Putin spielt auf Risiko
Wie umgehen mit Russland? So lautete die beherrschende große Frage auf dem 11. Transatlantischen Form − sozusagen die politische Auftaktveranstaltung zur 52. Münchner Sicherheitskonferenz. Die CSU-Gesprächrunde war dicht besetzt. Das klassische Round-Table-Format zieht in seinen Bann, es geht um den Austausch klarer Positionen in kurzer Zeit.
Transatlantisches Forum

Putin spielt auf Risiko

Wie umgehen mit Russland? So lautete die beherrschende große Frage auf dem 11. Transatlantischen Form − sozusagen die politische Auftaktveranstaltung zur 52. Münchner Sicherheitskonferenz. Die CSU-Gesprächrunde war dicht besetzt. Das klassische Round-Table-Format zieht in seinen Bann, es geht um den Austausch klarer Positionen in kurzer Zeit.

Wie umgehen mit Russland? Die große Macht an Europas Ostgrenze führt die Europäer, den Westen vor ein Dilemma, überlegte Bundesminister, CSU-Vize und Gastgeber des Transatlantischen Forums, Christian Schmidt: Russland führt einen kaum noch verdeckten Krieg in der Ukraine und hat in Syrien offen interveniert. Zugleich ist klar: Ohne Russland ist in der Ukraine wie in Syrien Frieden schwer zu erreichen. Gegen Russland geht gar nichts. Gleichzeitig könne der Westen aber auch nicht hinnehmen, dass nun „altes Denken in Einflusssphären, das internationales Recht mit Füßen tritt“ in die internationale Politik zurückkehre.

Modus vivendi der Koexistenz mit Russland − wie im Kalten Krieg

„Transatlantische  Einigkeit“, lautete eine amerikanische Antwort auf die große Russlandfrage. Russlands Präsident Wladimir Putin versuche die Europäer und den Westen zu spalten. Bisher vergeblich. Sichtbar sei auch, dass Putin die Sanktionen und die Politik der Isolierung leid sei. Das sei auch abzulesen an den jüngsten Telefongesprächen zwischen US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen: „Die verlaufen jetzt besser als noch vor Monaten oder vor einem Jahr.“ Putin wolle die Sanktionen loswerden und zur Politik zurückkehren: „Wir müssen nur sicherstellen, dass das zu unseren Bedingungen passiert, nicht zu seinen.“ Dazu müsse der Westen weiter Druck auf Putin ausüben und etwa darauf bestehen, dass Moskau die Minsker Verabredungen über den Waffenstillstand in der Ukraine einhalte. Entscheidend allerdings sei die Einheit des Westens gegenüber Russland: „Wir müssen keine Politik der Isolierung und Eindämmung betreiben, wir können Russland einbinden – aber wir müssen es gemeinsam tun.“

Jetzt haben wir es in Moskau mit einem Mann zu tun, der Risiken eingeht, die frühere Moskauer Regierungen niemals eingegangen wären.

Was möglicherweise nicht einfach wird, warnte ein US-Außenpolitikexperte und alter Hase der Münchner Sicherheitskonferenz: „Wir sind noch verwöhnt aus der Zeit des Kalten Kriegs. Denn da hatten wir es in Moskau mit einer Führung zu tun, die vor allem auf eines bedacht war: Stabilität.“ Nicht mehr: „Jetzt haben wir es in Moskau mit einem Mann zu tun, der Risiken eingeht, die frühere Moskauer Regierungen niemals eingegangen wären.“ Die Annexion der Krim sei ein solches risiko-Manöver gewesen. Putin selber sei wahrscheinlich überrascht gewesen, dass es glatt verlaufen ist. Tatsächlich habe erst der Abschuss des Jets der Malaysia Airlines im Juli das Blatt und die Stimmung der Öffentlichkeit gründlich gegen Moskau gewendet. Eine sowjetische Regierung wäre sofort zurück gerudert. Nicht so Putin: „Der hat draufgesattelt und noch mehr Truppen in die Ukraine geschickt.“ Der US-Experte weiter: „Putin spielt ein schwaches Blatt sehr geschickt und ist unberechenbar. Er setzt auf kurzfristige Gewinne und nutzt jede Gelegenheit sofort aus.“ Putin werde in Osteuropa nicht über die Ukraine hinausgehen, beruhigte dagegen ein ehemaliger amerikanische Nato-Botschafter und früherer Angehöriger des US-Sicherheitsrats. Richtig sei allerdings, „dass wir Russland nicht erlauben dürfen, uns regelrecht vorzuführen“.

2007 hat Putin hier in München angekündigt, dass er seinen eigenen Weg gehen wird. Das gefällt uns nicht, ist aber Realität: Er geht seinen Weg.

