Blick über Jerusalem: Hier sind Kreuze noch erlaubt. Bild: Fotolia/SeanPavonePhoto
Israel

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der Landesvorsitzende der Jungen Union Bayern, Hans Reichhart, hat bereits mehrfach Israel und die Palästinensergebiete bereist. Er hat dort einen Konflikt erlebt, der sich mit den üblichen politischen Maßstäben kaum fassen lässt.

Das Kidrontal in Jerusalem ist ein kleines Tal. Es wird von zwei Bergen umrahmt. Nach geologischer Definition sind es wohl eher Hügel. In einer religiösen, historischen oder politischen Definition würde man die Hügel als regelrechte Gebirge beschreiben. Im Osten des Tals befindet sich das weitläufige Areal des Tempelbergs als krönender Abschluss der Jerusalemer Altstadt. Im Westen liegt der Ölberg, der im lebendigen Grün des Garten Getsemanis auch ein Ort der Ruhe sein könnte.

Die beiden Hügel und das Tal in ihrer Mitte versinnbildlichen den Konflikt um ein Land, in dem seit mehr als 3000 Jahren erbittert gekämpft wird. Auf dem Ölberg soll Christus in den Himmel gefahren sein, auf dem Tempelberg Mohammed. Im Osten weht oberhalb einer Siedlung der Davidstern als Zeichen des israelischen Anspruchs auf den muslimischen Teil Jerusalems. Der Felsendom und die al-Aqsa-Moschee erscheinen hingegen im Westen als unübersehbares Zeichen eines untergegangen jüdischen Anspruchs. Vom zweiten Jerusalemer Tempel blieb als heilige Stätte des Judentums nur die Klagemauer.

Zum Problem kann Religion auch dann werden, wenn sie historisch beweisbar wird. In Jerusalem ist genau das der Fall.

Juden, Christen und Muslime glauben gleichermaßen, dass der Tempel einst die Stelle markierte, an der Abraham seinen Sohn opfern wollte. Die Bibel nennt den Jungen, der von Gott verschont wurde, Isaak. In der islamischen Tradition heißt er Ismael. Der eine wurde zum Erzvater der Juden, der andere zum Stammvater der Araber.

Ein Tal verbindet alle Religionen

Mehr Einigkeit zwischen den monotheistischen Weltreligionen besteht über die Zukunft des Kidrontals. Juden, Christen und Muslime glauben gleichermaßen, dass an dieser Stelle eines Tages die Endzeit beginnen wird. Beim Jüngsten Gericht wird der Messias das Tal zwischen Öl- und Tempelberg durchschreiten. Hier werden als erstes die Toten auferstehen. Gemäß dieser Überlieferung ist das ganze Gelände heute ein riesiger Friedhof. Am Ölberg ein jüdischer, am Tempelberg ein muslimischer, in der Talsohle ein christlicher. Damit nimmt das Kidrontal eine religiöse Schlüsselposition ein. Es verbindet uns alle. Und genau dieser einende religiöse Moment offenbart eine tiefe trennende politische Perspektive. Wie in ganz Jerusalem ist hier jeder Stein Religion und wird damit zur Politik.

Sollte eine Zweistaatenlösung in Israel und Palästina jemals gelingen, drängt sich zwingend die Frage auf: Wem gehört dieses Land? Ist Jerusalem die unteilbare Hauptstadt des Judenstaats oder eines künftigen Palästinenserstaates? Die Grenzen Ostjerusalems bis 1967 sind eindeutig. Dennoch ist die Welt in den vergangenen 50 Jahren nicht stehen geblieben. Es wurden durch viele Seiten neue Fakten geschaffen.

