Europa steht vor einer Richtungsentscheidung. (Bild: Imago/Ralph Peters)
Ausland

Europa am Scheideweg

Erst meldete sich die Kanzlerin in einem Interview zu Wort. Auf der Klausurtagung der Europäischen Volkspartei in München folgte jetzt die europapolitische Grundsatzrede. Zur Debatte stellt sie eine runderneuerte EU als starke Stimme in der Welt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht Europa am Scheideweg und fordert tiefgreifende Reformen − nicht nur der Außen-, Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik, sondern auch in den europäischen Institutionen. Bleibe die EU stehen, werde sie im globalen Gefüge zerrieben, warnte die CDU-Chefin am Mittwochabend in einer Grundsatzrede in München. „Wenn Europa ein globaler Akteur sein will, dann muss es sich auch wie ein globaler Akteur verhalten.” Das erfordere Mühe, Mut und Entschlossenheit − „und kostet auch Geld”.

Europäische Flüchtlingspolitik

In der Rede bei einer Klausurtagung der Europäischen Volkspartei präzisierte Merkel die Vorschläge für die Zukunft Europas, die sie am Wochenende in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gemacht hatte. Ihr Grundtenor: Europa müsse in einer unsicheren Welt eine neue und entschlossene Rolle für sich finden und ein „neues, umfassendes Sicherheitsversprechen” für seine Bürger einlösen. Damit greift sie einige Ideen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf – und setzt einige eigene Akzente.

Wenn es uns nicht gelingt, eine gemeinsame Antwort auf Fragen der illegalen Migration zu finden, dann werden die Grundfesten der Europäischen Union infrage geraten.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Eindringlich forderte die Kanzlerin eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik − eine Aufgabe, bei der die EU-Innenminister diese Woche nicht vorangekommen waren. „Wenn es uns nicht gelingt, eine gemeinsame Antwort auf Fragen der illegalen Migration zu finden, dann werden die Grundfesten der Europäischen Union infrage geraten”, sagte Merkel. „Deshalb ist wirklich hier Handeln geboten.” Sie bekräftigte ihre Forderungen nach einem einheitlichen europäischen Asylsystem und mittelfristig auch einer europäischen Asylbehörde.

Um die Zuwanderung nach Europa dauerhaft zu verringern und kontrollieren zu können, reichten aber weder eine europäische Grenzpolizei noch Abkommen mit anderen Staaten. „Wir brauchen eine wirkliche Fluchtursachenarbeit, wir brauchen Entwicklungschancen in den Herkunftsländern”, sagte Merkel.

Europaparlament nur noch in Brüssel?

Darüber hinaus bekräftigte die Kanzlerin ihre Forderung nach einem Umbau der europäischen Institutionen: Aus dem bisherigen Eurorettungsschirm soll ein europäischer Währungsfonds werden. Für eine schlagkräftige Außenpolitik will sie einen europäischen Sicherheitsrat. Dieser soll nach Merkels Worten im Rotationsprinzip etwa zehn Mitglieder haben und rasch Entscheidungen treffen.

Merkel plädierte zudem dafür, die Arbeit des Europäischen Parlaments nur noch auf einen Standort zu konzentrieren − ein seit Jahren debattiertes Streitthema. Derzeit ist die Arbeit auf drei Standorte verteilt: Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Vor allem Frankreich leistet erbitterten Widerstand, den Standort Straßburg aufzugeben, obwohl Politiker aller Fraktionen lieber nur noch in Brüssel tagen würden. Sie reisen einmal im Monat mit allen Mitarbeitern und Akten nach Straßburg, was Millionenkosten verursacht.

Ich glaube, Europa steht am Scheideweg.

Angela Merkel

Merkel warb erneut dafür, die EU-Kommission zu verkleinern und künftig bei Europawahlen sogenannte transnationale Listen zu nutzen, also Kandidatenlisten, für die EU-Bürger unabhängig vom Heimatland stimmen können. Nur dann machten auch Spitzenkandidaten wirklich Sinn. „Das institutionelle Gefüge passt noch nicht”, sagte Merkel.

EVP-Linie vor der Europawahl

In der noch bis 2019 dauernden Legislaturperiode stellt die EVP die größte Fraktion im Europäischen Parlament. Ihr gehören EU-Abgeordnete der konservativ-bürgerlichen Parteien der EU-Staaten an. Aus Deutschland sind aktuell 29 Parlamentarier der CDU und fünf der CSU Mitglieder in der EVP-Fraktion. Der Niederbayer und CSU-Vize Manfred Weber ist seit 2014 Fraktionschef.

Europa braucht einen Aufbruch. Die Menschen in Europa stehen zur EU, wollen aber Reformen.

Manfred Weber, CSU-Vize und EVP-Fraktionschef

In ihrer dreitägigen Klausur bis Freitag steckt die EVP-Fraktion ihre politische Linie für die nächsten Monate ab − rund ein Jahr vor der Europawahl 2019. Fraktionschef Weber sagte: „Unsere Hauptaufgabe ist der Kampf gegen die Extremisten in Europa, die den Menschen erzählen, dass nationaler Egoismus vor Partnerschaft geht, dass das funktionieren kann.” Die EVP stehe für das Brückenbauen, für Partnerschaften zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West. In einer sich fundamental wandelnden Welt müsse „Europa erwachsen werden, muss Europa Stärke gewinnen”.