Bereits Franz Josef Strauß war das deutsch-israelische Verhältnis ein wichtiges Anliegen - wenn auch auf eher unkonventionelle Weise. Bild: Fotolia / Deva Mikael
Deutschland-Israel

Deutsch-israelisches Wunder

Gastbeitrag Vor 50 Jahren, am 12. Mai 1965, nahmen Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf. Für den bedrohten jüdischen Staat gab es damals ein vitales Interesse an der Zusammenarbeit mit dem einstigen „Land der Mörder“. Heute ist Israel unverzichtbarer Partner der Europäer.

Eine im Januar 2015 publizierte demoskopische Studie, die im Auftrag des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Israelis heute sehr wohlwollend gegenüber Deutschland eingestellt seien: „Unter den europäischen Nationen erhält Deutschland unangefochten den Spitzenplatz in der Beliebtheitsskala.“ Die Rolle Deutschlands in Europa, in der internationalen Politik, aber auch in Bezug auf den Nahost-Konflikt werde in Israel außerordentlich positiv eingeschätzt. Eine noch aktivere Rolle Deutschlands in der Zukunft sei ausdrücklich erwünscht.

Vitales Interesse an Zusammenarbeit mit dem „Land der Mörder“

Vergleicht man das heutige Meinungsklima in Israel mit der Stimmung vor 50 Jahren, als die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel diplomatische Beziehungen zueinander aufnahmen, könnte man versucht sein, von einem Wunder zu sprechen. Das gilt noch mehr, wenn man die Vorgeschichte des 12. Mai 1965 seit der israelischen Unabhängigkeitserklärung 1948 und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 in den Blick nimmt. In seinem bemerkenswerten Buch „Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage“ untersucht der Jerusalemer Historiker Dan Diner innerisraelische Debatten nach 1948 über einen gegen Deutschland zu verhängenden „Bann“. Es ging dabei um eine Art Kontaktsperre, wie sie von sephardischen Juden gegenüber Spanien nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel 1492 praktiziert worden war.

Dass ein solcher „Bann“ niemals förmlich ausgesprochen wurde und alle Kontaktsperren schnell durchlöchert wurden, hatte viel mit der Staatsräson beider Seiten zu tun. Für den von Anfang an in seiner Existenz bedrohten jüdischen Staat gab es ein vitales Interesse an der Zusammenarbeit mit dem einstigen „Land der Mörder“. Die Rückkehr des deutschen Volkes in die Gemeinschaft zivilisierter Nationen setzte wiederum voraus, dass sich die junge Bundesrepublik der deutschen Verantwortung für die an den europäischen Juden begangenen Verbrechen stellte. In diesem Sinne bezeichnete es Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 27. September 1951 als „die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes“, das deutsch-jüdische Verhältnis „auf eine neue und gesunde Grundlage [zu] stellen“.

Wenn wir von den Anfängen der deutsch-israelischen Beziehungen sprechen, denken wir heute vor allem an das Wiedergutmachungsabkommen vom 10. September 1952. Weniger im Fokus stehen die militärische Zusammenarbeit, die auf deutscher Seite mit dem Namen Franz Josef Strauß verbunden ist, und die geheimdienstliche Kooperation. In den Fünfzigerjahren profitierte die Bundesrepublik von israelischen Erkenntnissen, die sie von Amerikanern, Briten und Franzosen nicht erhielt, während Israel an den besonders wertvollen deutschen Informationen über Mittel- und Osteuropa interessiert war.

Zunehmend negatives Israelbild in Deutschland

Im Geschichtsbewusstsein beider Seiten bleibt die Ermordung der europäischen Juden – „die Katastrophe“ (ha-Schoah), wie sie im Hebräischen heißt – fest verankert. Die vergangenen 50 Jahre haben aber auch gezeigt, dass diese Erinnerung einer partnerschaftlichen, ja freundschaftlichen Beziehung sowohl auf persönlicher wie auf zwischengesellschaftlicher und staatlicher Ebene nicht im Wege steht.