Religion wird im Heiligen Land zur Geschichte

Zum Problem kann Religion auch dann werden, wenn sie historisch beweisbar wird. In Jerusalem ist genau das der Fall. Hier wird nicht über die Kreuzigung Jesu gepredigt. Hier hat sie stattgefunden. Hier wird nicht von König David erzählt. Hier hat er gelebt. Noch bevor Mekka zur Qibla – die Gebetsrichtung – der Muslime wurde, hat Mohammed in Richtung Jerusalem gebetet. Religion wird im Heiligen Land zur Geschichte. Geschichte wird zu Politik. Ein Königreich der Himmel kann zum Gottesstaat auf Erden werden. In der Konsequenz birgt die religiöse Vielschichtigkeit in den unterschiedlichsten Facetten ihrer Entstehungsgeschichte eine unglaubliche politische Sprengkraft.

In Israel wird jeden Tag erlebbar, wie sich religiöse Wut in politischen Fanatismus verwandelt. Messerattacken, Bombenterror und Raketenangriffe sind der widerliche Ausfluss eines Konflikts, in dem alle Opfer sind.

Umgeben von Feinden

Die Palästinenser fühlten sich als Verlierer des UN-Teilungsplans. Unmittelbar nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung von 1948 griffen die Armeen Transjordaniens, des Iraks, Ägyptens, des Libanons und Syriens Israel an. Israel hat diesen ersten Krieg gewonnen. Und auch alle folgenden. Dabei haben sich die Israelis stets allein gefühlt. Der junge Staat war umgeben von Feinden, die allesamt seine Auslöschung betreiben wollten. Die israelischen Besetzungen erscheinen vor diesem Hintergrund als nachvollziehbares Sicherheitsbedürfnis. Die Spirale der Gewalt wurde durch sie nicht durchbrochen. Doch auch der Rückzug aus dem Gazastreifens oder das Räumen von Siedlungen haben keine Friedensperspektive geschaffen.

Terror, Provokationen und Blutvergießen prägen seit Jahrzehnten das Bild der Region. Noch immer sind die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaates ungeklärt. Noch immer sind palästinensische Rückkehrrechte und jüdische Siedlungen Streitpunkte. Gewalt wird im Nahen Osten nur einseitig empfunden. Das Recht des Stärkeren bestimmt politisches Handeln. Aus Sicht aller Betroffen ist die Frage, wer der Stärkere sei, geklärt. Als stark wird immer der andere empfunden. In Palästina gibt es keinen Goliath. Jeder ist David. Dass David am Ende gewonnen hat, spielt im Empfinden der Konfliktparteien eher keine Rolle.

An der Levante wird die Lüge schnell zum politischen Stilmittel. Wenn alle Opfer sein müssen, biegt sich jeder seine Wahrheit zurecht.

Dabei könnten die Voraussetzungen für einen Frieden im Nahen Osten eigentlich schlechter sein. Israel ist ein Rechtsstaat und eine Demokratie. Gemessen an seinen Nachbarn ist der jüdische Kleinstaat eine wirtschaftliche Supermacht. Aussöhnen könnte unter diesen Überlegungen gelingen.

Immerhin gibt es Sätze, die auch Hoffnung machen. Vor kurzem hat mir ein palästinensischer Regierungsvertreter auf den Weg mitgegeben: „Uns geht es nicht darum, einen Staat von der Landkarte zu tilgen. Uns geht es darum, einen neuen Staat auf die Karte zu bringen.“ Ob er mit dieser Aussage die längst überfälligen Wahlen gewinnen kann, erscheint hingegen fraglich. Ob sie ehrlich gemeint war, übrigens auch.

Die Lüge wird zum politischen Stilmittel

An der Levante wird die Lüge schnell zum politischen Stilmittel. Wenn alle Opfer sein müssen, biegt sich jeder seine Wahrheit zurecht. Was dabei untergeht, ist das Verständnis für die Perspektive der Gegenseite. Verständnis kann nur dann entwickelt werden, wenn zumindest die religiöse Komponente des Nahostkonflikts endlich überwunden werden würde. Die ethnischen und ökonomischen Spannungen hinterlassen der Region bereits ein Erbe, das schwer genug ist. Am Ende muss es egal sein, zu welchem Staat Orte wie das Kidrontal gehören. Dafür braucht es Mut, einen langen Atem und vor allem eine sehr menschliche Eigenschaft: Willenskraft. Doch davon sind wir leider noch Jahre entfernt.