Beim Geld hört die Gemeinschaft auf
EU-Sondergipfel: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen beraten über Aufgaben, Schwerpunkte und Finanzen der Europäischen Union nach dem Austritt Großbritanniens: Wegen des Brexits fehlen im EU-Haushalt jährlich etwa 14 Milliarden Euro.
EU-Gipfel

Beim Geld hört die Gemeinschaft auf

EU-Sondergipfel: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen beraten über Aufgaben, Schwerpunkte und Finanzen der Europäischen Union nach dem Austritt Großbritanniens: Wegen des Brexits fehlen im EU-Haushalt jährlich etwa 14 Milliarden Euro.

Beim Geld hört die Freundschaft auf, das ist in der Europäischen Union nicht anders. Die Gemeinschaft steht vor Verteilungskämpfen, wenn nach dem EU-Austritt Großbritanniens Milliardensummen in der Beitragskasse fehlen.

Was soll die EU künftig tun? Wer zahlt wie viel? Und wer hat den Nutzen? An diesem Freitag starten Kanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen bei einem Sondergipfel in Brüssel eine Grundsatzdebatte übers Geld − und haben dann gleich noch etliche weitere unbequeme Themen auf dem Tisch. Ein Überblick:

Mehr, weniger oder nur anders?

Haushaltsstreit ist in der EU keineswegs neu, eher ist es ein Klassiker. Die Gemeinschaft arbeitet mit einem mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), der auf Jahre hinaus Schwerpunkte setzt und auch wie ein Korsett für den jährlichen Haushalt wirkt. Bis der aktuelle MFR für die Jahre 2014 bis Ende 2020 im Umfang von fast 1000 Milliarden Euro stand, wurde 29 Monate lang gefeilscht.

Ab 2021 wird durch den Brexit alles noch unübersichtlicher. Wenn Großbritannien geht, fehlen netto jährlich bis zu 14 Milliarden Euro. Gleichzeitig sucht die EU neuen Rückhalt bei den Bürgern und damit auch neue politische Schwerpunkte.

Es gibt die Länder, die nicht mehr zahlen wollen, und jene, die nicht weniger bekommen wollen.

Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident

Bisher gehen 80 Prozent des Haushalts in Agrar- und Strukturhilfen. Künftig könnte mehr Geld in den Grenzschutz, in Verteidigung oder das Studentenprogramm Erasmus fließen. Soll dafür jetzt mehr Steuergeld nach Brüssel überwiesen werden? Sucht man neue Einnahmequellen wie eine Plastiksteuer, die Haushaltskommissar Günther Oettinger neulich ins Gespräch brachte? Oder schichtet man im Haushalt um?

Die Positionen sind extrem unterschiedlich. Union und SPD stellen in ihrem Koalitionsvertrag zusätzliche Mittel aus Berlin in Aussicht. Die Niederlande fordern dagegen eisern: Eine kleinere EU braucht einen kleineren Haushalt. Die Agrarstaaten warnen vor Kürzungen bei den Bauern, die östlichen Staaten wollen keine Einschnitte bei Fördertöpfen − ebenso wenig, übrigens, wie die deutschen Bundesländer.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fasste die Diskussionen in einer Rede am Donnerstag so zusammen: „Bei der Zukunft des EU-Haushalts gibt es die Länder, die nicht mehr zahlen wollen, und jene, die nicht weniger bekommen wollen. Zuerst müssen wir uns über die Prioritäten einigen, dann können wir über Zahlen reden.”

Faire Verteilung von Flüchtlingen

Hinzu kommt: Kanzlerin Angela Merkel will die EU-Hilfsfonds für strukturschwache Regionen als Druckmittel für eine gleichmäßigere Verteilung von Flüchtlingen in der EU nutzen.

Die Verteilungskriterien sollten „künftig auch das Engagement bei der Aufnahme und Integration von Migranten widerspiegeln”, sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag bei ihrer Regierungserklärung zum informellen EU-Gipfel in Brüssel.

Faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Das europäische Asylsystem müsse „krisenfest und endlich auch solidarisch sein, gerade auch was die faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU angeht”, so Merkel. Dies sei bisher „das bei weitem unbefriedigendste Kapitel der europäischen Flüchtlingspolitik”. Länder wie Ungarn, Polen und die Slowakei sträuben sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.

Raus aus dem Hinterzimmer?

Beschlüsse oder Vorfestlegungen für die Finanzplanung werden vom Gipfel noch nicht erwartet. Das gilt auch für das zweite große Gipfelthema, die Auswahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten nach der Europawahl im Mai 2019. Das Europaparlament beschloss kürzlich, nur einen Kandidaten zu bestätigen, der vorher bei der Europawahl als Spitzenkandidat einer Partei angetreten ist. Der Rat der Mitgliedsländer lehnt aber einen „Automatismus” mehrheitlich ab.

Die Spitzenkandidaten gab es 2014 zum ersten Mal, der Christdemokrat Jean-Claude Juncker und der Sozialdemokrat Martin Schulz zogen als Galionsfiguren ihrer Lager kreuz und quer durch ganz Europa. Ziel war, durch bekanntes Personal mehr Wähler zu mobilisieren. Doch stand am Ende ein Dilemma: Eigentlich dürfen die EU-Staats- und Regierungschefs im Rat einen Kommissionspräsidenten nominieren. Aber als die Christdemokraten einmal als Sieger feststanden, kam man an Juncker nicht mehr vorbei.

Soll das diesmal wieder so laufen? Das Europaparlament hat sich bereits darauf festgelegt. Die Staats- und Regierungschefs wollen sich indes eigentlich keine Vorgaben machen lassen. Aber offen sagen will das auch niemand, denn Brüsseler Hinterzimmer-Deals stehen beim Bürger nicht gerade hoch im Kurs. Deshalb gibt es fürs erste eine Kompromissformel: Die Parteien könnten ja Spitzenkandidaten aufstellen, aber das sei keine „Garantie”, sagen EU-Diplomaten. Nach der Wahl sehe man dann weiter.

Klar scheint zumindest, dass das nächste Europaparlament wegen des Brexits von 751 auf 705 Sitze schrumpfen soll. Dafür erwarte sie breite Zustimmung der EU-Länder, sagte Merkel am Donnerstag.

Dauerbrenner Brexit

Überhaupt, der Brexit: Auch bei dem Sondergipfel beschäftigt die 27 Staatenlenker, die sich zur Zukunftsdebatte bewusst ohne Großbritannien treffen, das allgegenwärtige Großthema. Wie geht es nach dem Brexit weiter im Verhältnis zu Großbritannien? Die Regierung in London bringe ständig neue Ideen in Umlauf, die alle nicht zusammen passten, klagte ein EU-Diplomat am Donnerstag. Man brauche endlich Klarheit. Diese Forderung schallt seit Wochen von Brüssel über den Kanal, während sich in London die Meinungen sortieren. Nun will Ratspräsident Donald Tusk eine kleine Kursänderung vorschlagen: Die EU soll nicht ewig auf die britische Regierung warten, sondern bis März selbst ein Modell präsentieren. (dpa/BK/H.M.)