Waffenstillstand oder Fata Morgana?
Münchner Sicherheitskonferenz in düsterer Stimmung: Zwei Tage lang gab es im Konferenzsaal wenig Hoffnung, dass die Münchner Einigung auf einen Waffenstillstand in Syrien Realität werden könnte. Jetzt soll es ein Telefongespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin richten. Problem: Es kommt nicht nur auf Russland und Amerika an.
Sicherheitskonferenz

Waffenstillstand oder Fata Morgana?

Münchner Sicherheitskonferenz in düsterer Stimmung: Zwei Tage lang gab es im Konferenzsaal wenig Hoffnung, dass die Münchner Einigung auf einen Waffenstillstand in Syrien Realität werden könnte. Jetzt soll es ein Telefongespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin richten. Problem: Es kommt nicht nur auf Russland und Amerika an.

Nach zwei düsteren Münchner Konferenztagen konnte Botschafter Wolfgang Ischinger zum Abschied doch noch einen Lichtblick bieten: Irgendwann zwischen Samstag und Sonntag hatten US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin miteinander telefoniert und über Syrien gesprochen. Ischinger vorsichtig: „Es sieht so aus, als hätten sie vereinbart, für die Umsetzung der Münchner Einigung sorgen zu wollen.“

Welche Chance geben Sie dem Waffenstillstand in einer Woche?

Botschafter Wolfgang Ischinger

Begonnen hatte die 52. Münchner Sicherheitskonferenz mit einer kleinen Sensation. In der Nacht zum Freitag hatten sich die 18 Außenminister der Syrien-Kontaktgruppe auf eine Waffenruhe in Syrien verständigt – die allerdings erst eine Woche später beginnen sollte. Auf die Hoffnung folgte schnell Ernüchterung: Russische Flugzeuge bombardierten weiter,  Assad-Milizen rückten vor, Saudis und Türken drohten mit Truppeneinsatz. Was weniger wahrgenommen wurde: Auch türkische Artillerie schoss weiter auf kurdische Stellungen auf der syrischen Seite der Grenze.

Waffenstillstand oder Einstellung der Feindseligkeiten?

Die Münchner Einigung – nur eine syrische Fata-Morgana? Den Eindruck musste man auf der Sicherheitskonferenz fast gewinnen. Im Tagungssaal des Luxus-Konferenzhotel Bayerischer Hof blieb von der Einigung im Hilton-Hotel nicht viel übrig. Ischingers saloppe Abschlussfrage an eine Außenministerrunde machte es überdeutlich: „Auf einer Skala von eins bis 100 – welche Chance geben sie dem Waffenstillstand in einer Woche?“ Außenminister Frank-Walter Steinmeiers schnelle Antwort: 51 Prozent.

Offensichtlich soll es vor allem darum gehen, die Angriffe der russischen Luftwaffe zu beenden.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow

Sein russischer Kollege Sergej Lawrow, der zuvor Englisch gesprochen hatte, nannte keine Zahl, sondern wurde auf Russisch ausführlich. Dabei wurde deutlich, dass noch nicht einmal klar war, um was es eigentlich gehen sollte: um einen  Waffenstillstand („cease fire“) oder um eine viel weitergehende Einstellung der Feindseligkeiten („cessation of hostilities“)? Nach Letzterem hatte Ischinger gefragt und nur davon war im Bayerischen Hof ständig die Rede, sehr zur Überraschung der Russen, die der Meinung waren, nur einen Waffenstillstand vereinbart zu haben. Lawrow monierte außerdem, dass der Luftkrieg der US-geführten Koalition gegen den Islamischen Staat auch nach Beginn des Waffenstillstands weitergehen sollte: „Offensichtlich soll es vor allem darum gehen, die Angriffe der russischen Luftwaffe zu beenden.“ Der Waffenstillstand müsse aber für alle gelten. Lawrow: „Ich habe ernste Zweifel.“ Ischinger musste noch einmal nach seiner Zahl zwischen eins und 100 fragen. Lawrow nach kurzem Zögern: 49.

Also, ich spreche ja kein Russisch, aber so wie das klang, war das wohl eher Null.

