Anton Jaumann, Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, 1986. (Bild: imago/WEREK)
Anton Jaumann

Der Vater des Aufschwungs

18 Jahre lang war Anton Jaumann Bayerns Wirtschaftsminister, von 1970 bis 1988. In dieser Zeit gelang dem Freistaat der Sprung vom Agrarstaat zur bewunderten Industrieregion. In diesem Dezember wäre Jaumann 90 Jahre alt geworden.

Bayerns Wirtschaftswunder hat viele Väter. Aber der wichtigste unter ihnen ist zweifellos Anton Jaumann. 18 Jahre lang, vom 8. Dezember 1970 bis zum 13. Juni 1988 war der Bauernsohn aus dem Nördlinger Ries Wirtschaftsminister in München. Als er antrat, zählte der Freistaat noch zu den Bundesländern, die Hilfe aus dem Länderfinanzausgleich empfingen − 76 Millionen Euro, etwa ein Zehntel der 694 Millionen Euro, die noch 2016 das Zwerg-Bundesland Bremen verschlang.

Als Jaumann im Juni 1988 aus Gesundheitsgründen das Wirtschaftsministerium aufgeben musste, stand Bayern zum zweiten Mal mit Nullkommanull auf der Liste des Länderfinanzausgleichs. Bereits ein Jahr später, im Wendejahr 1989, stand der Freistaat mit 33 Millionen Euro auf der Zahlerseite.

Wobei es nicht geblieben ist: Bayern hob ab, aber richtig. Heute ist Bayern einer von genau drei Nettozahlern – und trägt mit 5,8 Milliarden Euro mehr bei als die anderen beiden Zahler, Baden-Württemberg und Hessen, zusammen. Das ist Jaumanns Verdienst, der als Bayerns am längsten dienender Finanzminister der Nachkriegszeit fast 20 Jahre lang alles richtig gemacht hat.

Schnelle Karriere

Aber der Reihe nach. 1927 wurde Jaumann als Sohn eines Landwirts im nordschwäbischen Belzheim sozusagen in die Lokalpolitik hineingeboren – die Familie stellte seit Generationen den Bürgermeister. Eigentlich hätte der Drittgeborene Priester werden sollen. Es kam anders. Nach Krieg und Gefangenschaft begann er zwar ein Theologiestudium, entschied sich dann aber für die Juristerei und führte von 1957 bis 1966 in München eine Anwaltskanzlei.

Ich werde versuchen, jedem einzelnen Wähler ein bereitwilliger Helfer und dem Wahlkreis ein guter Abgeordneter werden.

Anton Jauman als Landtagskandidat 1958

Die Politik ergriff schnell Besitz von ihm: 1949 Kreisgeschäftsführer der CSU in Nördlingen, 1955 Kreisvorsitzender, 1958 zum ersten Mal als Abgeordneter für den Stimmkreis Donauwörth und Nördlingen in den Landtag gewählt. „Ich werde versuchen, jedem einzelnen Wähler ein bereitwilliger Helfer und dem Wahlkreis ein guter Abgeordneter werden“, hat er damals versprochen – und das Versprechen 30 Jahre lang gehalten.

1963 ernannte ihn Franz Josef Strauß zum CSU-Generalsekretär (bis 1967), am 5. Dezember 1966 holte ihn Ministerpräsident Alfons Goppel als Finanzstaatssekretär ins Kabinett. 1970 wäre er wohl lieber Finanzminister geworden. Aber es kam wieder anders: Goppel übertrug ihm in seiner dritten Regierung das Ressort Wirtschaft und Verkehr – dem Freistaat zu Segen.

Bayerns Aufstieg

Man muss wieder auf die Zahlen blicken, um zu erahnen, was dann in und mit Bayern passierte. Der Freistaat galt 1970 noch als das Armenhaus der Republik. Was nicht ganz gerecht war: Niedersachsen bezog schon damals drei Mal so viel Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Aber richtig war: Mit 17,3 Prozent der Bevölkerung trug Bayern nur 15,1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik bei – aber 24,8 Prozent der Arbeitslosen.

Mit Jaumann kam die Wende: Währen das BIP der Bundesrepublik in den folgenden zwanzig Jahren um 259 Prozent wuchs, legte das Bayerns um 297 Prozent zu. Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs im gleichen Zeitraum in Bayern mit 11,7 Prozent fast doppelt so schnell wie in der gesamten Republik mit nur 6,8 Prozent. In Jaumanns 18 Jahren als Wirtschaftsminister ist Bayern aufgestiegen vom Agrarstaat zu einem der weltweit führenden Industriestandorte.

Ganzheitliche Wirtschaftspolitik

Es ist müßig, nach einem einzelnen Schlüssel, einer einzigen Erklärung für Jaumanns Erfolg zu suchen. Alles war wichtig. Es ist das Ensemble der Arbeit dieses Wirtschaftsministers, der die Dinge eben so zusammen sah, wie sie auch zusammenhingen, und der stets den Freistaat insgesamt vor Augen hatte. Wenn es ein großes Rezept gab, dem er folgte, dann dieses: Strukturwandel darf man nicht erleiden, man muss ihn gestalten. Und genau das hat er getan, für sein Bayern.

