Kurdische Demonstranten in Garmisch-Partenkirchen 2015 nach dem Anschlag im türkischen Diyarbakir auf eine HDP-Kundgebung. (Bild: Imago/Christian Mang)
Diskussion

Zusammenleben in Freiheit und Toleranz

Zwei Großdemonstrationen von Menschen türkischer Herkunft hatten in den letzten Monaten hierzulande für Aufsehen gesorgt. Nun lud die Hanns-Seidel-Stiftung zu einer Diskussionsrunde über das Miteinander von Menschen deutscher und türkischer Herkunft nach Ingolstadt ein. Zu Gast waren unter anderem Ministerpräsident a. D. Günther Beckstein und der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl.

Bereits im Sommer feierten hunderte Menschen türkischer Herkunft das Scheitern des Putsches in der Türkei. Hatten sie den Sieg der Demokratie gemeint? Oder den Sieg Erdoğans? Vor einigen Wochen dann waren die Kurden auf die Straße gegangen, um auf die Verfolgungsmethoden, von denen sie, aber auch immer mehr Oppositionelle betroffen sind, aufmerksam zu machen. Politische Vertreter, allen voran der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl, stellten sich daraufhin die Frage, wie sich diese Konflikte, die durch die öffentlichen Aufmärsche zutage getragen waren, auf das Miteinander von türkischstämmigen Mitbürgern untereinander und auf das Zusammenleben deutscher und deutsch-türkischer Stadtbewohner auswirken.

Die Grundrechte als Basis

Mit ihrer Veranstaltung „Zusammenleben in Freiheit und Toleranz. Zum Miteinander von Menschen deutscher und türkischer Herkunft in Ingolstadt“ wollte die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) die Botschaft senden, dass die bei uns geltenden Grundrechte Basis der Identifikation mit unserem Land bleiben müssen. Die Debatte war bereits im Vorfeld auf großes Interesse gestoßen. Knapp 150 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen im Rudolf-Koller-Saal der Volkshochschule Ingolstadt zusammen, um dem Impulsreferat des Bayerischen Ministerpräsidenten a.D., Günther Beckstein, sowie der anschließenden Podiumsdiskussion zu folgen. An dieser nahmen weiter teil: Reinhard Brandl, MdB, der Beauftragte der Stadt Ingolstadt für den christlich-islamischen Dialog, Hakan Sirt, und der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des DITIB-Landesverbandes Südbayern, Aykan Inan. Als Moderator konnte Şafak Baş, Türkeianalyst und Promotionsstipendiat der HSS, gewonnen werden.

Philipp W. Hildmann, Beauftragter für Interkulturellen Dialog und Leiter des Büros der Stiftungsvorsitzenden, nahm in seiner Begrüßung Bezug auf den Auftrag und das Selbstverständnis der HSS, die um grundsätzliche Fragen noch selten einen Bogen gemacht habe. „Im Gegenteil!“ Bei vielen türkischstämmigen Ingolstädtern habe man gemerkt, „wie viel ursprüngliches und vor allem wie viel unterschiedliches Erdreich noch an ihren Wurzeln, ihren türkischen Wurzeln hängt“, führte er bildlich in das Thema ein, um die zentrale Frage des Abends zu stellen: „Welche Konsequenzen hat dies für den guten Humus unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?

Das Thema Türkei bewegt uns derzeit wie kein anderes.

Reinhard Brandl

Mit dem Zitat „Herrscher kommen und gehen, aber die Geographien bleiben bestehen“ hob Reinhard Brandl hervor, dass Deutschland und die Türkei schon allein aufgrund ihrer Lage und Bedeutung in Europa zusammenarbeiten müssten. Deutschland dürfe die Tür nicht zuschlagen, auch keinen Anlass dazu bieten, müsse es aber schaffen, auf eine langfristige strategische Partnerschaft zu setzen und gleichzeitig den Missmut über das aktuelle Vorgehen der türkischen Regierung auszudrücken.

Integration durch Bildung

Mit Verweis auf die zeitgleich laufende Plenardebatte im Landtag über die Einführung eines Integrationsgesetzes verwies im Anschluss Günther Beckstein zunächst daraufhin, dass türkische Immigranten in den letzten Jahrzehnten nicht in dessen Genuss hätten kommen können. Integration sei also viel schwieriger gewesen. Während die Integration in die Arbeit weitgehend unproblematisch vonstattengegangen sei, zeige sich das Resultat der Integration durch Bildung ambivalent. Statt Bildung, so Beckstein, spiele die Religion für Deutsch-Türken heute wieder eine größere Rolle als früher, wenngleich die religiöse Radikalisierung unter Türken allgemein gering sei.

Die deutsche Bundespolitik hätte sich viel früher deutlich gegen jedwedes Vorgehen gegen eine demokratisch gewählte Regierung positionieren müssen, machte der ehemalige Ministerpräsident deutlich. Eine Bestrafung der Putschisten sei in Demokratien normal. Die ausufernden Verfolgungen und Säuberungen gäben allerdings durchaus Anlass zur Sorge. Der Putsch sei nun „eher Vorwand als Grund“ zu Verfolgungen. Was jetzt passiere, sei vielmehr ein „Putsch nach dem Putsch“, von dem neben vielen Gülen-Anhängern auch andere Oppositionelle betroffen seien.

