Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will den Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland verstärken. Unter seinen Vorgängern sei in diesem Bereich bereits viel passiert. „Aber ich möchte jetzt nicht behaupten, dass alles Menschenmögliche getan wurde“, sagte Seehofer am Mittwochabend in der ARD. Am Donnerstag stellte Seehofer mit Behördenchef Thomas Haldenwang den neuen Verfassungsschutzbericht vor.
In unserem Land gibt es Null Toleranz für Extremismus, Antisemitismus, Ausländerhass oder Hassparolen.
Horst Seehofer, Bundesinnenminister
Seehofer wertete den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erneut als Alarmsignal für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Der 45-jährige mutmaßliche Rechtsextremist Stephan E. hat die Tat gestanden, er sitzt in Untersuchungshaft. Bestätigt sich der Tatverdacht, wäre das der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker in der Bundesrepublik.
Der Bundesinnenminister forderte die Bevölkerung auf, sich klar von Rechtsradikalen zu distanzieren: „In unserem Land gibt es Null Toleranz für Extremismus, Antisemitismus, Ausländerhass oder Hassparolen.“ Man werde aber nur erfolgreich sein, wenn die Bevölkerung diese Grenzziehung ebenfalls unterstütze. „Mit Rechtsextremisten geht man keine Verbindungen ein“, verlangte Seehofer. „Man gibt auch keine Sympathiebekundungen ab. Das ist für Demokraten eine rote Linie.“
Tausende gewaltbereite Rechtsextremisten
Laut Verfassungsschutz gibt es in Deutschland 24.100 Rechtsextremisten, 100 mehr als noch im Vorjahr. Das sei „ein neuer Höchststand“, sagte Seehofer. 12.700 Rechtsextreme, also mehr als die Hälfte von ihnen, gelten dem Bericht zufolge als „gewaltorientiert“.
Das Menschenmögliche müssen wir machen.
Horst Seehofer
Es sei kaum möglich, „12.000 gewaltbereite Menschen so zu überwachen, dass alles vermieden“ werde, sagte der Bundesinnenminister. Man könne keine absolute Sicherheit versprechen. „Aber das Menschenmögliche müssen wir machen“, so Seehofer. Dazu zähle eine bessere Ausstattung der Polizei, aber auch die Prüfung, welche Organisationen verboten werden könnten.
Politiker als Feindbild
Zu den Feindbildern der Rechtsextremen gehörten Ausländer, Asylbewerber und Muslime, aber auch Politiker. Die politisch rechts motivierten Straftaten gingen dem Bericht zufolge leicht auf 20.431 zurück. Dem steht jedoch im Vergleich zum Jahr 2017 ein Zuwachs der registrierten Gewaltstraftaten und Propagandadelikte gegenüber. So stieg die Zahl rechtsmotivierter Gewalttaten um 2,3 Prozent auf 1156. Es gab sechs versuchte Tötungen, nach vier im Jahr 2017.
Bei den Propagandadelikten kletterte die Zahl dem Bericht zufolge um 4,6 Prozent auf 12.582 Fälle. Laut Verfassungsschutz gibt es zudem einen „Anstieg von Volksverhetzung mit antisemitischen Motiven“. Seehofer sagte, er nehme das Thema „sehr, sehr, sehr ernst“.
Deutlich mehr Linksradikale
Auch im Linksextremismus ist die Zahl der Menschen, die der Verfassungsschutz im Fokus hat, um knapp 8,5 Prozent auf 32.000 gestiegen. Mehr als jeden Vierten (9000 Personen) schätzen die Beamten als gewaltbereit ein. Linksextremisten sehen den Kapitalismus kritisch und möchten die freiheitliche Demokratie durch ein kommunistisches oder anarchistisches System ersetzen. Linksextremisten bemühten sich um Vernetzung mit bürgerlichen Protestbewegungen etwa für den Klimaschutz oder gegen Wohnungsknappheit.
Das Aggressionspotenzial in der linksextremistischen Szene richtet sich vor allem gegen Polizisten.
