Spannungen in Hangzhou
Mit einem Signal für Stabilität wollen die G20 weltweit wirtschaftliches Wachstum ankurbeln. Dazu spannende Gespräche am Rande mit amerikanisch-chinesische Differenzen über Pekings Ansprüche auf das Südchinesische Meer und über die Abwehr nordkoreanischer Raketen. Dazu die Begegnung zwischen Kanzlerin Merkel und dem türkischen Präsidenten.
G20-Gipfel

Spannungen in Hangzhou

Mit einem Signal für Stabilität wollen die G20 weltweit wirtschaftliches Wachstum ankurbeln. Dazu spannende Gespräche am Rande mit amerikanisch-chinesische Differenzen über Pekings Ansprüche auf das Südchinesische Meer und über die Abwehr nordkoreanischer Raketen. Dazu die Begegnung zwischen Kanzlerin Merkel und dem türkischen Präsidenten.

Fast das wichtigste an großen Gipfel-Runden sind stets die vielen kleinen bilateralen Treffen am Rande. Auf dem G20-Gipfel im ostchinesischen Hangzhou − die Neun-Millionen-Metropole an der Ostchinesischen See ist eine der ältesten Städte Chinas − war es nicht anders: Eine Begegnung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan führte jetzt zu einer gewissen Entspannung zwischen Berlin und Ankara. Merkel geht nun davon aus, dass das Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete bei Bundeswehrsoldaten auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik in Kürze aufgehoben wird. Sie glaube, dass es diesbezüglich in den nächsten Tagen „positive Nachrichten” geben werde, sagte Merkel nach ihrem Gespräch mit Erdogan.

In Incirlik sind mehr als 200 deutsche Soldaten stationiert, die sich am internationalen Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beteiligen. Ankara hatte das Besuchsverbot aus Ärger über die Völkermord-Resolution des Bundestags zu den Armeniern erteilt. Der Begegnung in Hangzhou vorausgegangen war ein Zugeständnis Merkels an Erdogan: Sie hatte am Freitag die Völkermord-Resolution des Bundestags zu den Armeniern im Osmanischen Reich für rechtlich nicht bindend erklärt. Jetzt muss sich zeigen, wie der Bundestag eine Aufhebung des Incirlik-Besuchsverbots aufnimmt und ob ihm das genügt, um im Dezember einer Verlängerung des Mandats für das Bundeswehrkontingent in der Türkei zuzustimmen.

Keine Gemeinsamkeit in Syrien

Weniger erfolgreich waren in Hangzhou die amerikanisch-russischen Gespräche zum Thema Syrien. Bei einer Begegnung zwischen den Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin wurden Hoffnungen auf eine Waffenruhe für das Bürgerkriegsland enttäuscht. Zuvor hatten die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow in zwei Tagen voller Beratungen kein abgestimmtes Vorgehen in Syrien vereinbaren können. Zur ersten Begegnung Putins mit Obama seit Monaten teilte der Kreml hinterher nur mit, es sei ein gutes Gespräch gewesen, das länger als geplant gedauert habe. Es sei um Syrien und die Ukraine gegangen, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Nach Angaben des Weißen Hauses wurden die Außenminister beauftragt, sich möglichst in dieser Woche noch einmal zu treffen.

Zum Ukraine-Konflikt wird nach Angaben des französischen Präsidenten François Hollande ein neues Gipfeltreffen in den kommenden Wochen vorbereitet. Das schrieb Hollande auf Facebook nach Beratungen am Rande des G20-Gipfels im chinesischen Hangzhou. Um die Minsker Friedensvereinbarungen umzusetzen, seien aber eine bessere Sicherheitslage, mehr Vertrauen zwischen den Konfliktparteien und ein Sonderstatus für die Ostukraine nötig. Dort kämpfen seit 2014 ukrainische Regierungstruppen gegen prorussische Separatisten, die von Moskau militärisch unterstützt werden.

Aktionsplan für kraftlose Weltkonjunktur

Mit einem Aktionsplan wollen die führenden Industrie- und Schwellenländer die kraftlose Weltkonjunktur ankurbeln. „Das Wachstum ist weiter schwächer als erstrebenswert”, heißt es in der Abschlusserklärung des Gipfels. Laut ihrem „Konsens von Hangzhou” genannten Aktionspaket wollen die 20 größten Wirtschaftsmächte alle politischen und wirtschaftlichen Werkzeuge einsetzen, um der Welt ein Signal der Stabilität und der Zuversicht zu geben.

