IS-Schergen in Deutschland?
Eine junge Jesidin ist mit ihrer Familie geflohen − aus Deutschland in den Nordirak. Weil ein IS-Scherge, der sie im Irak als Sklavin gekauft und drei Monate missbraucht hatte, sie im württembergischen Schwäbisch Gmünd aufgespürt hat.
Jesidin

IS-Schergen in Deutschland?

Eine junge Jesidin ist mit ihrer Familie geflohen − aus Deutschland in den Nordirak. Weil ein IS-Scherge, der sie im Irak als Sklavin gekauft und drei Monate missbraucht hatte, sie im württembergischen Schwäbisch Gmünd aufgespürt hat.

Eine aus Deutschland geflohene Jesidin, die in Schwäbisch Gmünd ihrem IS-Peiniger begegnet sein soll, beklagt mangelnde Zusammenarbeit mit den deutschen Ermittlern. Die deutschen Behörden hätten sie zuletzt nicht kontaktiert, obwohl sie im Nordirak erreichbar sei, sagte Aschwak Hadschi Hamid Talo der Deutschen Presse-Agentur. „Warum rufen die mich nicht an?”

Das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg hatte zuletzt im Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt, die Ermittlungen könnten im Moment nicht fortgeführt werden, „da die Zeugin für Rückfragen aktuell nicht erreichbar ist”. Auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sagte, dass eine Befragung Anfang Juni daran gescheitert sei, dass die 19-Jährige zu dem Zeitpunkt schon außer Landes gewesen sei.

Erst seit Juni ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe in dem Fall, über den zunächst die Tageszeitungen Welt und Bild unter Berufung auf eine irakische Nachrichtenseite und ein Internetvideo berichtet hatten. Aber schon am 26. Februar hatte die junge Jesidin Anzeige erstattet.

Vom IS versklavt

Aschwak gehört der im Nordirak lebenden ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden an. Als 15-Jährige wurde sie nach eigenen Angaben 2014 von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verschleppt und auf einem Sklavenmarkt für 100 Dollar an ein IS-Mitglied verkauft.

Er hat gesagt: ‚Du bist meine Frau.‘ Er hat mich geschlagen, jeden Tag.

Aschwak, 19-jährige Jesidin

Ihr neuer Besitzer nannte sich Abu Humam. Er habe sie monatelang geschlagen und missbraucht, bevor sie fliehen und schließlich nach Deutschland reisen konnte, berichtet das Mädchen. Aschwak: „Er hat gesagt: ‚Du bist meine Frau.‘ Er hat mich geschlagen, jeden Tag. Ich musste putzen und aufräumen.”

In Deutschland vom IS verfolgt und aufgespürt?

In ihrer neuen Heimat in Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg hat sie sich schon 2016 verfolgt gefühlt. Im Februar 2018 hat sie dann eigenen Angaben zufolge jenen Abu Humam auf der Straße wiedergetroffen. Der Mann sprach sie auf Deutsch an: „Du bist Aschwak, ich bin Abu Humam. Ich weiß, seit wann Du in Deutschland bist, mit wem Du lebst, wo Du wohnst.”

Ich weiß, seit wann Du in Deutschland bist, mit wem Du lebst, wo Du wohnst.

Abu Humam, zu seinem Opfer

Das Mädchen erkannte ihn sofort. „Er sagt, er kenne mein ganzes Leben in Deutschland. Ich hatte solche Angst, ich konnte nicht mehr reden”, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Im Interview mit der Bild-Zeitung: „Ich bin ganz sicher, 100 Prozent sicher, dass er Abu Humam ist.”

Ein Phantombild und weitere Zeugen

Die Polizei hatte mit den Angaben der 19-Jährigen ein Phantombild erstellt und versucht, den Mann zu finden. Leider seien ihre Angaben nicht sehr präzise gewesen und der Name, den sie nannte, habe sich keiner Person zuordnen lassen, so eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Recherchen des Südwestrundfunks (SWR) stützen allerdings die Darstellung der Frau. Die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Jesiden, Zemfira Dlovani, sagte dem Rundfunk, weitere Mädchen hätten den mutmaßlichen IS-Kämpfer wiedererkannt. Genauere Angaben zur Identität der Zeuginnen wolle sie derzeit nicht machen.

Außerdem wollen sieben weitere Jesidinnen im Südwesten ihre Peiniger wiedererkannt haben. Diese Zahl nannte ein Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart. Darunter seien auch Fälle gewesen, bei denen die Behauptungen im Zuge der Ermittlungen widerlegt worden seien – also offenbar ein Irrtum bei der Wiedererkennung vorlag.

Angst vor dem IS – in Deutschland

Nach anderthalb Monaten hat Aschwak es nicht mehr ausgehalten. Aus Angst vor ihrem Verfolger, der sie in Deutschland aufgespürt hat, ist sie mit ihrer Familie geflohen − aus Deutschland in ihre Heimat Nordirak. Zurück nach Deutschland will Aschwak nicht mehr „Ich hatte solche Angst, ich konnte nicht mehr in Deutschland bleiben”, sagte sie. Sie sei nach Baden-Württemberg gekommen, um ihren Peiniger zu vergessen. Dies sei dort aber nicht mehr möglich.

Das Mädchen fürchtet, dass sich noch mehr IS-Angehörige in Deutschland aufhalten: „Das stellt eine Gefahr für Deutschland selbst dar und vor allem für die Jesidinnen.” Auch Aschwak berichtet von Freundinnen, die ihr von ähnlichen Begegnungen mit ehemaligen IS-Kämpfern erzählt haben. Aber niemand wolle diese Geschichten ernst nehmen: „Niemand hört uns, niemand glaubt uns.”

Wenn er mein ganzes Leben in Deutschland kennt, dann hat er seine Verwandten auch dort.

Aschwak

„Deutschland hat sehr viel für uns gemacht, hat uns sehr geholfen”, sagt das Mädchen. „Deutschland hat sehr viel für die jesidischen Flüchtlinge gemacht.” Aber jetzt ist die Angst größer als die Dankbarkeit oder das Vertrauen: „Ich mag Deutschland auf jeden Fall, aber ich kann nicht mehr dort bleiben.”

Mehr als nur ein Einzelfall?

Aschwak hatte schlicht Angst, in Deutschland von dem IS-Schergen entführt zu werden. Das offenbart sie im Interview mit der Bild-Zeitung, die das Mädchen dafür im Irak aufsuchte: „Wenn ich allein bin, wenn ich zur Schule gehe, kann er mich mitnehmen.” Aschwak: „Wenn er mein ganzes Leben in Deutschland kennt, dann hat er seine Verwandten auch dort.”

Das stellt eine Gefahr für Deutschland selbst dar.

Aschwak

Folgen IS-Schergen ihren Opfern also nach Deutschland und verfolgen sie dort? Weil sie sie als „ihre” Frauen betrachten? Ein schlimmer Verdacht, kommentiert die Stuttgarter Zeitung: „Könnte es sich gar um mehr als einen Einzelfall handeln? Es wäre ein unerträglicher Gedanke, dass sich IS-Sklavenhalter ausgerechnet in Baden-Württemberg aufhalten.” Und wieder Jesidinnen jagen. In Deutschland. (dpa/BK/H.M.)