Flaggen vor dem Hauptquartier der Nato in Brüssel. (Foto: Thierry Monasse/Picture Alliance)
Nato

Für Frieden in einer unberechenbaren Welt

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-MAGAZIN: Vor 70 Jahren wurde die Nato als westliches Verteidigungsbündnis gegründet. Deutschland hat in besonders hohem Maß von diesem Schutzschirm und der Solidarität der Mitglieder profitiert. Von Reinhard Brandl.

Am 4. April 1949, vier Jahre nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges, wurde in Washington der Vertrag der „North Atlantic Treaty Organization“ (Nato) von den USA und Kanada sowie den westeuropäischen Ländern Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen und Portugal unterzeichnet. Die zwölf Gründungsmitglieder verpflichteten sich, in dem berühmt gewordenen Artikel 5 des Vertrags, im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen eines oder mehrere von ihnen zu gegenseitigem Beistand.

Das neu geschaffene Bündnis war aber von Anfang an nicht als reine Militärallianz, sondern ganz dezidiert als Wertebündnis konzipiert, mit einem starken Bekenntnis zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Präambel. Es war die westliche Gegenerzählung zum gerade erst besiegten Nationalsozialismus und zum aufstrebenden Kommunismus in den Ländern im Umfeld der Sowjetunion. Deutschland ist 1955 der Nato beigetreten und damit in der westlichen Welt angekommen. Von Anfang an stand die deutsche Nato-Mitgliedschaft in einer starken Verbindung zu Europa. Zeitgleich ist Deutschland Mitglied der Westeuropäischen Union geworden, der Vorläuferorganisation der heutigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union.

Garant für Sicherheit

Über 50 Jahre lang musste die Notwendigkeit des transatlantischen Bündnisses nicht weiter begründet werden. Der ideologische Feind stand im Osten. Im Westen galten die Nato und die USA als Garanten für Sicherheit und Freiheit. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien die Frage nach der richtigen Staatsform entschieden. Aus früheren Feinden wurden Partner und sogar Freunde. Viele Länder des ehemaligen Warschauer Pakts orientierten sich nach dessen Zusammenbruch in Richtung Westen und strebten eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Nato an. Russland schloss 1994 mit der Nato eine „Partnerschaft für den Frieden“. 1997 wurde mit der Nato-Russland-Grundakte die Kooperation weiter vertieft und mit der Einrichtung des Nato-Russland-Rats auch institutionalisiert.

Unsere Partner erwarten, dass wir als größtes und wirtschaftsstärkstes europäisches Land unseren fairen Beitrag für die Sicherheit des Bündnisses leisten.

Reinhard Brandl

Der Wandel von einer bipolaren hin zu einer multipolaren Welt hat in den darauffolgenden Jahren die Nato vor neue Herausforderungen gestellt. Nicht mehr die Verteidigung des Bündnisgebiets, sondern internationale Krisen- und Konfliktbewältigung sowie der Kampf gegen den internationalen Terrorismus standen plötzlich im Mittelpunkt des Bündnisses. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wird erstmals der Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen. Die Nato-Mitgliedsländer stellten sich in Afghanistan an die Seite der USA im Kampf gegen Al-Qaida und die Taliban. Bis heute ist die Nato dort im Einsatz.

Neue Aufgaben im Osten

Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem destabilisierenden Verhalten Russlands in der Ostukraine kamen 2014 neue beziehungsweise alte Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung wieder mit hinzu. Insbesondere in den Ländern an der Ostflanke des Bündnisses blickt man mit einer Mischung aus Sorge und Angst auf das Verhalten des großen Nachbarn Russland. Die Nato hat auf die veränderte Sicherheitslage besonnen – aber auch entschlossen – reagiert. Die Hand in Richtung Russland bleibt weiterhin ausgestreckt. Jedoch lässt die Nato keinen Zweifel daran, dass sie im Falle eines Angriffs bereit und in der Lage wäre, das Bündnisgebiet zu verteidigen.

Auch die Bundeswehr engagiert sich im Rahmen von sogenannten Rückversicherungsmaßnahmen – wie der Teilnahme an Übungen, der Führung einer Battlegroup in Litauen sowie der Sicherung des Luftraums über dem Baltikum – für die Sicherheit unserer östlichen Partnerländer. Seit Anfang 2019 übernimmt Deutschland zudem für ein Jahr die Führung der Schnellen Eingreifkräfte der Nato (Very High Readiness Joint Task Force, kurz: VJTF). Die Bundeswehr verpflichtet sich damit, eine Brigade, bestehend aus circa 5.000 Soldatinnen und Soldaten, im Ernstfall innerhalb von wenigen Tagen verlegen zu können.

Trendwende bei der Bundeswehr

Die Bundeswehr kann diesen Auftrag nur unter großen Anstrengungen und hohem persönlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten erfüllen. Es rächt sich nun, dass seit Ende des Kalten Krieges ihre personellen, finanziellen und materiellen Kapazitäten permanent abgebaut wurden. Mit der Veränderung der Sicherheitslage haben wir im Deutschen Bundestag zwar ab 2015 die Trendwende eingeleitet, aber der Aufbau von neuen Kapazitäten dauert Jahre. Einen hoch qualifizierten Soldaten kann man zum Zwecke des Personalabbaus mit einer einzigen Unterschrift in den Vorruhestand versetzen, aber bis man einen jungen Soldaten wieder auf ein vergleichbares Ausbildungsniveau hebt, braucht es meistens zehn Jahre oder länger. Die Bundeswehr befindet sich momentan zwar wieder in einer Wachstumsphase, Deutschland ist aber noch weit von der Einhaltung der eigenen Zusagen entfernt, beispielsweise die Verteidigungsausgaben in Richtung von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu bewegen.

Schwierige Debatte in Deutschland

70 Jahre Nato lehren uns, dass äußere Sicherheit für ein Bündnis nie für alle Zeit gegeben ist. Sicherheitspolitische Herausforderungen unterliegen einem ständigen Wandel. Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg vom Schutzschirm der Nato und der Solidarität seiner Mitglieder profitiert. Heute erwarten unsere Partner, dass wir als größtes und wirtschaftsstärkstes europäisches Land unseren fairen Beitrag für die Sicherheit des Bündnisses leisten.

Die öffentliche Debatte darüber in Deutschland ist schwierig, da für viele Menschen eine äußere Bedrohung nicht wahrnehmbar ist. Darüber können wir wirklich froh sein. Das momentane Gefühl der Sicherheit darf nur die strategische Diskussion darüber nicht verdrängen, wie die tatsächliche Sicherheit langfristig und angesichts neuer Bedrohungen erhalten werden kann. Die Nato hat in jedem Fall einen großen Beitrag dazu geleistet, dass wir in Deutschland seit 74 Jahren in Frieden und Sicherheit leben können. Der 70. Geburtstag des Bündnisses ist ein guter Zeitpunkt, darüber einmal wieder öffentlich zu sprechen.

Reinhard Brandl ist außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU im Bundestag.