Die G20-Staaten sehen Terrorismus als ernsthafte Bedrohung für Frieden und Sicherheit, aber eben auch für die Bemühungen zur Stärkung der Weltwirtschaft. „Wir bekräftigen unsere Solidarität und Entschlossenheit im Kampf gegen Terrorismus in all seinen Formen und wo immer er vorkommt”, heißt es im Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels der wichtigsten Wirtschaftsmächte aller Kontinente. Die G20 verpflichten sich darin, jede Art der Finanzierung von Terrorismus zu bekämpfen und Informationen darüber auszutauschen.

G20 gut gerüstet für den Brexit

Wirtschaftspolitisches Gipfelthema war natürlich auch der Brexit − der geplante Ausstieg der Briten aus der EU. Für eventuelle wirtschaftliche Folgen des Brexit sehen sich die G20 gut gerüstet. Der Ausgang des britischen Referendums trage allerdings zur Unsicherheit in der globalen Wirtschaft bei, räumen die Staats- und Regierungschefs ein. Sie hoffen aber, dass Großbritannien auch in Zukunft ein starker Partner der EU bleibt.

Brexit bedeutet tatsächlich Brexit.

Premierministerin Theresa May

Großbritanniens neue Premierministerin Theresa May, für die der G20-Gipfel der erste große internationale Auftritt war, hat in Hangzhou den beschlossenen EU-Austritt nachdrücklich verteidigt. „Brexit bedeutet tatsächlich Brexit”, so May nach einem Treffen mit US-Präsident Obama. Ihre Regierung werde das Ergebnis der Volksabstimmung vom 23. Juni umsetzen. Sie gestand aber ein, dass für die britische Wirtschaft wegen des Austritts schwierige Zeiten bevorstünden.

„Die Welt hat von der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU profitiert”, sagte Obama. Das Abstimmungsergebnis sei aber zu akzeptieren. Er riet den Briten, in ihrer künftigen Eigenständigkeit zunächst das Verhältnis zu den USA als bedeutendstem Handelspartner zu klären. Washington werde alles tun, damit die engen Beziehungen sich nicht auflösen, sondern noch stärker werden.

Streit um das Südchinesische Meer

Sehr sichtbar wurden in Hangzhou Spannungen zwischen den USA und China. US-Medien beschrieben den „holprigen Start” des Besuches von Präsident Barack Obama als symptomatisch für die schlechten Beziehungen beider Länder. Sie gingen dabei auf Rangeleien zwischen chinesischen Sicherheitskräften und der US-Delegation bei der Ankunft am Flughafen in der ostchinesischen Stadt Hangzhou ein.

Wir lassen unsere Werte und Ideale nicht zuhause, wenn wir diese Reisen machen.

Präsident Barack Obama

Obama selber sprach von „Reibereien”, weil die USA darauf bestünden, den Medien die Berichterstattung über den Gipfel zu ermöglichen. „Wir finden, dass es wichtig ist, dass die Presse Zugang zu der Arbeit hat, die wir hier machen und dass sie die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen”, sagte Obama. „Und wir lassen unsere Werte und Ideale nicht zuhause, wenn wir diese Reisen machen.”

Nach seiner Landung in Hangzhou war es zu Wortgefechten gekommen. Es stand keine Flugzeugtreppe für die Präsidentenmaschine bereit, so dass Obama fern von TV-Kameras hinten aussteigen musste. „Ein Mitglied der chinesischen Delegation begann, Mitarbeiter des Weißen Hauses anzuschreien, als die Mediengruppe das Rollfeld betrat”, schilderten US-Journalisten die Ereignisse. „Er wollte, dass die US-Presse verschwindet.” Auf Widerstand hin habe der chinesische Sicherheitsbeamte gerufen: „Das ist unser Flughafen. Das ist unser Land.” Auch Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice beklagte, sie sei auf dem Rollfeld gestört worden.

Inhaltlich reichen die politischen Differenzen zwischen Washington und Peking von chinesischen territorialen Ansprüchen auf praktisch das ganze Südchinesische Meer über die Stationierung eines amerikanischen Raketenabwehrsystems in Südkorea bis zu Chinas Zurückweisung „ausländischer Einmischung” bei den Menschenrechten.

