Entsetzen über eine „Wahnsinnstat“
Die schreckliche Bilanz der Gewalttat von München: Zehn Tote und 35 Verletzte. Unter den Toten ist auch der Täter - ein 18-jähriger Deutsch-Iraner. Laut Polizeiangaben gibt es derzeit keine Anhaltspunkt für einen Bezug zum IS. Die Staatsanwaltschaft geht im Moment von einem Amoklauf aus.
Schüsse im OEZ

Entsetzen über eine „Wahnsinnstat“

Die schreckliche Bilanz der Gewalttat von München: Zehn Tote und 35 Verletzte. Unter den Toten ist auch der Täter - ein 18-jähriger Deutsch-Iraner. Laut Polizeiangaben gibt es derzeit keine Anhaltspunkt für einen Bezug zum IS. Die Staatsanwaltschaft geht im Moment von einem Amoklauf aus.

In der Gegend um das Olympia-Einkaufszentrum in München ist es am Freitag zu einem Anschlag gekommen. Ein 18-jähriger Deutsch-Iraner hatte vor einem McDonald’s Fast-Food-Restaurant in der Münchner Hanauer Strasse um sich geschossen. Danach sei er, so berichtet die Polizei, in das nahegelegene OEZ eingedrungen und habe dort weiter um sich geschossen, ehe er weiter geflohen sei und sich schließlich offenbar selbst gerichtet hatte. Zuvor tötete er neun Menschen und verletzte 35 – darunter drei schwer. Weitere Verletzte gab es bei der Panik in der Münchner Innenstadt.

Fast alle der Getöteten waren Polizeiangaben zufolge Jugendliche. Die Getöteten stammten nach Angaben des Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä alle aus München und Umgebung. Zwei 15-Jährige und drei 14-Jährige seien ums Leben gekommen, so die Ermittler. Weitere Opfer seien 17, 19, 20 und 45 Jahre alt gewesen. Unter den neun Todesopfern seien drei Frauen gewesen. Drei Opfer stammten aus dem Kosovo.

Sechs Stunden Chaos

Zunächst war die Polizei aufgrund verschiedener Zeugenaussagen von bis zu drei Tätern ausgegangen – das aber stellte sich als falsch heraus. Inzwischen geht die Polizei davon aus, dass es sich bei dem 18-Jährigen um einen Einzeltäter gehandelt habe.

Gegen 18 Uhr waren bei der Polizei Notrufe eingegangen, die von mehreren Schüssen aus der Gegend rund um das OEZ im Norden der Stadt berichtet hatten. Was dann begann, war ein Sammelsurium an unterschiedlichen Gerüchten und Informationen. Neben den Aussagen über mehrere Täter wurden aus verschiedenen anderen Ecken Münchens fälschlicherweise Schießereien gemeldet – unter anderem am Marienplatz und am Stachus. Der Münchner Hauptbahnhof wurde ebenso evakuiert wie das Musikfestival Tollwood, nur wenige Kilometer vom OEZ entfernt. Am Freitagabend waren etwa 2300 Polizisten im Einsatz gewesen, darunter auch die Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei. Erst gegen zwei Uhr nachts klärte sich die Lage nach und nach auf.

München unter Schock

Die Landeshauptstadt München hatte zuvor den „Sonderfall“ wegen einer „Amoklage“ ausgerufen. Die Bürger wurden über das Smartphone-Warnsystem Katwarn aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. „Zu Ihrer Sicherheit Plätze & Straßen meiden; Täter flüchtig; Bahn & Busverkehr eingestellt; Radio und Fernseher einschalten“, hieß es in der Mitteilung des behördlichen Warnsystems. Auch die Münchner Polizei hatte per Twitter dazu aufgerufen, sich von öffentlichen Plätzen in der Landeshauptstadt fernzuhalten.

„Gegen 20.30 Uhr hatte demnach eine Streife der Münchner Polizei nördlich des Olympia-Einkaufszentrums Kontakt zum mutmaßlichen Täter“, teilte die Polizei mit. Als Reaktion auf die Ansprache habe er sich erschossen. Eine Zivilstreife hatte den Täter zuvor bereits am Parkhaus des Einkaufszentrums entdeckt und auf ihn geschossen, doch der junge Mann war unverletzt geblieben und konnte zunächst fliehen.

Viele Hinweise auf einen Amoklauf

Zur Identität des 18-Jährigen Mannes erklärte die Staatsanwaltschaft, er habe einen deutschen und einen iranischen Pass besessen. Er sei in München geboren und aufgewachsen und er sei Schüler. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung habe man nichts gefunden, was auf eine Verbindung zum IS oder einen „Zusammenhang mit Flüchtlingen“ hindeuten könnte, berichtete die Polizei am Samstagvormittag. Stattdessen habe man eine Vielzahl von Zeitungsartikeln über Amokläufe und auch ein Buch zu diesem Thema sichergestellt. Die Münchner Staatsanwaltschaft erklärte, sie gehe derzeit von einem „klassischen Amoktäter“ aus. Er habe sich unbestätigten Berichten zufolge wegen einer depressiven Erkrankung in ärztlicher Behandlung befunden.