Weil er wusste, dass das energiearme Land für den industriellen Aufstieg viel und billige Energie brauchte, hat er sich für die Kernkraft eingesetzt – bis Bayern tatsächlich den niedrigsten Strompreis hatte. Weil Industrie und überhaupt jede Wirtschaft ohne Verkehr nicht geht, hat er den Ausbau der Infrastruktur des Freistaats mächtig angeschoben, immer mit der Vorstellung von kommendem Wachstum: Bundestraßen, Autobahn, Rhein-Main-Donaukanal und natürlich der neue Flughafen München II.

Strukturpolitik ist Gesellschaftspolitik

Als „Verkehrsfetischist“ haben ihn genervte Kollegen in der Fraktion und im Kabinett geschimpft. Jaumann hat sich nicht beirren lassen und besonders für die Bahn und den Erhalt von Bahnlinien gekämpft. Und wieder weil er eben viel mehr sah als nur Bahngleise und Elektrifizierung. Für ihn ging es beim Bahnverkehr um Strukturpolitik, Erschließung und Anbindung des ländlichen Raumes. Jaumann sah beim Bahnbau den sozialen Auftrag, die gesellschaftspolitische Aufgabe.

Kein Wunder, dass er als Tourismusminister, der er auch war, bei aller Wirtschafts- und Strukturpolitik sofort auch das kommende Tourismusland sah: bäuerliche Betriebe, die vom Tourismus-Zuerwerb lebten und zugleich Bayerns schöne Kulturlandschaft erhielten – und Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, die ganze Regionen aus dem Armenhaus herausführen sollten. 12 Milliarden DM etwa sind in den Jaumann-Jahren als Zuschüsse und verbilligte Darlehen in wirtschaftsnahe Infrastruktur des bayerischen Grenzlandes und der ländlichen Regionen geflossen. Wo die heute wären, ohne Wirtschaftsminister Jaumann, will man lieber nicht fragen.

Erfinder der Mittelstandspolitik

Das stand nicht auf seiner Visitenkarte: Mittelstandsminister. Aber genau das war dieser Wirtschaftsminister auch, vielleicht sogar vor allem. 1974 hat er ein bayerisches Mittelstandsförderungsgesetz vorgelegt. Jaumann selber hat dabei nie von Förderung oder Subventionen gesprochen, sondern von „Nachteilsausgleich für die kleinere Betriebsstruktur“. Inzwischen haben die meisten Bundesländer − und die EU-Kommission in Brüssel − Jaumanns Mittelstandsförderung auf die eine oder andere Weise kopiert.

Nachteilsausgleich für die kleinere Betriebsstruktur

Anton Jaumann über Mittelstandsförderung

Elf Milliarden DM ließ Jaumann in die Unterstützung gewerblicher Investitionen fließen. Er wusste warum. Mittelstandspolitik war ein Feld, in dem alle Wirtschaftspolitik zusammenfand: Industrie, Hochtechnologie, Handwerk, Gewerbe, Dienstleistungen, Landwirtschaft, Tourismus, Gründerförderung, Innovationsförderung, Standortpolitik, Strukturpolitik für den ländlichen Raum − und, natürlich, ganz große Gesellschaftspolitik. Mit Jaumann wurde Bayern zum Gründerland. Heute tragen etwa 600.000 mittelständische Unternehmen Bayerns Wirtschaft.

Politik für die Heimat

Sein legendäres „Dorfwirtshausprogramm“ zur Rettung und Förderung bedrohter Dorf-Gasthäuser war ebenfalls ein Stück solcher Mittelstandsförderung. Und wer weiß, vielleicht sagt es besonders viel aus über Jaumanns Verständnis von Wirtschaftspolitik, die für ihn eben immer auch Politik für die Heimat war. Heimatpolitik sozusagen.

Jetscht nimmt sich jeder oa Flasche, die er mog, und dann setz mer uns zsamm.

Anton Jaumann in seinem Belzheimer Weinkeller

Denn von seiner Rieser Heimat und ihren Menschen hat er nie gelassen − oder sie nie von ihm. Im heimatlichen Belzheim hat er ein verwaistes Pfarrhaus aus dem 17. Jahrhundert gepachtet und aus eigenen Mitteln restaurieren lassen. Er hat keine Gelegenheit versäumt, Gäste dorthin zu führen, etwa seinen Belzheimer Kreis aus Münchner und bayerischen Wirtschaftsjournalisten. Der uralte großartige Weinkeller mit den deckenhohen Weinregalen spielte dann eine besondere Rolle. „Jetscht nimmt sich jeder oa Flasche, die er mog, und dann setz mer uns zsamm“, hieß es dann – bis um vier Uhr in der Frühe.

Als „barock“ hat Edmund Stoiber Bayerns großen Wirtschaftsminister Jaumann einmal beschrieben. Barocke Lebensfreude meint immer das ganze Leben, mit allem, was dazu gehört. In solchem Sinne ganzheitlich war auch Jaumanns Wirtschaftspolitik – und eben darum so erfolgreich. Am 23. Januar 1994 ist er mit nur 66 Jahren viel zu früh seinem Diabetis-Leiden erlegen. Am vergangenen 5. Dezember wäre Anton Jaumann 90 Jahre alt geworden.