Die Nato hat ein Türkei-Problem
Eskalation statt Entspannung: Die Türkei hat Bundestagsabgeordneten den Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik untersagt. Die Bundesregierung droht mit dem Abzug der deutschen Soldaten. Ankara wird zum Nato-Problem.
Incirlik

Die Nato hat ein Türkei-Problem

Eskalation statt Entspannung: Die Türkei hat Bundestagsabgeordneten den Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik untersagt. Die Bundesregierung droht mit dem Abzug der deutschen Soldaten. Ankara wird zum Nato-Problem.

Als „indiskutabel” bezeichnet es der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, dass zum wiederholten Mal Abgeordneten ein Besuch der Bundeswehrsoldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik verwehrt werde. Ein Zugang des Parlaments zur Truppe müsse durchgehend möglich sein, so Hahn. Diese „Sperenzchen Erdogans” schadeten dem gemeinsamen Wirken von NATO-Partnern, nicht zuletzt im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Hahn: „Wir müssen daher grundsätzlich im Bündnis klären, wie eine reibungslose Zusammenarbeit mit der Türkei in Zukunft gewährleistet werden kann. Ich halte es für weiter angebracht, die möglichen Alternativen zum Standort Incirlik voranzutreiben.” Genauso sieht es Hahns Kollege, der CDU-Verteidigungsexperte Karl Lamers: „Wir müssen klare Kante zeigen und der Türkei sagen, dass es so nicht geht.”

Problemfall Türkei

Nach den bösen antideutschen Tiraden aus Ankara während des Wahlkampfes um das Verfassungsreferendum bemüht sich die Bundesregierung um eine Rückkehr zur Normalität in den Beziehungen mit der Türkei. Vergeblich. Statt zu Vernunft und zu normalen Beziehungen zurückzukehren, dreht Ankara die Eskalationsspirale in der deutsch-türkischen Krise wieder ein Stück weiter − bis tief in den roten Bereich. Denn jetzt droht der Abzug deutscher Soldaten aus der Türkei, was ein schweres Zerwürfnis zwischen den beiden Nato-Partnern bedeuten würde.

Wir müssen grundsätzlich im Bündnis klären, wie eine reibungslose Zusammenarbeit mit der Türkei in Zukunft gewährleistet werden kann.

Florian Hahn, außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe

Der Grund: Am vergangenen Samstag hat es die türkische Regierung deutschen Abgeordneten erneut untersagt, Bundeswehrsoldaten auf der Luftwaffenbasis Incirlik zu besuchen. An diesem Dienstag um 07.15 Uhr hatte eine Delegation des Verteidigungsausschusses zu dem Stützpunkt aufbrechen wollen, von dem aus sich Tornado-Aufklärungsjets am Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat beteiligen. Wochenlang ließ die türkische Regierung den Besuchsantrag unbeantwortet. Über die Absage wurden die Abgeordneten keine 48 Stunden vor dem Abflug unterrichtet.

Schon der zweite Erpressungsversuch

Schon im vergangenen Jahr hatten die Ausschussmitglieder monatelang warten müssen, bis sie nach Incirlik fliegen durften. Damals reagierte die türkische Regierung mit dem Besuchsverbot auf einen Bundestagsbeschluss, in dem das Vorgehen des Osmanischen Reichs gegen die Armenier vor mehr als 100 Jahren als Völkermord gewertet wird. Jetzt kann es Ankara nicht ertragen, dass die Bundesregierung türkischen Soldaten Asyl gewährt hat, die vor Erdogans großer politischer Säuberung nach dem Putschversuch vom Juli geflohen sind. Ankara will die Bundesregierung schlicht erpressen und Einfluss nehmen auf Entscheidungen des Bundestags.

Wir müssen klare Kante zeigen und der Türkei sagen, dass es so nicht geht.

Karl Lamers (CDU)

Im ersten Incirlik-Streit im vergangenen Jahr wurde am Ende doch eine Lösung gefunden − mittels eines politischen Kniffs: Bundeskanzlerin Angela Merkel erläuterte Ankara, dass der Armenien-Bundestagsbeschluss für die Bundesregierung rechtlich nicht bindend sei. Im Gegenzug durften die Abgeordneten dann doch zu den Soldaten. Doch das war nur ein halbes Zugeständnis aus Ankara: Die Zusage eines dauerhaften Besuchsrechts blieb aus. Schon in den vergangenen Monaten wurden mehrere Einzelanträge von Abgeordneten von türkischer Seite einfach nicht beantwortet.