In gewisser Weise ähnlich sah es ein ehemaliger Berliner Unionsabgeordneter, kam aber dennoch zu anderer Schlussfolgerung: „2007 hat Putin hier in München angekündigt, dass er seinen eigenen Weg gehen wird. Das gefällt uns nicht, ist aber Realität: Er geht seinen Weg.“ Der ehemalige Unionspolitiker weiter: „Jetzt brauchen wir mit Russland einen Modus vivendi der Koexistenz – wie im Kalten Krieg.“ Washington müsse sich dazu gegenüber Moskau zu einer neuen Politik der Annäherung und der Einbindung entschließen. Wie einst Ronald Reagan und Michail Gorbatschow auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges müssten nun der amerikanische und der russische Präsident von Angesicht zu Angesicht miteinander reden. Sanktionen gegen Moskau führten nicht weiter, so der ehemalige Unionsaußenpolitiker. Jetzt ginge es darum, „die Drähte des Dialogs zu pflegen und zu nutzen“. Das vor allem „würden wir von einer neuen US-Administration erwarten“, pflichtete Gastgeber Christian Schmidt bei: „ Dass sie die Sprachlosigkeit gegenüber Russland beendet.“

Eskalationsgefahr in Syrien

Die letzten Tage haben allerdings auch gezeigt, dass Russland mit seiner Intervention in den syrischen Bürgerkrieg dort alles schwieriger gemacht hat – und blutiger. Ein amerikanischer Gast drückte dennoch eine Hoffnung aus: „Vielleicht ist jetzt der Punkt erreicht, an dem Russland das Gefühl hat, das Assad-Regime ausreichend gestärkt zu haben und darum bereit ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.“ Für Amerikaner und Europäer gehe es jetzt darum aus einer Position der Stärke in Syrien – beziehungsweise in Genf oder jetzt eben in München – einen Ausgleich zu suchen, überlegte Entwicklungshilfe-Staatssekretär Thomas Silberhorn. Problem: „Viele Akteure in Syrien suchen nicht Ausgleich, sondern Dominanz.“ Was in Syrien nur zu Eskalation führen könne. Silberhorn: „Es kann sein, dass wir in Syrien den Gipfel der Eskalation noch lange nicht gesehen haben.“

Niemand hat einen Plan für ein Syrien, in dem dann alle Religionsgruppen geschützt sind und sicher leben können.

Vieles spricht dafür, dass Silberhorn Recht behält. Je länger man auf die Syrienkrise schaut, desto unlösbarer erscheint sie – auch auf dem Transatlantischen Forum der CSU. Die Instabilität in Syrien und dem Irak sei eine Folge des Zusammenbruchs der mittelöstlichen Ordnung aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, erinnerte ein US-Experte. Und den Zusammenbruch dieser Staatenordnung könne man auch nicht stückweise heilen. Was wohl heißen sollte: Die ganze Region braucht eine ganz große Friedenslösung. Trotzdem kommt es eben auch auf die instabilen Einzelteile an. Und da herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Niemand wisse wie es in Syrien nach Assad weiter gehen solle, so ein ehemaliger US-Botschafter: „Niemand hat einen Plan für ein Syrien, in dem dann alle Religionsgruppen geschützt sind und sicher leben können.“

Die Geschichte der Kurden ist eine Geschichte von Uneinigkeit und Stammeskriegen.

Die Sache wird für Amerikaner und Europäer nicht einfacher dadurch, , so ein US-Gast, dass es „am Boden in Syrien für uns einfach keine guten Partner gibt“. Außer den Kurden. Aber deren Aufstieg wiederum führt dazu, dass nun die Türkei für den Westen zum „unbequemen Partner“ werde. Vielleicht könne man den Türken die Angst vor dem Kurden-Staat entlang ihrer syrischen Grenze ausreden, überlegte ein anderer US-Konferenzteilnehmer. Denn der Kurdenstaat sei nicht sehr wahrscheinlich: „Die Geschichte der Kurden ist eine Geschichte von Uneinigkeit und Stammeskriegen.“

Es kann sein, dass wir in Syrien den Gipfel der Eskalation noch lange nicht gesehen haben.

Thomas Silberhorn

Viele Akteure sind in syrischen Bürgerkrieg involviert, erinnerte Kroatiens neuer Außenminister Miro Covac – übrigens in allerbestem Deutsch. Drum könne es Frieden dort nur geben, wenn alle großen Akteure gemeinsam und „integriert“ handelten, ebenso wie vor 25 Jahren, als es um Frieden in Bosnien-Herzegowina ging. Auf eine gerne übersehene Dimension der syrischen Katastrophe erinnerte Entwicklungsstaatsekretär Silberhorn: Mehr als die Hälfte der Millionen syrischen Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche, die seit fünf Jahren ohne Schulunterricht sind. Das habe es in Europa nicht einmal während des Zweiten Weltkriegs gegeben. Auch das ist ein Teil der humanitären Katastrophe in Syrien.

