Viktor Orbán spricht vor den Vertretern der Kirchen, der Politik, von Instituten und NGOs zum Thema Christenverfolgung. (Foto: HSS)
Fluchtursachen

Ungarn hilft Christen

Gastbeitrag Mit dem "Ungarischen Modell" setzt das für seine Flüchtlingspolitik zuletzt stark gescholtene Land unter Viktor Orban ein starkes Zeichen gegen die Christenverfolgung und für die Hilfe vor Ort, stellt HSS-Sonderberater Philipp Hildmann fest.

„Ich war mittendrin, als sie kamen. Die Stadt sah danach tagelang aus wie ein Schlachtfeld. Ich habe überlebt. Gott sei Dank!“ Der letzte Satz kommt tief aus Benjamins Seele. Der junge Mann meint ihn wörtlich. Benjamin war dabei, als die islamistische Terrormiliz Boko Haram am 26. Juli 2009 in Bauchi im Nordosten Nigerias ihren blutigen Feldzug gegen die „Ungläubigen“ begann. Bis heute sind dem Morden Zehntausende zum Opfer gefallen. Darunter zahllose Christen wie Benjamin, der den Schlächtern an diesem Tag wie durch ein Wunder entkam.

Botschafter der Demokratie

Auch sein Landsmann John Oluwafemi Oni berichtet von über zwei Millionen Christen, die von den Islamisten aus ihren Häusern vertrieben wurden, von den zum Teil immer noch entführten Schülerinnen aus Chibok im Nordosten des Landes und einer hohen Zahl an Attentaten, die sein Land fortwährend erschüttern. Heute sind die drahtigen jungen Männer, aus deren Augen trotz allem Erlebten Neugier und Lebensfreude strahlen, zwei von 80 nigerianischen Stipendiaten, die auf Einladung Ungarns an verschiedenen Universitäten des Landes studieren. Später sollen sie ihr Heimatland als Botschafter der Demokratie stabilisieren.

Schutz verfolgter Christen

Das Stipendienprogramm ist nur eine von vielen Maßnahmen, die Ungarn seit Einsetzung eines eigenen Staatssekretärs für dieses Thema im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht hat. Vorgestellt wurden sie im Rahmen internationaler Beratungen zum Schutz verfolgter Christen, zu der über 300 hochrangige Vertreter orientalischer Kirchen, Politiker sowie Repräsentanten zahlreicher Institute und NGOs aus 30 Ländern nach Budapest gekommen waren. Auch Benjamin und John waren als Zeugen der Verfolgung mit dabei.

Im Mittelpunkt der intensiven Gespräche stand die Suche nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Akteure zum Schutz von Christen etwa in der Ninive-Ebene im Nordirak. Diese fühlen sich gegenwärtig „preisgegeben und verraten“, so der Syrisch-Katholische Patriarch von Antiochien, Ignatius Joseph III. Younan, auf der Konferenz. Gefragt wurde nach Strategien zur Regelung eines friedlichen Zusammenlebens von Muslimen und Christen in multireligiösen Gesellschaften wie in Nigeria oder Syrien. Es ging aber auch um konkrete Maßnahmen für den Wiederaufbau der vom Islamischen Staat und anderen Terrormilizen zerstörten Städte und Dörfer in den zurückeroberten Gebieten des Nahen Ostens.

Das „Ungarische Modell“

Der ungarische Staatspräsident Viktor Orbán ließ diese Gelegenheit als internationaler Gastgeber nicht verstreichen, das angekratzte Image seines Landes wieder etwas aufzupolieren. Hatte es in der Frage einer europaweiten Bewältigung der Flüchtlingskrise zuletzt doch stark gelitten. Hierzu präsentierte er mit zahlreichen Ministern und Staatssekretären ein „Ungarisches Modell“. Statt 1200 Flüchtlinge bei sich im Land aufzunehmen, wie von der EU gefordert, sei es doch sinnvoller, den Verbleib oder die Rückkehr vertriebener und geflohener Christen in ihre Heimat zu unterstützen. „Wir tun das genaue Gegenteil von dem, was in Europa heute üblich ist: Wir erklären, dass die Sorge nicht zu uns gebracht werden sollte“, so Orbán mit einem doch recht unfeinen Seitenhieb Richtung Westen, „sondern die Hilfe muss dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht wird.“ Als ob sich der Rest von Europa darum gerissen hätte, die Flüchtlinge der letzten Jahre ins eigene Land zu holen.

Die Hilfe muss dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht wird.

Viktor Orbán, Staatspräsident Ungarns

„Ungarn hilft“ vor Ort

Jenseits dessen hat der kleine Staat hier in der Tat einiges vorzuweisen. Im Rahmen der „Ungarn hilft“ Initiative wurden in der Nähe von Mossul bereits 200 zerstörte Häuser wieder aufgebaut. In Erbil wurde eine neue Schule errichtet und Krankenhäuser mit Medikamenten versorgt. Jeweils eine Million Euro Soforthilfe für humanitäre Hilfe gingen an die katholische sowie die syrisch-orthodoxe Kirche und einiges mehr. Das Besondere dabei: Die Hilfsmaßnahmen wurden sämtlich nicht über internationale Kanäle wie die Vereinten Nationen eingefädelt, sondern in direkter Abstimmung mit den Kirchenvertretern vor Ort durchgeführt. Dabei blieb die Unterstützung nicht auf die Kriegsgebiete in Irak und Syrien beschränkt. Sie erreichte auch die Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon und der Türkei.

Gezielte Hilfe für Christen

Wie beim Stipendienprogramm für Nigeria macht Ungarn keinen Hehl daraus, dass diese Hilfe gezielt für Christen gedacht ist. Das mag zum einen dem religiösen Selbstverständnis des eigenen Landes und der gefühlten Verpflichtung zur Solidarität mit den bedrängten Glaubensbrüdern in aller Welt geschuldet sein. Am Ende der Konferenz war es aber der Sonderbotschafter der Aktion „Ungarn hilft“, der mit einer einfachen Gleichung noch eine weitere Dimension des vorbildlichen Engagements der Ungarn für verfolgte Christen offenlegte: „Ohne Christen im Nahen Osten wird es mehr Chaos in den Ländern geben. Mehr Chaos bedeutet mehr Flüchtlinge. Und diese Flüchtlinge treffen wir wieder an den Grenzen Europas und – an den Grenzen Ungarns.“

Benjamin und John aus Nigeria dürften die Gedankenspiele über die tieferen Beweggründe Ungarns nur bedingt interessieren. Für sie ist wie für die meisten Betroffenen, die nach Budapest gekommen waren, von zentraler Bedeutung, dass den Worten der Vergangenheit nun auch konkrete Taten folgen. Hier ist Ungarn vielen europäischen Ländern einen großen Schritt vorausgegangen.

Der Autor

Dr. Philipp W. Hildmann ist Beauftragter für Interkulturellen Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung und hat als Sonderberater an den Gesprächen vom 11.-13. Oktober in Budapest teilgenommen.