Mit einem Trauerakt in Straßburg nahm Europa Abschied von Helmut Kohl. (Foto: dpa/Laurie Dieffembacq/BELGA)
Helmut Kohl

Europa nahm Abschied

In einem Trauerakt im Europaparlament in Straßburg erwiesen Spitzenpolitiker aus aller Welt dem Altkanzler die letzte Ehre. Bestattet wurde Helmut Kohl im engsten Familien- und Freundeskreis auf dem Domkapitelfriedhof in Speyer.

Die Flaggen wehen auf halbmast. Die Soldaten machen behutsame, kleine Schritte. Vier an jeder Seite. Ganz vorsichtig setzen die Offiziere des Wachbataillons der Bundeswehr den Sarg in der Mitte des Parlaments in Straßburg ab. Er ist eingehüllt in die Europa-Flagge mit den gelben Sternen. Das Uni-Orchester der Stadt stimmt den Trauermarsch von Georg Friedrich Händel an. Gegeben hat es das noch nie. Es ist der erste Trauerakt der Europäischen Union für einen großen Politiker aus ihren Reihen: für Helmut Kohl, den Altkanzler, Kanzler der Einheit, den großen Europäer.

Trauerakt in Straßburg

In Straßburg, unweit des Rheins, nicht weit von seiner Heimatstadt Ludwigshafen entfernt nahm Europa Abschied von Helmut Kohl. Nach einem anschließenden Trauergottesdienst im Dom zu Speyer wurde Kohl am Abend auf dem Friedhof des Domkapitels bestattet.

Helmut Kohl war ein deutscher Patriot, aber auch ein europäischer Patriot.

Jean-Claude Juncker

„Helmut Kohl war ein deutscher Patriot, aber auch ein europäischer Patriot“, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Europarlament von Straßburg vor dem in eine blaue Europaflagge gehüllten Sarg. „Mit Helmut Kohl verlässt uns ein Nachkriegsgigant.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Kohl einen großen Brückenbauer. Nun müssten die nächsten Generationen sein Vermächtnis bewahren – den engagierten, unermüdlichen Einsatz für Frieden, Freiheit und Einheit.

Der Dank der Kanzlerin

EU-Ratspräsident Donald Tusk verband seine Würdigung mit einem Appell an heutige europäische Politiker, klare Botschaften zu senden: „Ein Ja für die Union, ein Ja für die Freiheit, ein Ja für die Menschenrechte.“ Der neue französische Präsident Emmanuel Macron rief mit Blick auf den Versöhnungspolitiker Kohl zur Zuversicht auf: „Wir haben heute überhaupt keinen Anlass zur Resignation. Wir haben vielmehr Grund zu realistischem Optimismus.“ Der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González sagte über Kohl: „Er sprach von einem europäischen Deutschland und wollte nie wieder ein deutsches Europa erleben.“

Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil.

Angela Merkel

Merkel würdigte Kohl als großen Brückenbauer zwischen Ländern und Menschen. Als Weltpolitiker, Europäer, Freund Frankreichs, als Kanzler der Einheit. Der, der das politische Gespür hatte, die Zeichen der Zeit erkannte und anders als andere nach dem Fall der Mauer die Chance zur historischen Wiedervereinigung Deutschlands nutzte.

Kohl, so Merkel,  sei „ein den Menschen zugewandter Weltpolitiker“ gewesen. Die CDU-Chefin schilderte ihren Amtsvorgänger als Mann der Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und unerschütterlichen Überzeugung – und auch als Politiker, an dem sich viele Menschen gerieben hätten und der Gegenargumente scharf abwehren konnte.

Zum Schluss sagt die in der DDR aufgewachsene Pfarrerstochter: „Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben. (…) Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Angedenken in Dankbarkeit und Demut.“

Wegbereiter der europäischen Einigung

Juncker erinnerte in seiner teils sehr persönlich gehaltenen, berührenden Rede an Kohls Rolle als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung und beim Zusammenwachsen Europas. Zwischen beiden Zielen habe es für ihn keinen Widerspruch gegeben. In „geduldigen Einzelgesprächen“ habe er die Skepsis in manchen europäischen Ländern gegen die deutsche Einigung abgebaut. „Er hat die Gunst der Stunde richtig eingeschätzt und genutzt.“ Ohne Kohl hätte es zudem den Euro nicht gegeben, sagte Juncker. „Für ihn war der Euro stets europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln.“

EU-Ratschef Tusk nannte Kohl einen Wegbereiter der europäischen Einigung sowohl im Westen als auch im Osten des lange geteilten Kontinents. „Seine Vision ging weit über die deutschen Grenzen und die deutschen Interessen hinaus.“ EU-Parlamentspräsident Tajani hob Mut und Tatkraft Kohls hervor. „Stets und überall verteidigte er die Würde des Menschen gegen Mauern, gegen eiserne Vorhänge und gegen totalitäre Regime.“

Du hast das gut gemacht in deinem Leben. Und wir, die wir dabei sein durften, lieben dich dafür.

Bill Clinton

Der frühere US-Präsident Bill Clinton sagte, Kohl habe eine Welt gewollt, in der Zusammenarbeit mehr gilt als Konflikt. „Er wollte eine Welt schaffen, in der niemand dominiert.“ Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew erinnerte an die engen Beziehungen Kohls zu seinem Land. Für den Altkanzler sei Russland Bestandteil eines vereinten Europas gewesen, sagte Medwedew, der in Straßburg als Privatperson sprach. „Für ihn war das ein Teil eines gemeinsamen Hauses, ohne Stacheldraht.“

Requiem in Speyer

Kohl war am 16. Juni mit 87 Jahren nach langer Krankheit in Ludwigshafen-Oggersheim gestorben. Dort wurde sein Sarg – inzwischen mit einer Deutschland-Flagge bedeckt – nach der Rückkehr aus Straßburg durch die Straßen gefahren, damit am Nachmittag auch Bürger der pfälzischen Stadt Abschied nehmen konnten. Im Zentrum von Kohls Geburtsstadt standen Menschen links und rechts der Straße und applaudierten.

Im Dom zu Speyer hielt der katholische Bischof Karl-Heinz Wiesemann die Totenmesse. „Wir nehmen Abschied von einem wahrhaft großen Staatsmann“, sagte er bei dem Requiem. Der Bischof drückte der Witwe Maike Kohl-Richter, aber auch den Söhnen und Enkeln von Kohl sein Mitgefühl aus. „Es ist der Abschied von einem Menschen, mit allem, was Menschsein in Kraft und in Schwäche bedeutet.“

Im Anschluss an den Gottesdienst gab es ein militärisches Ehrenzeremoniell der Bundeswehr. Kohl wurde im engen Freudes- und Familienkreis bestattet.