Terrorgefahr für Europa

Gegenüber dem Islamischen Staat (I.S.) drang ein deutsch-britischer Experte auf eine entschlossene Politik der „aggressiven Eindämmung“: zurückdrängen, bombardieren, von den Finanzen abschneiden. Im Auge behalten müsse man die Versuche des I.S., sich in Nordafrika auszudehnen. Im libyschen Sirte habe er sich schon erfolgreich festsetzen können. Jetzt sei Algerien in Gefahr – ein Land mit unklarer Zukunft und voller Waffen und Dschihadisten.

Entschlossene Politik der aggressiven Eindämmung des Islamischen Staats: zurückdrängen, bombardieren, von den Finanzen abschneiden.

Beunruhigend für die Europäer: Für 2016 sind weitere Terroranschläge im Stil des Pariser 13. Novembers zu erwarten. Besonders die kleinen europäischen Länder seien von der dschihadistischen Bedrohung überfordert. Kein Wunder: Die Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden funktioniert nicht. So gibt es nirgendwo im EU-Raum eine Stelle, die alle europäischen Dschihad-Reisenden erfasst. Nur vier EU-Länder geben überhaupt Dschihadisten-Namen in eine gemeinsame Datenbank ein. Es sei darum nicht überraschend, dass die Dschihad-Rückkehrer völlig unkontrolliert einreisen können.

Das Schengen-System funktioniert nicht. Es gibt mehrere Länder, die die Spielregeln nicht einhalten und damit unsere Sicherheit gefährden.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Ein düsterer Befund, den Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sogleich bestätigte: Es gebe ein Fülle von Daten, von denen die Sicherheitsbehörden der Mitgliedsländer aber keinen Gebrauch machten. Umgekehrt hätten Sicherheitsbehörden und Geheimdienste Erkenntnisse, die aber nicht in gemeinsame Datenbanken einflössen. Beispiel: Einer der Attentäter vom 13. November war mit einem vom I.S. erbeuteten syrischen Pass nach Griechenland eingereist und dort registriert worden. Die Nummern der gestohlenen syrischen Blanko-Pässe sind seit langem in die europäischen Datenbanken eingespeist. Wenn die Griechen bei Europol die Passnummer abgefragt hätten, wäre der Pass sofort als gestohlen aufgeschienen. Herrmann: „Es ist aber nicht abgefragt worden.“ Herrmanns Schlussfolgerung: „Das Schengen-System funktioniert nicht. Es gibt mehrere Länder, die die Spielregeln nicht einhalten und damit unsere Sicherheit gefährden.“

Die Flüchtlingskrise ist noch lange nicht vorbei

Das zeigt sich schon lange auch in der großen Flüchtlingskrise, erinnerte Silberhorn: Die EU sei eben nicht in der Lage, ihre Außengrenzen zu schützen. „Ich habe ernste Zweifel, dass alle Länder überhaupt willens sind, die Grenzen zu schützen.“ Was schon in diesem Jahr zu unbeherrschbaren Folgen führen könnte: Denn alle Länder Nordafrikas und Afrikas stehen unter dramatischem demographischen Druck mit sehr jungen Bevölkerungen und riesiger Jugendarbeitslosigkeit. Silberhorn: „Afrikas Bevölkerung wird sich innerhalb einer Generation – bis 2050 – auf 2,4 Milliarden Afrikaner verdoppeln.” Der Migrationsdruck in Afrika wird nicht nachlassen, sondern wachsen.

Alle Länder Nordafrikas und Afrikas stehen unter dramatischem demographischen Druck mit sehr jungen Bevölkerungen und riesiger Jugendarbeitslosigkeit.

Thomas Silberhorn

Die Europäer machen einen Fehler, wenn sie nur auf die Balkanroute starrten, warnte auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: Die Nordafrika-Route über Libyen sei nach wie vor höchst aktiv. „Dort sitzen Hunderttausende auf ihren Koffern.“  Scheuer sah für den nächsten Sommer schon große Flüchtlingsströme an der deutsch-österreichischen Grenze voraus – und wachsende politische Instabilität auch in Europa: „Das treibt mich um“.

Wir brauchen in Europa eine Rückkehr zu stabiler Lage.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer

Die Prognose mündete in einen Appell an die amerikanischen Gäste: Die transatlantische Partnerschaft sei nur garantiert bei politisch ruhigen Verhältnissen in Europa. Aber die Flüchtlingskrise wühle jetzt die Bevölkerungen auf und führe zu parteipolitischen Entwicklungen und Wahlergebnissen, „die uns als Europäer nicht ruhig lassen können“. Die außenpolitischen Partner müssten sich klar machen, dass das eben auch Folgen für die Partnerschaft haben könne. Scheuer: „Wir brauchen in Europa eine Rückkehr zu stabiler Lage.“