Nur in einer rot-rot-grünen Koalition könnte die SPD vielleicht wieder den Kanzler stellen. (Foto: Picture Alliance/Patrick Pleul)
Koalition

Die SPD strebt Rot-Rot-Grün an – was denn sonst?

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Zwölf Jahre nach der Abwahl von Gerhard Schröder wollen die Sozialdemokraten unbedingt wieder den Kanzler stellen. Dazu brauchen sie Linke und Grüne, analysiert Hugo Müller-Vogg.

Im kommenden Jahr steht uns ein skurriler Wahlkampf bevor. Die Parteien werden mit Koalitionsaussagen so sparsam sein wie noch nie. Denn in dem zu erwartenden Sechs-Fraktionen-Bundestag – CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP, AfD – könnte es für klassische Zweierkoalitionen keine Mehrheit geben, nicht für Schwarz-Gelb, nicht für Rot-Grün, nicht für SPD/FDP und auch nicht für Schwarz-Grün. Deshalb werden alle sagen, sie wollten so stark werden, dass gegen sie oder ohne sie nicht regiert werden kann. Nur die rechtspopulistische AfD wird direkt die Oppositionsbänke ansteuern – weil sie gar nicht koalitions- und regierungsfähig ist.

Es ist ja offenkundig, dass SPD und Linke gut miteinander können, wie sich gerade in der Berliner Landespolitik zeigt.

Hugo Müller-Vogg

Anders als in manchen Bundesländern spricht vieles dafür, dass es auch nach der Bundestagswahl für eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD reichen dürfte. Aber weder die Union noch die Sozialdemokraten werden im Wahlkampf für eine Fortsetzung von Schwarz-Rot werben. Nach der Wahl dürfte es die SPD-Spitze noch schwerer haben als 2013, der eigenen Basis diese Konstellation schmackhaft zu machen. Denn zwölf Jahre nach der Abwahl von Gerhard Schröder will die SPD endlich wieder den Kanzler stellen. Das aber geht 2017 höchstwahrscheinlich nur in einem rot-rot-grünen Bündnis.

Gabriel hält sich alle Wege offen

Den Weg zu „r2g“ ließ der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel schon auf dem Leipziger Parteitag 2013 frei machen. Bei nur einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen beschloss der SPD-Parteitag den Leitantrag „Perspektiven. Zukunft. SPD“. In dem Text heißt es: „Für die Zukunft schließen wir keine Koalition grundsätzlich aus.“ Ausgenommen als Koalitionspartner wurden lediglich Rechtspopulisten und Rechtsextreme. Potentielle SPD-Wähler brauchen sich also keinen Illusionen hinzugeben. In der SPD gibt es keinen nennenswerten Widerstand mehr gegen ein solches Bündnis, keine weit verbreiteten Berührungsängste gegenüber der Partei Die Linke alias Linkspartei/PDS alias PDS alias SED/PDS alias SED. Aus den „Schmuddelkindern“ von einst wurden längst Bündnispartner.

Es ist ja offenkundig, dass SPD und Linke gut miteinander können, wie sich gerade in der Berliner Landespolitik zeigt. Für die Sozialdemokraten stand sofort nach Schließung der Wahllokale fest, dass Rot-Rot-Grün ihre Wunschkoalition ist. Die Liste linker Regierungsbündnisse – mit und ohne Grüne – wird dadurch noch länger. Begonnen hatte die Zusammenarbeit 1994 in Sachsen-Anhalt. Dort ließ sich die SPD-Minderheitsregierung von der PDS bis 2002 tolerieren. Es folgten rot-rote Bündnisse in Berlin (2001 bis 2011), in Mecklenburg-Vorpommern (1998-2006) und in Brandenburg (seit 2009).

Rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionen sind aber keine Ost-Spezialität. 2008 scheiterte „r2G“ in Hessen nur daran, dass vier SPD-Parlamentarier nach der Wahl nicht mittragen wollten, was die SPD vor der Wahl lautstark ausgeschlossen hatte: gemeinsame Sache mit der Linken. Zwei Jahre später konnte Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen nur Ministerpräsidentin werden, weil die Linke ihre rot-grüne Minderheitsregierung tolerierte. Der Graben zwischen SPD und Linken ist also weder breit noch tief – er ist relativ leicht überwindbar.

Die Spitze der Grünen ist sich nicht einig

Nun kann es selbst bei entsprechendem Wahlergebnis kein Rot-Rot-Grün ohne Grüne geben. Letztere sind sich, wie bei so vielen Fragen, nicht einig. Jürgen Trittin, formal ohne Amt, aber inoffizieller Anführer der „Fundis“, trommelt für „r2g“ und weiß von der Parteiführung Sabine Peter und von der Fraktionsspitze Anton Hofreiter an seiner Seite. Die beiden anderen Spitzenpolitiker aus dem doppelt quotierten Führungsquartett (Frau/Mann; Realo/Fundi), Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, streben dagegen eher Schwarz-Grün an. Doch sollte man sich da nicht täuschen. In Thüringen, ihrem eigenen Landesverband, setzte sich Göring-Eckardt nach der Landtagswahl 2014 für die erste rot-rot-grüne Koalition mit einem Linken-Ministerpräsidenten ein. Wenn’s um die Macht geht, sind die „Realos“ Göring-Eckardt und Özdemir sehr pragmatisch.

