Kindergeld für Armutsflüchtlinge
Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger hat in nur einem halben Jahr um 10,4 Prozent auf 268.336 zugenommen. SPD-Oberbürgermeister sehen eine alarmierende Migration in das deutsche Sozialsystem. Die CSU fordert seit Monaten eine Reform.
Sozialleistung

Kindergeld für Armutsflüchtlinge

Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger hat in nur einem halben Jahr um 10,4 Prozent auf 268.336 zugenommen. SPD-Oberbürgermeister sehen eine alarmierende Migration in das deutsche Sozialsystem. Die CSU fordert seit Monaten eine Reform.

„Deutschland muss den in die Höhe schießenden Kindergeldtransfer ins Ausland endlich reduzieren”. Das fordert CSU-Generalsekretär Markus Blume. Es bestehe dringender Handlungsbedarf: „Die aktuelle Situation ist nicht gerecht und wird durch Nichtstun immer ungerechter.”

Tatsächlich hat die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger stark zugenommen. Wegen der hohen Kosten für die Kommunen verstärken sich nun Forderungen nach einer raschen Reform. „Im Juni 2018 wurde für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt”, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Das ist eine Zunahme um 10,4 Prozent in nur einem halben Jahr. Denn Ende 2017 lag die Zahl noch bei 243.234 Kindergeldempfängern im EU-Ausland.

Dreimal soviel Sinti und Roma in Duisburg

Das Thema bewegt seit langem die Gemüter, gewinnt nun aber an Dynamik. Mehrere Oberbürgermeister sprechen von einer alarmierenden Zunahme einer Migration in das deutsche Sozialsystem. „Die Bundesregierung verschläft dieses Problem, sie muss endlich was dagegen tun, dass es Armutsflüchtlinge in Europa gibt”, sagte Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) der dpa. „Wir haben derzeit rund 19.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. Vor knapp sechs Jahren, 2012, hatten wir erst 6000 in Duisburg.” Er verwies darauf, dass dies Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt berge.

Das Kindergeld sollte sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchen

Helmut Dedy , Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags

Im Zuge der Ausweitung der europäischen Freizügigkeit auf Osteuropa sind auch die Kindergeldzahlungen stark angewachsen. Fürths OB Thomas Jung (SPD) berichtete ebenfalls von großen Problemen, als ihn jüngst SPD-Chefin Andrea Nahles besuchte. Städte mit niedrigen Mieten lockten gerade Menschen aus Osteuropa an. Zum einen gibt es Zuzügler, die mit ihren Familien in Deutschland komplett leben und arbeiten, zum anderen EU-Bürger, die hier arbeiten und sozialversichert sind und damit berechtigt sind, Kindergeld für ihre in der Heimat lebenden Kinder zu beziehen. Das entspricht den gültigen EU-weiten Regelungen.

Kindergeld als zweites Einkommen

Ein Beispiel: Im Juni bezogen rund 119.362 rumänische Kinder in Deutschland Kindergeld und 18.855 in Rumänien. Insgesamt erhalten derzeit rund drei Millionen Kinder aus anderen EU-Staaten Kindergeld. Besonders umstritten sind dabei die Überweisungen in das Ausland, da dort die Lebenshaltungskosten in der Regel geringer sind. In Rumänien beträgt das Kindergeld zwischen 18 und 43 Euro (bis zwei Jahre).

Wenn Kindergeld nach deutschen Verhältnissen in einem Land mit niedrigen Preisen und Kosten ausgezahlt wird, kann das je nach Zahl der Kinder ein weiteres Einkommen für die Eltern bedeuten.

Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer

In Deutschland beträgt das Kindergeld für das erste Kind 194 Euro − und mindestens 18 Jahre lang. „Wenn Kindergeld nach deutschen Verhältnissen in einem Land mit niedrigen Preisen und Kosten ausgezahlt wird, kann das je nach Zahl der Kinder ein weiteres Einkommen für die Eltern bedeuten”, erinnert Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer. „Wir wollen mit einer überproportionalen Förderung aber nicht die Trennung von Familien unterstützen.“

Auf der Basis des deutschen Kindergeldsatzes fallen für die Kinder von ausländischen EU-Bürgern, die sich in Deutschland anmelden, aber deren Nachwuchs oft gar nicht hier lebt, jeden Monat rund 50 Millionen Euro an. Pro Jahr liegen die Kosten dann bei weit über 600 Millionen Euro für Zahlungen ins EU-Ausland. Insgesamt bezahlte der deutsche Staat zuletzt Kindergeld für 15,3 Millionen Kinder. Pro Jahr fließen 36 Milliarden Euro Kindergeld.

Kriminelle Schlepper am Werk

SPD-OB Link sprach von kriminellen Schleppern, die gezielt Sinti und Roma nach Duisburg brächten und ihnen eine häufig heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten. „Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf”, kritisierte der SPD-Politiker.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, kritisierte Links Aussagen scharf. „Hier werden rassistische Stereotype gezielt benutzt, um Sündenböcke zu produzieren − selbst auf die Gefahr von Gewaltanschlägen hin”, sagte Rose.

Städtetag dringt auf Reform

Der Duisburger Rathauschef sieht kriminelle Energie und viel Betrug durch gefälschte Dokumente am Werk. Oft wisse man gar nicht, ob die gemeldeten Kinder überhaupt existierten. Das widerspreche dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. „Denn die kommen nicht hierher in erster Linie, um zu arbeiten.”

Auch der Deutsche Städtetag dringt auf eine rasche Reform. „Das Kindergeld sollte sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchen und nicht die Höhe aufweisen, die in einem anderen Land am Wohnsitz ihrer Eltern gezahlt wird”, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der dpa.

Nachdruck für CSU-Forderung

Der Freistaat Bayern habe bereits vor Monaten einen Antrag zur Kindergeldindexierung in den Bundesrat eingebracht, erinnert jetzt CSU-Generalsekretär Markus Blume. „Die CSU setzt sich dafür ein, dass das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem das Kind lebt, angepasst wird.” Die Bundesregierung und die anderen Länder müssten nun der bayerischen Bundesratsinitiative folgen. Wenn jetzt auch SPD-Kommunalpolitiker aus anderen Bundesländern eine Änderung forderten, „ergibt sich jetzt endlich die Chance auf eine rasche Umsetzung des konkreten Vorschlags aus Bayern“.

Auch der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, forderte die SPD auf, sich der bayerischen Bundesratsinitiative anzuschließen, die auf eine Eindämmung der Zahlungen im EU-Ausland abzielt.

Europäische Lösung?

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hat Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) aufgefordert, von Brüssel eine Änderung des Modus der Kindergeldzahlungen zu verlangen. „Dies ist sehr wohl möglich“, so der CSU-Europapolitiker zu FOCUS Online. „Wir sollten Sozialleistungen indexieren und an die Lebenshaltungskosten in den Mitgliedsstaaten anpassen.“ EU-rechtlich sei dies „problemlos umsetzbar“. Bei EU-Beamten, die in den 28 Mitgliedstaaten eingesetzt seien, werde schon so verfahren. Ihre Gehälter würden über einen Index an die Kaufkraft gebunden. So erkläre es sich, dass etwa ein europäischer Beamter, der das polnische EU-Büro in Warschau leite, weniger erhalte als sein Kollege, der das polnische EU-Büro in Berlin führe.

Eine Regelung, die Sozialmissbrauch ausschließt

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter

„Hubertus Heil sollte auf eine Regelung drängen, die auch Sozialmissbrauch ausschließt“, fordert Ferber. Um Missbrauch oder Betrug einzudämmen solle „der Nachweis, dass unterhaltspflichtige Kinder vorhanden sind, europa-einheitlich geregelt werden.“

Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betont nun, die Regierung setze sich für eine europäische Lösung ein, welche die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den EU-Staaten bei der Zahlung von Familienleistungen berücksichtige. (dpa/BK/H.M.)