Bundesregierung droht mit Abzug

Nachdem nun auch die Ausschussdelegation wieder nicht auf den Stützpunkt gelassen wird, fordern immer mehr Abgeordnete den Abzug der Tornado-Truppe. Die Abgeordneten müssten jederzeit grundsätzlich das Recht haben, die Truppe zu besuchen, fordert etwa Lamers. „Alles andere dürfen wir uns nicht gefallen lassen.” Wenn die Türkei bei ihrem Verbot bleibe, müsse sich Deutschland ernsthaft mögliche andere Standorte anschauen, Jordanien zum Beispiel. Lamers: „Es hat schon Vorgespräche gegeben, eine Verlagerung der Truppe wäre möglich. Diese würde ungefähr acht bis neun Wochen dauern.” In dieser Zeit wäre dann der Kampf gegen den IS allerdings eingeschränkt.

Die Bundesregierung versucht dagegen wieder, auf Zeit zu spielen. Zwar droht sie erstmals mit einem Abzug, will sich aber noch nicht festlegen. Die Entscheidung der türkischen Regierung sei „misslich“, sagte Kanzlerin Merkel am Montag vorsichtig. Die Gespräche mit der türkischen Regierung würden fortgesetzt. Doch die Einigungschancen scheinen gering zu sein. Die Asylbescheide an die türkischen Soldaten wird die Bundesregierung kaum zurücknehmen können.

Misslich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Nächste Woche gibt es die Chance auf einen vielleicht letzten Schlichtungsversuch auf höchster Ebene. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird dann beim Nato-Gipfel in Brüssel mit Merkel an einem Tisch sitzen. Am Rande der Sitzung könnte es zu einem bilateralen Gespräch kommen. Auch Merkel machte aber schon jetzt klar, dass das Besuchsrecht für deutsche Abgeordnete bei der Bundeswehr im Ausland nicht verhandelbar ist. „Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Und damit ist es absolut notwendig, dass Besuchsmöglichkeiten für unsere Abgeordneten bestehen bei ihren Soldaten.” Der Bundestag entscheidet über jeden bewaffneten Einsatz der Bundeswehr. Die Truppe wird deshalb auch als „Parlamentsarmee“ bezeichnet. Dass sich die Abgeordneten selbst einen Eindruck von den Einsätzen verschaffen können müssen, gilt aus deutscher Sicht als selbstverständlich.

Misstrauensbeweis gegen den Nato-Partner

Ein Abzug der Bundeswehr aus Incirlik wird also immer wahrscheinlicher. Das Verteidigungsministerium hat sich auf Bitten des Bundestags bereits vor Monaten darauf vorbereitet. Acht Alternativstandorte in Jordanien, Kuwait und auf Zypern wurden identifiziert. Favorisiert werden die Stützpunkte in Jordanien. Sie liegen günstiger als die auf Zypern und haben eine bessere Infrastruktur als die in Kuwait. Im Vergleich zu Incirlik müssten aber Abstriche gemacht werden.

Zudem wäre der Abzug ein klarer Misstrauensbeweis dem Nato-Partner Türkei gegenüber und könnte den gemeinsamen Kampf gegen den IS belasten. SPD-Außenminister Sigmar Gabriel will darum das weitere Vorgehen am Mittwoch bei seinem Besuch in Washington erst einmal mit dem wichtigsten Nato-Partner USA besprechen. Die Amerikaner haben eine führende Rolle beim Anti-IS-Einsatz. Und US-Präsident Donald Trump pocht darauf, dass das Bündnis mehr Verantwortung im Kampf gegen den Terror übernimmt. Vor allem darüber soll nächste Woche auf dem Nato-Gipfel gesprochen werden. Ein Zerwürfnis zwischen zwei Nato-Partnern in dieser Situation dürfte den Amerikanern kaum ins Konzept passen.

Die Basis Incirlik liegt in der Nähe der südtürkischen Stadt Adana gut 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Der Stützpunkt, auf dem türkisches Hoheitsrecht gilt, wird seit den 1950er Jahren auch von den USA genutzt. Die Bundeswehr beteiligt sich von Incirlik aus mit Tornado-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeug an den Luftangriffen gegen die IS-Terrormiliz in und im Irak. Auf der Luftwaffenbasis sind etwa 260 deutsche Soldaten stationiert. Inzwischen sind die Tornados zu rund 900 Aufklärungseinsätzen gestartet. (dpa)