Wer wie unsere Bauern in der Natur und mit der Natur wirtschaftet, weiß, dass selten alles nach Plan läuft. Die Ernteerträge hängen von der Witterung ab, die Produktpreise vom Weltmarkt. Beides ist manchmal zufriedenstellend, manchmal nicht. Was unsere Bauern aber derzeit erleben, ist eine Preiskrise, die weit über die üblichen Schwankungen hinausgeht und die selbst Experten so nicht erwartet haben. Das weltweite Überangebot und die Nachfrageschwäche sorgen für enormen Preisdruck – auf dem Milchmarkt ebenso wie bei Schweinefleisch, Ferkeln, Getreide oder Zucker.
Es ist eine Illusion zu glauben, der Markt könne alles regeln.
Helmut Brunner
Die Gründe dafür sind vielschichtig, die nachlassende Konjunktur in China trägt dazu ebenso bei wie das Russland-Embargo. Und der bei uns stark konzentrierte Lebensmitteleinzelhandel nutzt die Überversorgung des Marktes für drastische Preissenkungen. Dadurch gerät die Landwirtschaft immer stärker unter Druck, kostendeckende Produktion ist oft nicht mehr möglich. Hinzu kommt eine ausufernde Regelungswut Brüssels, die die Bauern mit immer mehr Bürokratie überfrachtet und fast schon resignieren lässt. Das alles erfüllt mich mit großer Sorge. Denn die Landwirtschaft ist für Bayern nicht nur bedeutender Wirtschaftsfaktor, sie ist auch Garant für eine vielfältige Kulturlandschaft. Die Milch spielt dabei eine dominante Rolle, weil im Freistaat von 108.000 Betrieben 32.000 Milch erzeugen. Ein Viertel der Wertschöpfung unserer Landwirtschaft geht auf die Milch zurück. Wenn wir die Krise nicht in den Griff bekommen, werden viele Betriebe die Viehhaltung aufgeben. Ein Höfe-Sterben aber müssen wir mit allen Mitteln verhindern. Denn es hätte höchst unerwünschte Folgen für die Attraktivität und Vitalität unserer ländlichen Räume. Deshalb geht es in der Krise nicht nur um Lebensmittel und Preise. Es geht auch um das Gesicht Bayerns.
Zu viel Milch auf dem Markt
Patentrezepte aber gibt es nicht. Deshalb hat Bayern jetzt ein Maßnahmenpaket beschlossen, das an unterschiedlichen Stellschrauben ansetzt. Das einen Weg aus der Krise aufzeigt und erhebliche zusätzliche Landesmittel in Aussicht stellt. Einerseits müssen wir die drohende Zahlungsunfähigkeit vieler Betriebe verhindern – dafür brauchen wir ausreichend Liquiditätshilfen. Wo der Bund Kompetenzen hat, hat er erste Schritte unternommen: mit der Erhöhung der Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung und – mittelfristig wirksam – mit steuerlichen Entlastungen. Aber auch Brüssel muss endlich Flagge zeigen. Ich erwarte ein zweites Hilfspaket, das finanziell so ausgestattet ist, dass es auch europaweit Wirkung entfalten kann – also mit zumindest einer Milliarde Euro.
