Menschenrechtler vor Gericht
In Istanbul beginnt der Prozess gegen den Deutschen Peter Steudtner und weitere Menschenrechtler. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Unterstützung von Terroristen vor. Staatspräsident Erdogan hatte sie zuvor als Spione bezeichnet.
Türkei

Menschenrechtler vor Gericht

In Istanbul beginnt der Prozess gegen den Deutschen Peter Steudtner und weitere Menschenrechtler. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Unterstützung von Terroristen vor. Staatspräsident Erdogan hatte sie zuvor als Spione bezeichnet.

Nach 100 Tagen Untersuchungshaft in der Türkei beginnt am heutigen Mittwoch in Istanbul der Prozess gegen den Deutschen Peter Steudtner und mehrere andere Menschenrechtler. Die Staatsanwaltschaft wirft Steudtner und zehn weiteren Angeklagten „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ beziehungsweise „Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen“ vor. Unter den Angeklagten sind auch Steudtners schwedischer Kollege Ali Gharavi, der Vorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, und Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser.

Amnesty nennt die Vorwürfe „absurd“

Amnesty teilte mit, den Angeklagten drohe wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation bis zu 15 Jahre Haft. Die Anwälte von Steudtner und Gharavi gehen allerdings davon aus, dass ihre Mandanten lediglich der Terrorunterstützung beschuldigt werden, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Die Anklageschrift – die Amnesty als „absurd“ bezeichnet hatte – lässt keinen klaren Schluss darauf zu, welcher Terrororganisation Steudtner und Gharavi angehören sollten. Die Staatsanwaltschaft wirft den zehn auf Büyükada festgenommenen Angeklagten vor, an einem „geheimen“ Seminar teilgenommen zu haben, wo über Methoden gesprochen worden sei, wie sie auch Terrorgruppen anwendeten – gemeint sind anscheinend Verschlüsselungstechniken. Die Workshop-Teilnehmer hätten „gesellschaftliches Chaos“ im Stil der Gezi-Proteste vom Sommer 2013 provozieren wollen, was auch den Interessen von Terrororganisationen entspreche.

Die Anklage nennt in diesem Zusammenhang gleich drei Gruppen, die völlig unterschiedliche Ziele verfolgen: Die kurdische PKK, die Gülen-Bewegung und die linksterroristische DHKP-C – womit fast das gesamte Spektrum namhafter verbotener Gruppen in der Türkei abgedeckt wäre, es fehlt nur die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Geheime Zeugen der Anklage

Die Staatsanwaltschaft führt zwei Zeugen ins Feld, einer davon war als Übersetzer auf dem Seminar, die Identität des zweiten ist „geheim“ – auch Steudtners Anwälte wissen nicht, um wen es sich dabei handeln soll. Den Zeugenaussagen zufolge sollen Steudtner und Gharavi „generell über Informationssicherheit, Datenspeicherung, Verschlüsselung geredet haben und darüber, wie man verhindert, dass Informationen in die Hände der Polizei oder anderen Personen gelangen“. Amnesty weist darauf hin, dass es in der Türkei nicht verboten ist, über digitale Sicherheit zu diskutieren.

Ähnlich fragwürdig wirken auch die Vorwürfe gegen Gharavi. Bei ihm haben die Ermittler eine Landkarte gefunden, die Teile der Ost- und Südosttürkei nach Ansicht der Staatsanwaltschaft so darstellt, „als gehörten sie zu einem anderen Staat“. Das angebliche Beweismittel soll wohl Separatismus suggerieren. Dabei handelt es sich um eine Karte, die nicht Länder und Grenzen, sondern Sprachen abbildet.

Mindestens elf Deutsche in Haft

Steudtner gehört zu mindestens elf Deutschen, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind und deren Freilassung die Bundesregierung fordert. Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Workshop auf einer Insel bei Istanbul unter Terrorverdacht festgenommen worden. Der türkische Diktator Recep Tayyip Erdogan hatte die Menschenrechtler dann beim G20-Gipfel in Hamburg in die Nähe von Putschisten gerückt. Am 18. Juli verhängte ein Gericht in Istanbul daraufhin Untersuchungshaft gegen die beiden Ausländer und mehrere andere Beschuldigte. Danach erhob Erdogan im Zusammenhang mit Steudtner Spionagevorwürfe gegen die Bundesregierung.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, der deutsche Generalkonsul in Istanbul, Georg Birgelen, wolle den Prozess gegen Steudtner am Mittwoch beobachten. (dpa)