Horst Seehofer
Im vergangenen Jahr registrierten die Behörden deutlich weniger linksextremistische Straftaten: 4622 Delikte nach 6393 im Jahr 2017. Die Zahl der Gewalttaten sank von 1648 auf 1010. Das liege daran, dass es 2018 kein Großereignis wie den G20-Gipfel in Deutschland gab. Zur Auseinandersetzung mit politischen Gegnern und der Polizei schreibt der Verfassungsschutz: „Schwere Gesundheitsschädigungen und in Einzelfällen auch der mögliche Tod von Menschen werden billigend in Kauf genommen.“ Seehofer ergänzte: „Das Aggressionspotenzial in der linksextremistischen Szene richtet sich vor allem gegen Polizisten, die zunehmend in aggressiver Weise körperlich angegriffen werden.“
Bedrohung durch Dschihadisten
Die Zahl der Islamisten in Deutschland ist im vergangenen Jahr weiter leicht gestiegen. Mittlerweile zählt der Verfassungsschutz 26.560 radikale Muslime. Im Vorjahr waren es 25.810.
Deutschland stehe „unverändert im Zielspektrum von dschihadistischen Organisationen“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Sowohl für das Bundesgebiet als auch für deutsche Interessen in verschiedenen Regionen der Welt bestehe „eine anhaltend hohe Gefährdung“. Es sei eine Reihe von „Anschlagsplanungen in unterschiedlichen Vorbereitungsstadien“ aufgedeckt worden.
Das Jahr 2018 hat erneut gezeigt, dass die Bedrohungen für unsere offene Gesellschaft vielfältiger und komplexer geworden sind.
Horst Seehofer
Der Trend gehe zu „leicht zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln“ und leicht zugänglichen, „weichen“ Anschlagszielen. Der selbst ernannte Islamische Staat (IS) und Al-Kaida fungierten dabei eher als „Marke“, die Terroristen nutzen, denn als straffe Organisationsstruktur. Der Verfassungsschutz sieht die Gefahr, dass dschihadistische Kämpfer als Flüchtlinge getarnt nach Europa kommen oder sich Flüchtlinge hier radikalisieren.
Aktionen der PKK
Die Zahl der Anhänger extremistischer Ausländerorganisationen ohne Islamismus ist laut den Behörden nahezu konstant geblieben. 30.350 Personen registrierte der Verfassungsschutz im Jahr 2018, zweihundert weniger als 2017. Fast die Hälfte von ihnen und der Großteil des linksextremistischen Spektrums wird der kurdischen Arbeiterpartei PKK zugerechnet. Das Mobilisierungspotenzial der PKK wird weiterhin als erheblich eingestuft. Als Reaktion auf die türkische Militäroffensive auf das nordsyrische Kurdengebiet hätten bundesweit zahlreiche demonstrative und auch gewalttätige Aktionen stattgefunden.
„Ich halte alle Dinge, die wir heute genannt haben, für gleichermaßen gefährlich“, fasste Bundesinnenminister Seehofer die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zusammen. „Das Jahr 2018 hat erneut gezeigt, dass die Bedrohungen für unsere offene Gesellschaft vielfältiger und komplexer geworden sind.“
Schärfere Überwachung gefordert
Mit Blick auf den Mordfall Lübcke forderte der CDU-Innenexperte Armin Schuster, auch Extremisten zu überwachen, die länger nicht auffällig geworden sind. Nach jetziger Gesetzeslage könne man einen Bürger, der seine Strafe lange verbüßt hat, nicht anlasslos unter Dauerüberwachung stellen, sagte Schuster dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Frühere Einträge müssen nach Ablauf bestimmter Fristen gelöscht werden, damit eine radikale Vergangenheit Menschen nicht auf ewig anhängt.
Neue Verhaftung im Mordfall Lübcke
Stefan E. war zwar vielfach vorbestraft und hatte Verbindungen zu Rechtsextremisten. In den vergangenen Jahren war er aber vom Radar der Verfassungsschützer verschwunden. Dass sich doch noch ein Akteneintrag zu ihm fand, liegt mit einem Lösch-Moratorium für Akten im Zusammenhang mit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zu tun.
Im Zusammenhang mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten haben die Ermittler inzwischen zwei weitere Personen festgenommen. Dies bestätigte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag. Details werde die oberste Anklagebehörde im Laufe des Tages mitteilen. Weitere Einzelheiten wollte sie nicht nennen.
In Medienberichten hatte es geheißen, der Verkäufer der Tatwaffe wie auch der Vermittler des Geschäfts seien festgenommen worden. Dies gehe auf Hinweise des mittlerweile geständigen Tatverdächtigen Stephan E. zurück, der in Haft sitzt. Nach Informationen verschiedener Medien war es zuvor zu Durchsuchungen gekommen. Dabei wurden nach dpa-Informationen auch Waffen gefunden, die dem Verdächtigen Stefan E. gehören sollen.
(dpa/BK)