Großbritanniens Außenminister Philip Hammond

Darauf der britische Außenminister Philipp Hammond, der ohne Kopfhörer und Übersetzung Lawrows Ausführung angehört hatte: „Also, ich spreche ja kein Russisch, aber so wie das klang, war das wohl eher Null.“ Niemand im Saal konnte lachen. Alles hinge von Russland ab, erläuterte der Brite dann. Wenn die Russen ihre Luftangriffe nicht einstellten, könne man auch von den Anti-Assad-Milizen nicht erwarten, dass sie das Feuer einstellten und an den Konferenztisch kämen. Hammond: „Will Russland deeskalieren oder will es den Krieg fortsetzen? Davon hängt alles ab.“

Nicht nur ein Krieg in Syrien, sondern viele

Zwei Konferenztage lang deutete dann nichts darauf hin, dass die Russen sich für die Deeskalation entscheiden könnten. „Wir müssen einen einheitlichen syrischen Staat erhalten, sonst droht Zerfall“, warnte etwa Premierminister Dimitri Medwedew: „Die Welt kann sich kein weiteres Libyen,  Jemen oder Afghanistan leisten.“ Denn die Folge wäre ewiger Krieg. Da gab ihm sein US-Kollege John Kerry sogar ein Stück weit recht: „Wir müssen diesen Krieg beenden, denn sonst bekommen wir eine endlose Eskalation.“ Der Bürgerkrieg in Syrien dauere jetzt schon fünf Jahre, so Kerry, „ohne dass es Anzeichen dafür gibt, dass er bald ausbrennt.“ Solange der Krieg fortgesetzt würde, so Kerry, „wird auch der Ruf zum Dschihad wachsen“. Kerry weiter: „Aber Frieden kann es niemals geben, solange Assad am Ruder seines Landes bleibt.“ Genau das sieht man Moskau eben ganz anders.

Wir müssen diesen Krieg beenden, sonst bekommen wir eine endlose Eskalation.

US-Außenminister John Kerry

Immerhin gab Medwedew auch Aufschluss über ein russisches Kriegsziel in Syrien: „Wir kämpfen dort, weil viele Milizen, die dort kämpfen, aus Russland kommen. Die würden zurückkommen, aber die sollen da bleiben.“ Was heißen sollte: Moskau will dafür sorgen, dass die vielen tschetschenischen Dschihadisten nicht nach Tschetschenien zurückkehren, sondern in Syrien und Irak bleiben – am besten „in ihren Gräbern“, wie Putin es einmal gesagt hat. Die Russen bekämpfen tschetschenische Dschihadisten lieber in Syrien als in Russland. Der Bürgerkrieg in Syrien soll so zur Stabilität in Russland beitragen – so denkt man sich das offenbar in Moskau.

Wir kämpfen dort, weil viele Milizen, die dort kämpfen, aus Russland kommen. Die würden zurückkommen, aber die sollen da bleiben.

Russlands Premierminister Dimitri Medwedew

Aber ganz allein von den Russen hängen Krieg oder Frieden in Syrien doch nicht ab. Auch das wurde in München sichtbar. In scharfen Worten bestand etwa Saudi-Arabiens Außenminister Adel Al-Dschubair darauf, dass das Regime von Diktator Assad enden müsse. Assad habe den Islamischen Staat (I.S.) stark gemacht, so der Saudi, und solange Assad nicht verschwinde, könne man den I.S, nicht besiegen. Was bedeutet: Solange Assad in Damaskus bleibt, wird Riad seinen Stellvertreter-Krieg in Syrien fortsetzen. Denn wenn Assad bliebe, wäre das ein Sieg der Iraner in Syrien – und implizit eine Festigung der iranischen Position im jetzt schiitischen Irak – was Riad eben auf keinen Fall erträgt.

Zudem denkt auch die Türkei über einen Einmarsch in die kurdischen Gebiete von Syrien nach und fliegt Luftangriffe auf deren Stellungen. Offiziell, weil die kurdischen Truppen dort hunderttausende Syrer in die Flucht trieben. Inoffiziell aus Sorge um einen kurdischen Staat in Nordsyrien und im Irak mit Auswirkungen auf die Kurden in der Türkei. Außerdem versucht der türkische Autokrat Erdogan damit, die Zustimmung zu seiner Regierung zu verbessern – nur aus diesem Grund hatte er vor den letzten türkischen Wahlen den Krieg gegen die Kurden überhaupt angefangen.

Die komplizierte und traurige Wahrheit ist: In Syrien führen sehr viele Parteien ihre ganz eigenen Kriege mit sehr unterschiedlichen Zielen. Und das wird sich so schnell kaum lösen lassen. Es wird spannend sein zu sehen, was das Telefonat zwischen Obama und Putin bewirkt.