Bundesminister Müller im Juni 2016 beim Besuch einer Textilfabrik in Kambodscha. (Foto: Ute Grabowsky/Photothek.net/fkn)
Fair ist chic

Vom Baumwollfeld zum Bügel

Gastbeitrag Deutschland ist der größte Textilmarkt Europas und hat eine überdurchschnittliche Kaufkraft. Doch zwei Drittel der Kleidung in unseren Kleiderschränken wird in Entwicklungs- und in Schwellenländern produziert. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller appelliert in seinem Gastbeitrag an die Verantwortung der Verbraucher.

Die Tsunami-Katastrophe an Weihnachten 2004, die Anschläge vom 11. September 2001, der ertrunkene Flüchtlingsjunge, der 2016 an einem Strand in der Türkei angespült wurde – es gibt Ereignisse, die brennen sich in unser Gedächtnis ein. Für mich gehört auch der 24. April 2013 dazu. An diesem Tag löste ein Brand in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch eine Katastrophe aus: Ein marodes Gebäude, fehlende Brandschutzmaßnahmen und verschlossene Fluchtwege rissen über 1000 Menschen in den Tod. Über 1000 Menschen, die für einen Hungerlohn und unter unwürdigen Arbeitsbedingungen Kleidung genäht haben – T-Shirts, Jacken und Hosen, die auch in Deutschland verkauft werden. Wollen wir das wirklich?

Gerechte Globalisierung

Deutschland ist der größte Textilmarkt Europas und hat eine überdurchschnittliche Kaufkraft. Zwei Drittel der Kleidung in unseren Kleiderschränken wird in Entwicklungs- und in Schwellenländern produziert – ein Großteil davon in Asien.

Vielfach unter ähnlich schlechten Bedingungen wie in der Textilfabrik Rana Plaza. Das Unglück hat deutlich gemacht, dass sich etwas ändern muss! Vor zwei Jahren habe ich deshalb das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ ins Leben gerufen. Mit dem Bündnis arbeiten wir dafür, die Globalisierung gerechter zu gestalten, indem wir die Arbeitsbedingungen im Textilsektor weltweit verbessern: Vom Anbau der Baumwolle über das Färben der Fasern, das Nähen der Kleidung bis zum Verkauf. Mittlerweile engagieren sich über 180 Partner im Bündnis. Darunter viele Unternehmen, die wir aus den Fußgängerzonen und Einkaufszentren unserer Städte kennen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Verbände – und auch die Bundesregierung.

Den Textilsektor weltweit umkrempeln

Die Gründung des Bündnisses hat aber schon jetzt Vieles voran gebracht, was vor kurzem noch für unmöglich gehalten wurde. Jedes Mitglied verpflichtet sich, Jahr für Jahr konkrete Verbesserungen im Textilsektor umzusetzen: Bei der nachhaltigen Wassernutzung im Baumwollanbau genauso wie bei existenzsichernden Löhnen in den Spinnereien, dem Kampf gegen Kinderarbeit oder der Vermeidung gesundheitsschädlicher Chemikalien. Jedes Jahr erreichen wir so Hunderte von Verbesserungen, die es ohne das Bündnis nicht geben würde. Selbstverständlich geht auch die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran. Bis 2020 soll mindestens die Hälfte der Textilien, die für den Bund hergestellt werden, wie für die Bundespolizei oder die Bundeswehr, nachhaltig beschafft werden. Mit unserer Unterstützung sind in Bangladesch Inspektoren in den Textilfabriken unterwegs und es gibt eine Beschwerdestelle, bei der Arbeiterinnen und Arbeiter anonym Missstände melden können.

Wettstreit der Discounter in Sachen Fairness

Mittlerweile setzen immer mehr große Anbieter auf ganz fair produzierte Produktreihen.

Ob auf den großen Werbeflächen in den Städten oder in Zeitungsanzeigen: Von „Cotton made in Africa“ bis hin zu anderen fairen Siegeln liefern sich inzwischen selbst Discounter einen Wettstreit in Sachen Fairness und Nachhaltigkeit. Ein Wettstreit, der beweist: Es lohnt sich, bei dem, was wir alle auf der Haut tragen, mehr über die Herkunft zu wissen. Denn Wissen ist Macht. Auch beim Einkauf. Und nur mit Wissen ist es dem Einzelnen möglich, seinen Beitrag zu einer gerechten Globalisierung zu leisten. Kein Mensch will, dass für seine Jeans Menschen in Bangladesch krank werden und kaum etwas zum Leben nachhause bringen.

Kein Mensch will, dass Kinder in Pakistan an Webstühlen schuften, anstatt in die Schule zu gehen. Wenn das kein Mensch bei uns will, dann müssen wir es ändern. Und wir können es ändern, das zeigt unsere Arbeit im Textilbündnis. Uns alle eint dabei die Überzeugung: Rana Plaza darf sich nie mehr wiederholen.

Gerd Müller, Bundesentwicklungsminister

Deshalb ist es auch unsere Verantwortung als Verbraucher, beim Einkauf ganz bewusst darauf zu achten, was wir mit nach Hause nehmen. Dabei muss billig nicht schlecht und teuer gleich gut sein. Das alles können wir erfragen, beim T-Shirt für zehn Euro genauso wie bei der Jeans für 100 Euro. Je mehr wir wissen vom Weg des Kleidungsstücks vom Baumwollfeld bis zum Bügel, desto bewusster können wir unsere Kaufentscheidung treffen. Deshalb ist es gut, mit dem Onlineportal der Bundesregierung siegelklarheit.de eine Hilfestellung an der Hand zu haben.

Viele Modemarken setzen inzwischen ganz bewusst auf faire Produktlinien. Je mehr Nachfrage es gibt, desto größer wird das Angebot sein. Fair produzieren, fair einkaufen, fair leben, das ist längst eine Frage für uns alle, nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch bei Kleidung oder Elektronik. Am Anfang jeden Produkts stehen nämlich Menschen, die von ihrer Arbeit auf dem Baumwollfeld, an der Nähmaschine oder in der Coltan-Mine leben müssen. Es gibt keine erste, zweite, dritte Welt mehr. Es gibt nur EINE Welt, für die jeder von uns Verantwortung trägt – auch auf seiner Haut. Wer es immer noch nicht glauben mag, der kann sich schon heute davon überzeugen: fair ist chic, ob im Alltag oder auf dem Laufsteg. Das Textilbündnis hat einen Modetrend gesetzt, der sich nicht mehr aufhalten lässt!