Ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch handlungsfähiges Europa ist für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. (Bild: imago/ Ralph Peters)
Konjunktur

Weichen auf Wachstum

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, sieht weltweite Risiken für die deutsche Wirtschaft. China verliere seine einstige Stärke, in den USA mehrten sich die Zeichen einer Rezession. Ein einiges, politisch handlungsfähiges Europa wäre jetzt besonders wichtig.

Fast konnte es den Anschein haben, als habe sich Deutschlands Wirtschaft vom weltweiten Geschehen abgekoppelt. Während in China und den USA die Sorgen um die Konjunktur zunahmen und die Börsen abstürzten, meldete die deutsche Wirtschaft auch in den Wintermonaten neue Beschäftigungsrekorde und saisonbereinigt eine rückläufige Zahl an Arbeitslosen. Auch die Steuereinnahmen laufen gut. Trotz erheblicher Mehrausgaben, unter anderem für die Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung sowie der Rentenerhöhungen, konnte der Staat 2015 sowohl im Bundeshaushalt als auch im gesamtstaatlichen Budget einen deutlichen Überschuss erzielen und wird im Gesamthaushalt 2016 voraussichtlich ebenfalls mehr als eine schwarze Null erreichen.

Auch wenn China eine Stütze der Weltwirtschaft bleiben dürfte, auf die Stärke dieses Wirtschaftsmotors kann man sich nicht mehr so wie früher verlassen.

Ein Cocktail an Herausforderungen

Einige jüngere Daten, wie der Ifo-Test, signalisieren mittlerweile jedoch, dass die deutsche Wirtschaft nicht immun gegen die Zunahme globaler Risiken ist. Auch in den hiesigen Chefetagen werden die Sorgenfalten tiefer. Denn die Weltwirtschaft sieht sich einem ziemlich einmaligen Cocktail an Herausforderungen gegenüber: Konjunkturrisiken, die um China, die USA und den niedrigen Ölpreis kreisen; geopolitische Risiken, die nicht mehr regional begrenzt sind, sondern die internationale Sicherheitspolitik erreicht haben und für erhöhte Unsicherheit sorgen; und schließlich die mittel- und langfristigen Herausforderungen, die in unserer Zeit der Akronyme gerne mit den drei D’s – Demographie, Dekarbonisierung und Digitalisierung – umrissen werden, für die es noch keine vollumfänglichen Antworten gibt.

Allen diesen Risiken ist gemeinsam, dass sie nicht nur eine vorübergehende Schwäche anzeigen, sondern womöglich längerfristige Wirkungen haben könnten, mit tiefgreifenden ökonomischen Konsequenzen. Zum Beispiel die Sorgen um China. Weder ist die zu beobachtende Wachstumsverlangsamung spektakulär noch der Crash der chinesischen Börsen von (globaler) Relevanz. Die dadurch ausgelösten Sorgen schon: Das chinesische Wachstumsmodell der gelenkten Wirtschaft, das in der Finanzkrise mit riesigen kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen die chinesische Wirtschaft – und nebenbei auch die Weltwirtschaft – am Laufen hielt, stößt an seine Grenzen. Stattdessen treten die negativen Folgen dieser Politik, hohe Verschuldung und Überkapazitäten, deutlich zu Tage.

Die Politik ist ratlos

Im Wechselkurs kristallisieren sich diese Probleme der chinesischen Wirtschaftssteuerung. Für sich genommen sind die Bewegungen des Renminbi nicht gravierend. Aber die etwas erratische Wechselkurspolitik demonstriert die zunehmenden Ratlosigkeit der Politik: Zwischen dem Wunsch nach einem stabilen Außenwert und einer offenen Kapitalbilanz und der Realität massiver Kapitalabflüsse, abnehmender Devisenreserven und nachlassender Exportstärke klafft eine große Lücke.

Stillstand kann sich Europa dabei eigentlich nicht leisten. Finanz- und Bankenkrise sind noch kaum überwunden, Produktivitätsentwicklung und Wachstum bleiben (zu) schwach.

Auch wenn China eine Stütze der Weltwirtschaft bleiben dürfte, auf die Stärke dieses Wirtschaftsmotors kann man sich nicht mehr so wie früher verlassen. Die Hoffnungen richten sich wieder stärker auf die Vereinigten Staaten von Amerika.

Amerikaner verlieren Vertrauen

Auch in den USA sind aber jüngst Rezessionsängste aufgeflammt. Zwar erscheinen die Sorgen angesichts der robusten Verfassung des US-Arbeitsmarkts und privaten Verbrauchs übertrieben, denn der Einbruch der Investitionen im Energiesektor und die auch wechselkursbedingte Schwäche der Industrie sollten dadurch kompensiert werden können. Aber auch in den USA gibt es einen Vertrauensverlust in die Gestaltungsmacht der Politik, vor allem der Geld- und Finanzpolitik.

Die Politik ist gelähmt, in den USA durch den Wahlkampf und in Europa durch Flüchtlingskrise und drohenden Brexit.

So wird schon jetzt wieder die Frage gestellt, ob die wirtschaftliche Entwicklung wirklich stabil genug ist, damit die Geldpolitik auf ihrem Normalisierungskurs bleiben kann oder ob sie die Zinsanhebungen aussetzen oder vielleicht sogar eine Rolle rückwärts vollziehen muss. Der Markt rätselt, die Investoren warten ab – und die zunehmende Unsicherheit droht auf die Realwirtschaft überzugreifen.