Vor dem Gipfel hatte Kritik von Obama an chinesischer Vormachtpolitik in den Inselstreitigkeiten für Ärger gesorgt. Das Außenministerium in Peking sprach von „unverantwortlichen Bemerkungen”. Staats- und Parteichef Xi Jinping wies in seinem Gespräch mit Obama die Vorwürfe zurück und forderte die USA auf, „eine konstruktive Rolle” im Südchinesischen Meer zu spielen. China werde „unerschütterlich” seine territoriale Souveränität und maritimen Interessen schützen.

China beansprucht 80 Prozent des 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Seegebietes, durch das ein Drittel des weltweiten Schiffsverkehrs geht. Der internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag hatte die Ansprüche im Juli aber zurückgewiesen. China ignoriert das Urteil und baut seine militärische Präsenz noch aus. Die USA kreuzen mit ihrer Marine in dem Gebiet, um sich für freie Seefahrt einzusetzen. Die USA hätten kein Recht, sich in den Inselstreit einzumischen, weil sie die Seerechtskonvention (UNCLOS) nicht einmal ratifiziert hätten, so ein chinesischer Außenamtssprecher. Er reagiert auf ein Interview des US-Präsidenten mit dem US-Sender CNN. Obama hatte darin mit Blick auf das Vorgehen und den Inselstreit Chinas mit seinen Nachbarn zur Zurückhaltung aufgerufen und vor „Konsequenzen” gewarnt.

Allein in der Klimapolitik schienen beide Präsidenten einig, nachdem sie am Samstag den Vereinten Nationen die Dokumente zur Annahme des Paris Klimaabkommens übergeben hatten. Die Ratifizierung durch die beiden größten Wirtschaftsmächte wurde als entscheidender Schritt gewertet, damit die Vereinbarung möglichst noch dieses Jahr in Kraft treten kann. Ziel ist es, die Erderwärmung unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten.

Nordkoreanische Raketen-Provokation

Berichte über neue nordkoreanische Raketentests haben den G20-Gipfel in China überschattet. Trotz Warnungen der Vereinten Nationen feuerte Nordkorea nach Angaben Südkoreas drei ballistische Raketen im Südwesten Nordkoreas in Richtung des Japanischen Meeres ab. Das teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Seoul mit. Die Meldung erfolgte unmittelbar nach einem Treffen von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping mit der südkoreanischen Präsidentin Park Geun Hye. Wie weit die Raketen flogen und um welchen Typ es sich handelte, war zunächst unklar.

Eine falsche Handhabung des Problems trägt nicht zur strategischen Stabilität in der Region bei und könnte Konflikte intensivieren.

Präsident Xi Jinping

Trotz der nordkoreanischen Raketen-Provokation betonte Xi in seinem Gespräch mit Präsident Obama nachdrücklich den chinesischen Widerstand gegen die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD in Südkorea. Xi warnte auch die südkoreanische Präsidentin vor der Stationierung des hochmodernen amerikanischen Raketenabwehrsystems in ihrem Land. China sieht sich durch die Stationierung bedroht. Dabei richtet sie sich nach amerikanischen und südkoreanischen Angaben gegen nordkoreanische Raketenabschüsse. Xi warnte gleichwohl: „Eine falsche Handhabung des Problems trägt nicht zur strategischen Stabilität in der Region bei und könnte Konflikte intensivieren.” China werde sich weiter dafür einsetzen, eine Abschaffung der Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel durch Verhandlungen zu erreichen, so der chinesische Präsident. Immerhin lobte Xi die Entwicklung der Beziehungen zu Südkorea. Er hob aber auch hervor, dass beide Länder die Kerninteressen des jeweils anderen respektieren sollten.

G20-Gipfel 2017 in Hamburg

Der G20 gehören die 19 führenden Industrie- und Schwellenländer sowie die Europäische Union an. Zusammen stehen sie für fast 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft. Gastgeber Xi appellierte zu Beginn des Gipfels an die Teilnehmer, sich um konkrete Ergebnisse zu bemühen. „Wir sollten die G20 zu einem Aktionsteam anstelle einer Quasselbude machen”, sagte er. Für 2017 übernimmt Deutschland den G20-Vorsitz und lädt zum Gipfel in Hamburg ein. Merkel kündigte in einem Video-Interview die Themen Frauen, Flucht, Migration und Gesundheit als Schwerpunkte an.

(dpa/BK/H.M.)