Das Kalifat bröckelt
Für die irakische Armee ist das eine wichtige Wende: Mit massiver US-Hilfe hat sie in Ramadi einen mühsamen Sieg über den Islamischen Staat errungen. Jetzt hofft Bagdad schon auf die Wiedereroberung der IS-Hauptstadt Mossul im Norden. Aber das wird noch dauern. Selbst wenn es gelänge, bliebe das zugrundeliegende Problem: die mörderische konfessionelle Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten.
Irak

Das Kalifat bröckelt

Für die irakische Armee ist das eine wichtige Wende: Mit massiver US-Hilfe hat sie in Ramadi einen mühsamen Sieg über den Islamischen Staat errungen. Jetzt hofft Bagdad schon auf die Wiedereroberung der IS-Hauptstadt Mossul im Norden. Aber das wird noch dauern. Selbst wenn es gelänge, bliebe das zugrundeliegende Problem: die mörderische konfessionelle Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten.

Ist das der Anfang einer Wende im Irak?  Die Rückeroberung der irakischen Provinzhauptstadt Ramadi – etwa 100 Kilometer westlich von Bagdad – ist für die irakische Armee ein symbolisch wie strategisch wichtiger lokaler Sieg über die Terrorarmee des Islamischen Staats (IS). Bislang war die 300.000-Einwohner Stadt Symbol für eine Schande der irakischen Regierungstruppen. Denn im vergangenen Mai hatten zahlenmäßig weit überlegene, von den Amerikanern bestens ausgerüstete irakische Truppen nur ein paar hundert IS-Kämpfern die Stadt in panischer Flucht überlassen. Dem IS waren in Ramadi große Mengen amerikanischer Waffen und Ausrüstung in die Hände gefallen. In Washington begann man zu zweifeln, dass die irakische Armee den Kampf gegen den Islamischen Staat überhaupt ernst meinte. Die irakischen Truppen hätten schlicht „keinen Kampfeswillen gezeigt“, erklärte nach der Katastrophe US-Verteidigungsminister Ashton Carter: „Wir können ihnen Ausbildung geben, wir können ihnen Ausrüstung geben, aber wir können ihnen ganz offensichtlich nicht den Willen geben zu kämpfen.“ Die Rückeroberung Ramadis könnte jetzt ein Hinweis darauf sein, dass sich in der irakischen Armee langsam etwas ändert.

Mühsamer Sieg: 10.000 irakische Soldaten gegen 1000 IS-Terroristen

Dazu kommt, dass die am Euphrat und an einer wichtigen Straße von Syrien nach Bagdad gelegene Stadt von strategischer Bedeutung ist: Die noch 40 Kilometer weiter östlich und damit Bagdad noch nähere IS-Bastion Falludscha ist nun von IS-Nachschub aus Syrien völlig abgeschnitten und isoliert. Die Rückeroberung Ramadis verringert den militärischen Druck auf Bagdad, das jetzt Luft erhält, um weitere Einsätze gegen den Islamischen Staat zu planen. Zumal es nicht die einzige IS-Niederlage ist: Schon Ende März hatte der Islamische Staat die Tigris-Stadt Tikrit aufgeben müssen. Im Oktober eroberten irakische Truppen die ebenfalls im sogenannten sunnitischen Dreieck gelegene Öl-Stadt Baidschi zurück. Ende November nahmen kurdische Peschmerga-Kämpfer dem IS die nordirakische Stadt Sindschar wieder ab. Am 25. Dezember eroberten wiederum kurdische Kämpfer den Tishrin-Damm in der nordsyrischen Provinz Aleppo – und unterbrechen dadurch die Verbindung zwischen der syrischen IS-Hauptstadt Rakka und dem IS-Gebiet nahe der syrisch-türkischen Grenze. Der Islamische Staat hat so in den vergangenen Monaten bis zu einem Viertel des eroberten Territoriums wieder verloren. Das Kalifat bröckelt.

Nach der Rückeroberung Ramadis ist die IS-Bastion Falludschah – vor den Toren Bagdads – vom Nachschub aus Syrien abgeschnitten und isoliert.

Der Fall Ramadi führt allerdings auch vor, wie schwer der Kampf gegen den Islamischen Staat noch werden wird: Es brauchte etwa 10.000 irakische Soldaten und sunnitische Stammeskrieger, um vielleicht 1000 IS-Kämpfer aus Ramadi zu vertreiben – nach monatelangen Vorbereitungen, einem halben Jahr Luftkrieg mit 630 Einsätzen gegen IS-Stellungen und schließlich drei Wochen mühsamem Kampf um die Stadt mit noch einmal mindestens 30 Luftangriffen auf IS-Positionen in Ramadi. Trotz der riesigen Übermacht der internationalen Allianz gegen den IS war das alles allenfalls der Anfang einer Wende in der an Bagdad grenzenden Sunniten-Provinz Anbar: Außer Falludschah hat der IS dort noch die Städte Ana, Rawa, Hit und Al-Kaim mit zusammen etwa 700.000 Einwohnern in der Hand.