Es kann gesellschaftlich nicht gewünscht werden, dass es in Deutschland zu Stellvertreterauseinandersetzungen kommt!

Günther Beckstein

Besonders kritisch wandte er sich allerdings gegen die deutsche Haltung in der Kurdenfrage. Das Dilemma eines notwendigen Einsatzes von Bodentruppen gegen den IS habe zur Bewaffnung der Peschmerga auch durch Deutschland geführt, was für ihn heiße, „den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“. Das Problem wachse dadurch zusätzlich an. Aus eigener Anschauung wisse er, dass die Kurden für ihren Waffendienst einen politischen Lohn erwarteten, der nimmermehr einzulösen sei: einen eigenen Staat.

Loyalität dem Sultan gegenüber

Er sei aufgrund der sehr diversen Traditionen immer schon gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU gewesen, erklärte Beckstein. Die jüngste Entscheidung des CDU-Parteitags zur Abschaffung des Doppelpasses könne er gut nachvollziehen. Die türkischstämmigen Deutschen müssten, sagte er pointiert, „Loyalität gegenüber Deutschland zeigen, nicht gegenüber einem Sultan in Ankara.“ Da mit der türkischen Staatsbürgerschaft freilich auch das Wahlrecht verbunden sei, bestehe immer das Risiko, dass eine ausländische Macht Einfluss auf in Deutschland lebende Menschen, gar deutsche Staatsbürger nehme.

Keine Abhängigkeit von DITIB?

Aykan Inan von DITIB Südbayern vermied politische Positionierungen. Er argumentierte vorwiegend religiös, da sich sein Verband als Religionsgemeinschaft sehe, formulierte allerdings im Namen seines Verbandes ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Eine Abhängigkeit von der türkischen Regierung bestehe zwar durchaus, doch sei diese rein finanzieller und nicht theologischer oder politischer Art, trug er vor. Inan warb aufgrund der fehlenden Einnahmemöglichkeiten konsequenterweise für einen Staatsvertrag und die damit verbundene rechtliche Aufwertung zur Religionsgemeinschaft. Davon sei auch die Ausbildung von Imamen betroffen: Gerne würde sein Verband sich, antwortete er auf die kritische Nachfrage des Moderators, rein auf in Deutschland ausgebildete Theologen verlassen, doch reiche deren Zahl schlicht nicht aus, weswegen DITIB auf qualifizierte Imame aus der Türkei angewiesen sei. Würden diese in Deutschland, in Bayern ausgebildet, könnte das Kultusministerium auch die Inhalte der Ausbildung festlegen.

Die türkischstämmigen Deutschen müssen Loyalität gegenüber Deutschland zeigen, nicht gegenüber einem Sultan in Ankara.

Günther Beckstein

Die Rolle von DITIB wurde in der Gesprächsrunde mehrfach thematisiert. Beckstein betonte, der Verband sei lange Zeit durch den liberalen Islam geprägt gewesen, hätte aber um seine nationalistische Ausrichtung nie einen Hehl gemacht. Neuerdings gebe es vermehrt „missverständliche Botschaften“; in einigen Fällen seien etwa Radikalisierte nicht gemeldet worden. Gerade die große Mehrzahl friedlicher Muslime müsste ein Interesse daran haben, dass das geschehe, um eine Rufschädigung zu vermeiden. Eine Verfassungsfeindlichkeit sei aber seiner Einschätzung nach trotz der Nähe zur Regierung und der finanziellen Abhängigkeit aktuell nicht gegeben.

Fortsetzung des Dialoges

Hakan Sirt, der Beauftragte für den christlich-islamischen Dialog der Stadt Ingolstadt, konnte die lokale Situation aus eigener Anschauung darlegen. Er verwies auf eine ganze Palette an Maßnahmen, die den inter- und intrakulturellen sowie -religiösen Austausch befördern. In Ingolstadt, betonte er, sei das Zusammenleben im Alltag problemlos.

Der JU-Kreisvorsitzende und Stadtrat Markus Meyer konnte diese ausgleichenden Töne in seinem Schlusswort aufgreifen und für die Fortsetzung des Dialoges werben. Die Diskutanten hätten zwar manchmal kritische Fragen diplomatisch umschifft, doch sei ein Zuwachs an Verständnis für die jeweiligen Positionen der schöne Ertrag der Debatte. In Umkehr des Satzes von Sebastian Kurz, dem österreichischen Außenminister, wonach es demjenigen, der sich „in der türkischen Innenpolitik engagieren will“, frei stehe, „unser Land zu verlassen“, sagte er an die Deutsch-Türken gerichtet: „Tun sie das nicht! Engagieren Sie sich hier, treten Sie in den Dienst von Staat und Gesellschaft. Treten Sie ein in Vereine, Verbände und auch Parteien. Mischen Sie sich ein, aber tun Sie es hier!“