Gemeinsam mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller besucht Wolfgang Stefinger ein Gewächshaus in einem Flüchtlingscamp bei Dohuk. (Foto: W. Stefinger)
Irak

Hoffnung für ein geschundenes Land

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Die Bundesrepublik engagiert sich wie kaum ein anderes Land beim Wiederaufbau im Irak. Die zahlreichen Projekte sollen es den Menschen ermöglichen, in ihre Heimat zurückzukehren. Ein Reisebericht von Wolfgang Stefinger

Wir stehen in der Altstadt von Mossul. Genauer, in der zerstörten Al-Nuri-Moschee, in der der IS seinen Herrschaftsanspruch und das Kalifat ausgerufen hat. Heute gleicht die Altstadt einem Trümmerfeld. Der IS ist territorial besiegt, jedoch gibt es noch Kämpfer in der einstigen Metropole. Keine andere irakische Stadt hat mehr unter dem IS-Terror gelitten als Mossul. Über eine Million Menschen, darunter 500.000 Kinder, sind geflohen. Straßen, Brücken, Häuser, Krankenhäuser und Schulen sind zerstört. Minen und versteckte Sprengfallen machen Teile der Stadt unbewohnbar. Knapp 37.000 Sprengsätze haben die Vereinten Nationen mit ihrer Sprengfallenentschärfungstruppe UNMAS bereits beseitigt. Dennoch wird es Jahre dauern, bis keine Gefahr mehr von den Bergen aus Schutt und Asche ausgeht.

Hilfe für Heimkehrer

In den letzten Monaten wurden mit deutscher Unterstützung Schulen und Wohnungen im Irak wieder aufgebaut. Etwa 780.000 Binnenvertriebene konnten so bereits in ihre Heimat zurückkehren. Zurückkehren in eine zerstörte Heimat, in der nichts mehr so ist, wie es einmal war. 2,2 Millionen Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land, dazu kommen noch einmal 250.000 geflohene Syrer. Sie alle brauchen eine Perspektive, Arbeit und Hoffnung. Hoffnung auf eine gute Zukunft. Hierzu sollen auch die Beratungszentren für Rückkehrer beitragen. Das erste wird von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im kurdischen Erbil eröffnet. Es ist Teil einer Vereinbarung mit der irakischen Regierung, eine noch stärkere Zusammenarbeit bei der Rückkehr von Flüchtlingen zu etablieren. „Niemand soll als Loser in seine Heimat zurückkehren müssen“, betont Gerd Müller, der Unterstützung geben möchte auch bei einer freiwilligen Rückkehr irakischer Flüchtlinge aus Deutschland.

Wir treffen den 22 Jahre alten Abu, der uns von seiner Flucht nach Deutschland erzählt – und von seiner Rückkehr. Dank der deutschen Entwicklungsarbeit und dem deutschen „Cash for Work“-Programm, das insgesamt 35.000 Jobs schaffen wird, arbeitet er als Taxifahrer und kann sich um seine kranke Mutter kümmern. Auch Bestoun kam mit seiner Frau und seiner Familie zurück aus Deutschland. Die beiden Töchter sprechen nach dem über anderthalbjährigen Aufenthalt sehr gut Deutsch. Sie freuen sich wieder zurück zu sein. „Deutschland war schön und die Leute waren sehr freundlich. Aber hier sind wir zu Hause“, erzählt eines der Mädchen. Sie hält ihren Stiefbruder an der Hand, den die Familie als Waisenkind aufgenommen hat, als sein Vater bei der Flucht ums Leben kam.

Indem wir beim Wiederaufbau helfen und Ausbildung und Beschäftigung fördern, schaffen wir die Grundlagen für die Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen.