Einstige Retter werden Teil des Problems

Während die Krisenjahre geprägt waren vom Glauben in die nahezu unbegrenzte Macht der (Geld)Politik, hat mittlerweile eine Neubewertung der Rolle der Notenbanken eingesetzt: Aus den Rettern in der Not, die für alle Probleme eine Lösung zu haben schienen, ist heute eher ein Teil des Problems geworden: Die Politik der Notenbanken – angesichts widersprüchlicher Ziele und nahezu erschöpfter Instrumente – schafft mehr Unsicherheit als Vertrauen. Zudem rücken auch die Nebenwirkungen der extrem expansiven Geldpolitik immer stärker in den Fokus, zum Beispiel in der Frage der negativen Zinsen: Was gestern noch als unkonventionelle Maßnahme zur Belebung der Wirtschaft (vor allem über den Wechselkurskanal) gefeiert wurde, wird heute vor allem als zusätzliche Belastung der Banken gesehen, die mehr Schaden als Nutzen stiftet.

Dies wäre nun eigentlich die Stunde der Wirtschaftspolitik, die ausgereizte Geldpolitik zu entlasten und der Wirtschaft mit kluger Reformpolitik neue Impulse zu geben. Aber dies erscheint zurzeit wenig wahrscheinlich. Die Politik ist gelähmt, in den USA durch den Wahlkampf und in Europa durch Flüchtlingskrise und drohenden Brexit. Vor allem die EU gibt derzeit ein beklagenswertes Bild ab; erstmals seit ihrer Gründung scheint ein Auseinanderbrechen der EU zumindest im Bereich des Möglichen.

Ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch handlungsfähiges Europa ist für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung.

Auch wenn es dazu am Ende nicht kommen wird, ist mit ökonomischen Kollateralschäden zu rechnen. Denn die Unfähigkeit, in der Flüchtlingskrise gemeinsam zu handeln, färbt auch auf andere Bereiche ab. Stillstand kann sich Europa dabei eigentlich nicht leisten. Finanz- und Bankenkrise sind noch kaum überwunden, Produktivitätsentwicklung und Wachstum bleiben (zu) schwach. Noch lange hat Europa sein wirtschaftliches Potenzial, das in der Integration der Märkte liegt, nicht ausgeschöpft. Notwendig wäre es daher, die entsprechenden Projekte mit Verve voranzutreiben, von der geplanten Kapitalmarkt- und Energieunion über den Ausbau des Binnenmarkts für Dienstleistungen und Digitalwirtschaft bis hin zum Abschluss des Partnerschaftsabkommens mit den USA.

Die EU schwächelt

Doch tatsächlich ist die EU vornehmlich mit sich selbst beschäftigt; als Impulsgeber für mehr Wettbewerb und bessere Marktintegration trägt sie zurzeit wenig bei. Auch ihre Rolle als gemeinsame Plattform, auf der europäische Antworten auf die globalen Herausforderungen entwickelt werden, ist derzeit geschwächt. Ohne eine kohärente europäische Strategie gibt es aber kaum eine Möglichkeit für die einzelnen Mitgliedstaaten, die globale Wirtschaftsordnung mitzugestalten. Für die Unternehmen kann dies in verschlechterten Wettbewerbsbedingungen resultieren – und auch für die globale Klima- oder Big-Data-Politik verheißt es nichts Gutes, wenn die europäische Stimme wenig Gehör findet.

Auf die Fortsetzung der guten Jahre kann nur hoffen, wer rechtzeitig die Weichen für weiteres Wachstum stellt. Nur so hat Deutschland eine Chance, in unsicheren Zeiten globaler und europäischer Krisen weiter Kurs zu halten.

Ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch handlungsfähiges Europa ist für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Deutschlands Politik und Eliten müssen ihre Anstrengungen verdoppeln, den Zusammenhalt in der EU wieder zu stärken. Gleichzeitig müssen wir uns wieder mit mehr Energie daran machen, unsere eigenen Hausaufgaben zu erledigen. Die Liste ist lang: eine zielgerichtete Steuerpolitik und eine Begrenzung von Kostensteigerungen zur Stärkung des Standorts, Ausbau der Bildungsangebote, Sicherung der Altersvorsorge, Erneuerung der Infrastruktur, um nur einige zu nennen. Viel geholfen wäre dabei schon, wenn die Politik in Zukunft auf neue Belastungen für die Wirtschaft verzichtete. Denn eins ist klar: Auf die Fortsetzung der guten Jahre kann nur hoffen, wer rechtzeitig die Weichen für weiteres Wachstum stellt. Nur so hat Deutschland eine Chance, in unsicheren Zeiten globaler und europäischer Krisen weiter Kurs zu halten.

Der Autor

Professor Michael Heise ist Chefvolkswirt der Allianz Gruppe. Er berät die Vorstände des Unternehmens in volkswirtschaftlichen und strategischen Fragen. Zuvor war Heise u.a. Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Sie interessieren sich für das BAYERNKURIER-Monatsmagazin? Alle Informationen finden Sie hier.