Klar ist aber auch: Finanzhilfen lösen nicht das eigentliche Problem, dass viel zu viel Milch auf dem Markt ist. Ohne eine Verringerung der Milchmenge ist alles nur schmerzlindernd, nicht heilend. 10 Cent weniger pro Kilo Milch bedeuten allein für die bayerischen Bauern einen Kaufkraftverlust von 800 Millionen Euro. Das könnten wir niemals mit staatlichen Zuschüssen kompensieren. Deshalb müssen wir das Problem an der Wurzel packen. Wir müssen wieder ein Marktgleichgewicht herstellen, also die Menge dem Verbrauch anpassen. Dabei setze ich auf drei Schritte: Zuallererst ist die Branche selbst gefordert. Erzeuger und Verarbeiter müssen sich über Menge, Preise und Laufzeit vertraglich einigen. Damit überhaupt ein Regulativ zur Mengensteuerung da ist. Zweitens müssen alle Finanzhilfen an eine Verringerung der Milchmenge gebunden werden. Denn es gilt, jeglichen Anreiz für eine Mehrproduktion zu vermeiden. Und drittens: Wenn all das keine Wirkung erzielt, ist die Bundesregierung gefordert, in Brüssel zeitlich befristet eine europaweite obligatorische Mengenkürzung herbeizuführen. Hier erwarte ich vom Bund eine Führungsrolle. Schließlich stammt ein Fünftel der Milch in Europa aus Deutschland. Die Weichen sind also gestellt, die Agrarminister der Länder haben sich den bayerischen Forderungen angeschlossen. Das ist ein eindeutiges Signal in Richtung Brüssel. Botschaft: Was bisher getan wurde, reicht nicht. Es ist eine Illusion zu glauben, der Markt könne alles regeln. Nein, den Abwärtstrend bei den Preisen können wir nur durchbrechen, wenn es gelingt, die Märkte wirksam zu entlasten.
Qualität statt Masse
Dazu gehört auch, bestehende Wachstumsmärkte weiter auszubauen – ein Schwerpunkt bayerischer Agrarpolitik. Für Bio-Produkte etwa bekommen die Erzeuger deutlich mehr Geld. Dennoch können wir die steigende Nachfrage noch immer nicht aus heimischer Erzeugung decken. Chancen bestehen auch bei Heumilchprodukten, in der Direkt- und Regionalvermarktung hochwertiger Produkte und in der Zusammenarbeit mit Gastronomen, Betriebskantinen und dem Ernährungshandwerk. Wir müssen alle Chancen nutzen, Bayern zu einem Premiumland für Agrarprodukte zu machen. Qualität statt Masse muss die Devise sein, denn mit unseren bäuerlichen Strukturen können wir das Rennen um immer größere Mengen nicht gewinnen. Wir unterstützen die Betriebe auch beim Aufbau zusätzlicher Standbeine, sei es in der Energieerzeugung, beim Urlaub auf dem Bauernhof oder bei kommunalen und sozialen Dienstleistungen. Oder mit Förderprogrammen, die unsere Betriebe zukunftsfähig halten und europaweit ihresgleichen suchen – etwa dem Kulturlandschaftsprogramm oder der Investitionsförderung. All diese Angebote sind gezielt auf den Erhalt der bäuerlichen Familienbetriebe im Freistaat ausgerichtet. Das ist alles andere als romantische Träumerei. Denn gerade in Krisen zeigt sich: Bäuerliche Betriebe sind flexibler und konkurrenzfähiger als Großbetriebe.
Wir müssen alle Chancen nutzen, Bayern zu einem Premiumland für Agrarprodukte zu machen.
Helmut Brunner
Deshalb wird der bäuerliche Familienbetrieb auch künftig im Mittelpunkt meiner Agrarpolitik stehen. Wichtige Erfolge haben wir bereits erreicht, etwa die Besserstellung der ersten Hektar bei den EU-Flächenprämien und die Befreiung kleiner Betriebe von Kontrollen. Aber das Thema Bürokratie bleibt im Fokus, weil gerade unsere Familienbetriebe zunehmend zu leiden haben. Ich werde deshalb in Kürze eine Filterstelle einrichten, die jede einzelne Regelung aus Brüssel und Berlin einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzieht. Es kann nicht sein, dass den Betrieben völlig überzogene Auflagen und Dokumentationspflichten abverlangt werden, die in keinerlei Verhältnis zum Aufwand stehen. Schillerndes Beispiel: Seit kurzem müssen die Landwirte, um ihre Prämien erhalten zu können, quadratmetergenau alle Flächen herausmessen, auf denen sie vorübergehend Stroh oder Silage lagern. Gegen solche aberwitzige Regelungen werden wir künftig nicht nur fachlich, sondern auch politisch vorgehen.