Wolfgang Stefinger

Wir fragen die Zurückgekehrten, warum sie nach Deutschland geflohen sind. Häufig bekommen wir die Antwort: „Es gab ein soziales Problem.“ Das ist die Umschreibung dafür, dass sie zwischen die Fronten von Clans und Milizen geraten sind, zwischen IS-Gegner und IS-Unterstützer. Menschen, mit denen sie einst friedlich zusammenlebten, Freunde, Nachbarn, Verwandte. Dank des Beratungszentrums werden die Eltern nun umgeschult. Ihre früheren Jobs, die gibt es nicht mehr. Die Kinder gehen in die Schule und wollen später Lehrer werden, erzählen sie uns. Indem wir beim Wiederaufbau helfen und Ausbildung und Beschäftigung fördern, schaffen wir die Grundlagen für die Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen. Denn wir bieten den Menschen Zukunftsperspektiven.

Schusswesten und Checkpoints

Die Rückkehr möglichst vieler Iraker ist wichtig. Andernfalls ist ein Wiederaufbau schwierig. Das sehen auch die Regierungsvertreter des Iraks und der Region Kurdistan so. Sie wissen, dass ihr Land von der Normalität weit entfernt ist. Auch wir spüren das. Wir können uns nur mit Sicherheitskräften bewegen. In der Hauptstadt Bagdad kann Sicherheit nur in der streng bewachten „Green Zone“ gewährleistet werden. Mit unseren gepanzerten Fahrzeugen müssen wir mehrere Checkpoints passieren, um zu unseren Terminen zu gelangen. Das Tragen von schusssicheren Westen ist Pflicht.

Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Geldgeber für den Irak.

Minister Müller wird nicht müde zu betonen, dass Reformen für ein besseres Wirtschaftsumfeld notwendig sind und die Korruption konsequent bekämpft werden muss. „Denn neue Jobs schafft nur die Wirtschaft“, erklärt er immer wieder. Insbesondere die Behörden müssen für schnellere Verwaltungs- und Vergabeentscheidungen sorgen. Ansonsten dürfte es schwierig werden, Firmen aus dem Ausland in das Land zu locken, das eigentlich mit seinen Ölvorräten ein reiches Land ist. Doch aufgrund des niedrigen Ölpreises sind die Einnahmen stark zurückgegangen.

Deutschland ist zweitgrößter Geldgeber nach den USA: Derzeit werden vom Bundesentwicklungsministerium Projekte in Höhe von knapp 480 Millionen Euro umgesetzt, zugesagt sind noch einmal 350 Millionen Euro. Das Geld fließt überwiegend in Projekte der Nothilfe und in den Wiederaufbau. So wird in Dohuk im Norden des Irak der Grundstein für die Erweiterung der Notfallambulanz von 20 auf künftig 130 Betten gelegt und im Flüchtlingscamp eine Kläranlage eröffnet, um die Ausbreitung von Krankheiten zu reduzieren. Durch den Wiederaufbau von Schulen, alleine 180 im zerstörten Mossul, haben 600.000 Kinder wieder Zugang zu Bildung. Ihre Freude an einem einigermaßen geregelten Alltag ist ihnen anzusehen. Und in ihren Augen blitzt auch ein Funken Hoffnung auf. Hoffnung auf eine bessere und friedliche Zukunft.

Auch, dank deutscher Hilfe.

Zahlen, Daten, Fakten

Der Irak hat knapp 40 Millionen Einwohner, dazu kommen 250.000 syrische Flüchtlinge. 2,2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. 3,6 Millionen sind bislang in die befreiten Gebiete zurückgekehrt. Fast neun Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe, die Hälfte davon sind Kinder. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 16 Prozent, bei den Jugendlichen sind es 36 Prozent. Deutschland hat seit 2014 insgesamt mehr als 1,3 Milliarden Euro an Zusagen gemacht und ist damit im Irak zweitgrößter Geber nach den USA. Die Mittel fließen vorrangig in den Wiederaufbau, die Unterstützung für Rückkehrer, die wirtschaftliche Entwicklung und die Dezentralisierung.