Wie die Staatsanwaltschaft weiter berichtete, sei der Täter mit einer Pistole der Marke der „Glock“ bewaffnet gewesen, deren Seriennummer herausgefeilt worden war. Er habe mehr als 300 Schuss Munition bei sich gehabt. Er habe keinen Waffenschein besessen.

Eine Falle auf Facebook?

Die Polizei geht derzeit auch Hinweisen nach, dass der Täter über ein gehacktes Facebook-Konto versucht haben soll, Jugendliche in das Schnellrestaurant zu locken. Er wolle dort etwas spendieren, habe er im Internet geschrieben. Die Polizei hält diesen Hinweis für „sehr pausibel“.

Sondersitzung am Samstag

Bayerns Ministerpräsident Seehofer hatte nach einer nächtlichen Krisenrunde mit Innenminister Joachim Herrmann sein Kabinett zu einer Sondersitzung am Samstag in die Münchner Staatskanzlei einberufen. Der Ministerpräsident hatte sich zudem im Polizeipräsidium über die Lage informiert, sagte eine Regierungssprecherin.

Seehofer spricht von „Wahnsinnstat“

Seehofer zeigte sich tief getroffen von der Ereignissen. Auf einer Pressekonferenz sprach er von einer „brutalen und menschenverachtende Bluttat“ und einer „Wahnsinnstat“. Sie erfülle alle mit Trauer und Entsetzen. „Das ist ein schwerer Schicksalsschlag für die Landeshauptstadt und für ganz Bayern. Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Opfern und ihren Angehörigen. Für die Solidarität und das Mitgefühl, das wir weltweit erfahren haben, sind wir dankbar. Das gibt uns Trost und Kraft“, so Seehofer weiter. Jetzt gelte es, den Hintergrund der Morde schnellstmöglich aufzuklären. „Wir müssen alles dafür tun, um unsere Sicherheit zu verteidigen“, erklärte Seehofer. „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.“

Er bedankte sich bei den Sicherheitskräften für die Arbeit. Die Ereignisse hätten gezeigt, dass der Staat stark sei. Das politische Hauptaugenmerk müsse jetzt auf dem Thema Sicherheit liegen, stellte der Ministerpräsident klar. Die Bevölkerung könne sich darauf verlassen, dass die politisch Verantwortlichen in Bayern alles dafür täten, die Menschen zu schützen.

Wir müssen alles dafür tun, um unsere Sicherheit zu verteidigen. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.

Horst Seehofer

Am kommenden Sonntag solle es einen Trauerakt im Landtag geben, kündigte Bayerns Ministerpräsident an. Bis dahin werde die Staatsregierung alle geplanten Veranstaltungen absagen.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte: „Mein tief empfundenes Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer.“

Die Landesregierung will nach dem Amoklauf die Polizei besser ausstatten, wie Seehofer nach der Sondersitzung des Kabinetts in München sagte. „Die Bevölkerung kann sich darauf verlassen, dass wir als politisch Verantwortliche alles Erdenkliche tun werden, um unsere Bevölkerung zu schützen.“ Seehofer ließ durchblicken, dass es mehr Geld für die Polizei geben soll – sowohl für zusätzliche Stellen als auch neue und bessere Ausrüstung.

Weltweite Betroffenheit

Kanzleramtsminister Peter Altmeier sprach von „großer Betroffenheit“ und lobte die Arbeit der Münchner Polizei. Bundespräsident Joachim Gauck sagte, der „mörderische Anschlag“ erschüttere ihn zutiefst.

Aus dem Ausland kam ebenfalls eine Welle der Anteilnahme. US-Präsident Barack Obama versicherte Deutschland die Unterstützung der USA bei der Aufklärung, Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande sagte, er sei „in Gedanken bei den deutschen Freunden“. Der neue britische Außenminister Boris Johnson schrieb auf Twitter:

Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls schrieb auf deutsch:

Und auch aus der Wirtschaft und der Gesellschaft kamen erste Stimmen der Anteilnahme. Unter anderem äußerten sich der Chef des Apple-Konzerns, Tim Cook,die  Tennisprofis Sabine Lisicki und Angelique Kerber, Radprofi Tony Martin, der Turner Marcel Nguyen, Ski-Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch, Skispringer Severin Freund und der neue Trainer des FC Bayern München, Carlo Ancelotti, sowie die Vereine FC Bayern und TSV 1860 München. Der Pariser Eiffelturm erstrahlt am Samstagabend in Gedenken an die Opfer des Münchner Amoklaufs in den deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold.

(dos/avd/TR/dpa/Polizei München)