Wem diese Beziehung am Herzen liegt, muss mit Sorge feststellen, dass dem zunehmend positiven Deutschlandbild in Israel ein zunehmend negatives Israelbild in Deutschland gegenübersteht. Laut einer BBC-Umfrage von 2013 hat Israel in den Mitgliedstaaten der EU spürbar an Sympathie verloren. Besonders schlecht ist sein Image in Großbritannien mit 72 Prozent negativen Antworten. In Spanien sind es 70, in Deutschland 67, in Frankreich 63 und in Polen 44 Prozent. Dass Deutschland sich damit innerhalb der europäischen Bandbreite bewegt, ist kein Trost.

Hauptursache für das negative Israelbild der Europäer ist die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern. Diese Politik soll hier nicht verteidigt werden. Es ist allerdings nur fair, daran zu erinnern, dass der palästinensische Anteil am bisherigen Misserfolg des Friedensprozesses mindestens so groß ist wie der israelische. Im Übrigen ist es ein Fehler, Israel ausschließlich durch die Brille des Konflikts zu betrachten. Das Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist ein guter Anlass, sich im Blick auf die Zukunft zu vergegenwärtigen, wie viele Gemeinsamkeiten Israelis und Europäer miteinander verbinden.

Wirtschaftliche und kulturelle Verbundenheit

In der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit haben beide Seiten einander viel zu bieten. Die „Start-up Nation“ Israel kann stagnierenden europäischen Ländern als Beispiel dafür dienen, wie sich Mangel an Rohstoffen durch Erfindergeist und Innovationskraft mehr als nur kompensieren lässt. So lag Israel, um nur ein Beispiel zu nennen, beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2013 vor Frankreich und dem EU-Durchschnitt.

Auch kulturell ist die europäisch-israelische Partnerschaft keine Einbahnstraße. Das Hebräische wird zwar – im Weltmaßstab – nur von einer winzigen Gruppe von Menschen gesprochen; aber es bringt eine Literatur von Weltrang hervor (Samuel Agnon, Amos Oz, David Grossman, Zeruya Shalev, um nur einige Autoren zu nennen). In Israel entsteht eine neue Synthese von europäischem und orientalischem Judentum, die das Land zu einer Brücke zwischen Okzident und Orient werden lässt. Und wenn immer wieder betont wird, Europa sei kein „christlicher Club“, dann muss ebenso klar gesagt werden, dass der Nahe Osten kein „muslimischer Club“ ist, sondern seit jeher auch die Heimat bedeutender christlicher und jüdischer Populationen.

Iran als nukleare Großmacht würde beiden Staaten schaden

Im Hinblick auf die gewaltsamen Umbrüche im Nahen Osten und Nordafrika teilen Israelis und Europäer grundlegende Sicherheitsinteressen. Beide werden – wenngleich in unterschiedlicher Weise – durch die Ausbreitung dschihadistisch-salafistischen Terrors bedroht. Beide wären betroffen, wenn es dem Iran gelänge, sich als nukleare Großmacht in der Region zu etablieren. Dies spricht für eine Vertiefung der sicherheitspolitischen Kooperation – vom Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse bis zur Formulierung gemeinsamer Strategien.

Ohne Israel ist eine gute Zukunft für Europa und den Nahen Osten nicht vorstellbar. In den Nachbarländern Israels mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit wächst die Erkenntnis, dass man für die eigene Modernisierung eine enge Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlich, technisch und wirtschaftlich so erfolgreichen Israel braucht. Vielleicht ist dieser Sinneswandel der Schlüssel zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, für den es weder einer rein bilaterale noch eine von außen forcierte, sondern nur eine aus der Region selbst kommende Lösung geben kann. Die Verantwortung Deutschlands und Europas besteht darin, eine solche Lösung zu fördern und ihre Haltbarkeit nach Kräften zu sichern.

Der Autor war von 2011 bis 2014 Leiter des Auslandsbüros Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung. Von seiner Frau Barbara und ihm erschien im April das Buch „Am Nabel der Welt. Jerusalem – Begegnungen in einer gespaltenen Stadt“ (Bonifatius-Verlag).