Keine Rolle für Schiiten

Aufschlussreich: Auf amerikanisches Drängen hin haben jene Schiiten-Milizen, die bislang beim Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak eine entscheidende Rolle spielten, an der Rückeroberung der Sunniten-Stadt Ramadi nicht teilgenommen. Die Amerikaner, die die irakischen Truppen beraten, wollen in der Provinz einen Aufstand der Sunniten gegen den IS herbeiführen. Dabei wären die vom Iran unterstützten und finanzierten Schiiten-Milizen, die andernorts auch schon Massaker an sunnitischer Bevölkerung veranstaltet haben sollen, nur im Wege.

Die sunnitischen Stämme in der Region sind tief gespalten − für den Islamischen Staat und dagegen.

Die weitgehend schiitische Regierung in Bagdad will denn auch aus dem gleichen Grund die Sicherheitsverantwortung in Ramadi an örtliche Polizeikräfte und eine sunnitische Stammestruppe übergeben. „Wir haben hunderte von Stammeskämpfern ausgebildet, und ihre Rolle ist jetzt, die Stadt zu halten“, erläutert ein irakischer Brigade-General die Lage. Gefahr droht Ramadis Sunniten allerdings nicht nur von schiitischer Seite, sondern auch von den eigenen Leuten, erinnert die Neue Zürcher Zeitung: Im Mai hatten IS-Schergen Hunderte IS-feindliche sunnitische Stammesangehörige ermordet – die Stammesführer haben allen IS-Kollaborateuren in Ramadi furchtbare Rache angedroht. Die sunnitischen Stämme in der Region sind tief gespalten − für den Islamischen Staat und dagegen.

Optimismus in Bagdad: Mossul als nächstes

Nach der Rückeroberung Ramadis nimmt die irakische Armee schon die irakische IS-Hauptstadt Mossul im Norden des Landes in den Blick. „Der glatte Sieg in Ramadi sollte eine glückliche Nachricht für die Bewohner von Mossul sein“, erklärte ein Militärsprecher. Tatsächlich wäre die Wiedereroberung der zweitgrößten Stadt des Irak so etwas wie der Anfang vom Ende des Islamischen Staats. Mossuls zwei Millionen steuerzahlende Bewohner sind eine der wichtigsten Einnahmequellen des IS. Ohne Mossul könnte sich der Islamische Staat kaum noch Staat nennen.

Ohne Mossul könnte sich der Islamische Staat kaum noch Staat nennen.

Leicht wird es nicht werden. Beobachter sprechen von 2000 bis 30.000 IS-Kämpfern in Mossul − was vor allem heißt, dass man offenbar sehr wenig weiß über die IS-Bastion Mossul. Wie auch immer, anders als in Ramadi wird es in Mossul ohne die Beteiligung der Schiiten-Milizen nicht gehen. Problem: Auch die Bewohner Mossuls sind praktisch ausschließlich Sunniten. Und ob diese die Wiederherstellung der Herrschaft des jetzt schiitischen Bagdad dem Regime des radikal-sunnitischen Islamischen Staats vorziehen, ist alles andere als gewiss.

Kein Wunder, dass unter vielen Kurden, Sunniten und Schiiten das Gefühl herangewachsen ist, dass der irakische Staat zur Auflösung verdammt ist und dass getrennte Kleinstaaten die einzige Lösung sind.

The National (Abu-Dhabi)

Ein Jahrzehnt ethnischer Säuberungen in Bagdad, Basra und anderswo hat unter Schiiten und Sunniten im Irak das Vertrauen zerstört, dass die Staatsmacht sie schützen kann. Selbst wenn es gelänge, den Islamischen Staat zu besiegen, warnt die in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) erscheinende englischsprachige Zeitung The National (Auflage: 40.000), bliebe der zugrundeliegenden Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ungelöst: „Kein Wunder, dass unter vielen Kurden, Sunniten und Schiiten das Gefühle herangewachsen ist, dass der Staat zur Auflösung verdammt ist und dass getrennte Kleinstaaten die einzige Lösung sind.“

Nach dem Sieg in Ramadi wird die Befreiung des geliebten Mossul durch die Zusammenarbeit und Einheit aller Iraker erreicht werden.

Premierminister Haider Al-Abadi

Gerade mit Blick auf das sunnitische Mossul ist darum so wichtig, wie es jetzt im ebenfalls sunnitischen Ramadi weiter geht. „Nach dem Sieg in Ramadi wird die Befreiung des geliebten Mossul durch die Zusammenarbeit und Einheit aller Iraker erreicht werden“, beschwört denn auch in Bagdad der schiitische Premierminister Haider Al-Abadi alle Iraker. Aber bevor eine irakische Armee, in welcher Zusammensetzung auch immer, nach Mossul marschiert, muss sie noch ein anderes Problem lösen, vor den Toren Bagdads: Falludschah.