Im Bildungssystem hätte Gleichheit Vorrang vor Qualität, Elitenförderung wäre verpönt, das Leistungsprinzip würde ausgehöhlt.

Hugo Müller-Vogg

Nun kommt von sozialdemokratischer Seite gerne der Hinweis, die Linke wäre aufgrund ihrer unverantwortlichen außenpolitischen Positionen im Bund kein Koalitionspartner. Umgekehrt fordert die Linke von den beiden anderen Parteien, sie müssten ihrer „neoliberalen“ Politik, die mit der „Agenda 2010“ die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht habe, endlich brechen. Wenn Linke die SPD besonders piesacken wollen, dann fordern sie sogar eine Re-Sozialdemokratisierung der Sozialdemokraten. Doch sollte man sich nicht täuschen: Wenn Parteien unbedingt regieren wollen, dann springen sie über ihre eigenen Schatten. Dass ausgerechnet Rot-Grün deutsche Soldaten in den ersten Kampfeinsatz im Ausland schicken und im Rahmen der „Hartz“-Gesetze die stärksten Einschnitte ins soziale Netz vornehmen würde, hätten die Beteiligten vorher unter Eid bestritten. Nach der Wahl aber taten sie genau das.

Rot-rot-grün bedeutet mehr Bevormundung

Die größte Gemeinsamkeit zwischen den Beteiligten besteht sicher bei ihrer Vorstellung von einem bevormundenden Staat, der im Interesse der Bürger möglichst vieles regelt und reglementiert. Nicht der mündige Bürger ist das Ideal, sondern der betreute. Rot-Rot-Grün könnte sich wohl relativ einfach auf mehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft einigen, auf eine Staatsquote von wieder mehr als 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf mehr Rechte für Gewerkschaften und weniger für Arbeitgeber. Rot-Rot-Grün würde den Staatssektor ausweiten, den privaten Wohnungsbau zugunsten des staatlich organisierten zurückdrängen, den öffentlichen Nah- und Fernverkehr stärker fördern als den individuellen. Ohnehin würde die Regierung kollektiven Lösungen den Vorrang geben vor der Eigenverantwortung. Das Renten-, Gesundheits- und Sozialsystem würden fundamental umgestaltet. Einheitsrente und Zwangs-AOK für alle sorgten dann angeblich für mehr Gerechtigkeit, führten in der Realität aber zu einem geringeren Leistungs- und Versorgungsniveau. Im Bildungssystem hätte Gleichheit Vorrang vor Qualität, Elitenförderung wäre verpönt, das Leistungsprinzip würde ausgehöhlt.

Am nächsten sind sich SPD, Grüne und Linke neben dem Wunsch nach mehr Staat vor allem beim Ruf nach mehr Umverteilung.

Hugo Müller Vogg

Am nächsten sind sich SPD, Grüne und Linke neben dem Wunsch nach mehr Staat vor allem beim Ruf nach mehr Umverteilung. Denn in allen drei Parteien herrscht die Meinung vor, für mehr Staat und mehr Soziales wäre genug Geld da – man müsse es nur den Reichen und Superreichen abnehmen. Schon im Bundestagswahlkampf hatten sich diese drei Parteien einen Wettbewerb um den höchsten Spitzensteuersatz sowie um die „gerechteste“ Besteuerung von Vermögen und Erbschaften geliefert. Da dürfte man doch bei Koalitionsverhandlungen schnell eine gemeinsame Basis finden.

Wenn die Macht winkt, findet sich ein Weg

Natürlich gibt es auf beiden Seiten Reizthemen. SPD und Grüne werden die von ihnen beschlossenen Hartz-Gesetze nicht einfach abschaffen wollen. Für die Linke wiederum sind Nato-Mitgliedschaft, Auslandseinsätze der Bundeswehr und unsere Einbindung in die westliche Wertegemeinschaft mit ihrem Verständnis von einer Welt, in der die USA Aggressor und Russland Friedensmacht sind, nur schwer zu vereinbaren. Aber so wie sich SPD und Grüne 1998 auf eine Kompromisslinie geeinigt haben, so würde sich auch 2017 der gemeinsame kleinste Nenner unter Einbeziehung der Linken finden lassen. Wenn die Macht winkt, da gibt es dorthin fast immer auch einen Weg.

Rot-Rot-Grün hätte den aktuellen Umfragen zufolge zurzeit keine Mehrheit. Diese Konstellation wird von den Bürgern im Vergleich zu Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün auch als weniger erstrebenswert angesehen. Doch falls die SPD vor der Wahl steht, abermals den Vizekanzler oder endlich wieder den Kanzler zu stellen, wird sie auf Rot-Rot-Grün setzen. Wie gesagt: Den Weg dahin hat der SPD- Parteitag längst frei gemacht.