkaufbare – Weine seien. Die Südtiroler Wein­forschungsanstalt Laimburg hat die Umfrage ausgewertet und in technische Daten umgesetzt. So hat offenbar der italienische Idealwein einen Restzuckergehalt von 6,5 Gramm. Immer noch trocken, aber etwas sanfter als die Raetia-Weine. Auf der Basis der Laimburger Auswertung sollen nun die neuen Weine entstehen.

Der Weinbauernverband will dafür einen Heimvorteil nutzen: Auf dem etwa 5200 Hektar großen Südtiroler Anbaugebiet (Franken: 6200 Hektar) wachsen alle Rebsorten auf den verschiedensten Lagen. Kellermeister Ambach kann etwa die Sauvignon oder die Spätburgunder Reben aus den vielen unterschiedlichen Lagen der fünf Genossenschaften so zusammenstellen, bis ihm das Ergebnis gefällt. Kosten sollen die neuen Weine dann im Fachhandel knapp zehn Euro die Flasche. Dafür darf der Kunde schon etwas Gutes erwarten. Denn etwa die Basis-Weine der Kellerei Tramin oder der Kellerei St. Michael von Top-Kellermeister Hans Terzer liegen allesamt unter zehn Euro. Vielleicht schenkt ja eines Tages die eine oder andere Fluglinie ihren Economy-Passagieren von der S-Linie des Südtiroler Weinbauernverbandes ein. Dann käme man der klassenlosen Gesellschaft nahe, jedenfalls in der Luft: First Class- und Economy-Passagiere trinken dann zusammen feine Weine aus Eppan.