Der Mensch steht bei der Sozialen Marktwirtschaft im Mittelpunkt. (Foto: Imago/photothek)
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Der Mensch im Mittelpunkt

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Die Wirtschaft ist ein zentraler Anker dieser Gesellschaft. Starke Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit. Ein Plädoyer für die Soziale Markwirtshaft von Nicola Leibinger-Kammüller.

Wir beobachten in Deutschland momentan eine Diskrepanz zwischen den objektiven Rahmendaten und einer subjektiven Unsicherheit, was die Zukunft für den Einzelnen mit sich bringt. Den Deutschen geht es real betrachtet so gut wie lange nicht, was Löhne und Renten anbelangt. Aber vieles ändert sich mit hoher Geschwindigkeit, wird in Frage gestellt. Sei es bei der Arbeit, oder auch in privaten Dingen, wenn wir an neue Lebensformen und soziale Mobilität denken.

Orientierung an der Mitte

Man sucht daher nach Ankerpunkten, zweifelt Fakten an. Selten zuvor war das Misstrauen gegenüber Medien, Politik, Wissenschaft und auch Wirtschaft zumindest in einigen Teilen der Bevölkerung größer als heute. Und mir scheint, dass die Soziale Marktwirtschaft in dieses Gefühl einbezogen wird. „Markt“ und „Freiheit“ klingen für manchen heute offenbar nicht mehr nach etwas Erstrebenswertem, sondern nach etwas, das Angst macht.

Die Soziale Marktwirtschaft sollte uns ein Kompass sein, um ‚Wohlstand für alle‘ zu realisieren.

Nicola Leibinger-Kammüller

Dabei scheint mir gerade die Soziale Marktwirtschaft eine unerhört lebensnahe Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft zu sein. Zumal für uns Deutsche. Denn das soziale Gefüge unserer Gesellschaft und der Wunsch, keine Gruppe ernsthaft zurückzulassen, sind uns besonders wichtig. Wir orientieren uns soziologisch betrachtet an der Mitte. Darin unterscheiden wir uns durchaus von anderen Ländern – in Amerika oder Asien, aber auch in Europa. Die Soziale Marktwirtschaft sollte uns daher auch weiterhin ein Kompass sein, um „Wohlstand für alle“ zu realisieren – und um die Prämissen des Marktes mit den Werten einer aufgeklärten, aber auch solidarischen Gesellschaft zu verbinden. Einen Weg, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hierin – im Betonen des Faktors Mensch – können und sollen wir gemessen an anderen ruhig ein wenig „aus der Reihe tanzen“, finde ich!

Die Frage der Gerechtigkeit

Ich sage dies auch vor dem Hintergrund, weil die Frage, ob es in Deutschland noch sozial „gerecht“ zugeht, mittlerweile zu dem zentralen Politikthema geworden ist. Zumal in diesen Zeiten mit all ihren groben Vereinfachungen. Und eben nicht die Überlegung, wie wir Innovationen, Selbstentfaltung und die Lust auf das technisch Neue als Eckpfeiler unseres Landes stärken können. Zumindest hat es den Anschein, dass wir zu oft „Wo bist du, Vergangenheit“? rufen – und zu selten: „Willkommen Zukunft“!

Wie schaffen wir es als Gesellschaft, uns den Biss und die Neugier zu erhalten und eben nicht in Stagnation zu verfallen?

Nicola Leibinger-Kammüller

Mir scheint, wir sehen den erreichten Wohlstand als etwas Selbstverständliches an, das eben da ist und schon nicht wieder verschwinden wird. Das nicht mit Entschlossenheit verteidigt werden muss. Und es herrscht offensichtlich der Glaube vor, dass es so schlimm schon alles nicht sein könne, sondern das Klappern bekanntlich zum Handwerk gehört. Die Frage, die sich daher umso dringlicher stellt, lautet: Wie schaffen wir es als Gesellschaft, uns den Biss und die Neugier zu erhalten und eben nicht in Stagnation zu verfallen? Was ist unser intrinsischer Antrieb?

Ansprüche an den Sozialstaat

Ich bin skeptisch, dass wir dies auf dem Wege der Vernunft allein bewerkstelligen können. Mit Fakten. Und offenbar ist es uns als Wirtschaft noch nicht gelungen, die Öffentlichkeit stärker dafür zu sensibilisieren, was globaler Wettbewerb oder die digitale Transformation in der Praxis eigentlich bedeuten. Auch sagen wir offenbar zu selten, dass Unternehmen nicht nur sich selbst und schnellen Profiten verpflichtet sind, sondern dass sie ein Kernbestandteil eines funktionierenden Gemeinwesens sind. Vielleicht sogar dessen Garant.

Deshalb denke ich, dass die Soziale Marktwirtschaft momentan von zwei Seiten bedroht ist: Da sind einerseits die zunehmenden Ansprüche an den Sozialstaat, die uns allen wohlbekannt sind. Da ist andererseits aber auch das öffentliche Agieren der Wirtschaft selbst. So gibt es Fälle von Managern, die nach nur kurzer Unternehmenszugehörigkeit hohe Abfindungen erhalten. Es sind Einzelfälle, gewiss. Aber gerade Einzelfälle haben in einer Informationsgesellschaft das Potenzial, das Ansehen der Wirtschaft insgesamt zu diskreditieren.

Gehaltsexzesse als Ausnahme

Wir müssen darum immer wieder klar machen, dass es solche Gehaltsexzesse weder in der Mehrzahl der großen, noch der Tausenden kleinen und mittelständischen Firmen in Deutschland an der Tagesordnung sind. Sonst können wir nicht glaubhaft für den Kerngedanken der Sozialen Marktwirtschaft argumentieren. Die richtige Balance zu finden: Dies gilt zu jeder Zeit und in beide Richtungen – für die Politik, die Gewerkschaften und Sozialverbände nicht anders als für die Entscheidungsträger der Wirtschaft. Das sage ich nicht obwohl, sondern gerade weil ich für die Unantastbarkeit des Eigentums eintrete, gegen die staatliche Regulierung von Gehältern – und auch sonst für eine gebotene Zurückhaltung des Staates plädiere, was die Souveränität von Unternehmens-Entscheidungen angeht.

Die Wirtschaft ist ein zentraler Stabilitätsanker dieser Gesellschaft.

Nicola Leibinger-Kammüller

Wir, die deutsche Wirtschaft, müssen dieses Maß um unserer selbst willen immer im Auge behalten. Auch um der Sozialen Marktwirtschaft willen. Und nicht, weil ein Gesetz uns dazu zwingt. In diesem Sinne könnte momentan genau der richtige Zeitpunkt sein, um die Bedeutung einer verantwortlichen Wirtschaft für das gesellschaftliche Miteinander wieder stärker aufzuzeigen. Denn wohin es führt, wenn man „Establishment“ und „Gesellschaft“ gegeneinander ausspielt, haben wir zuletzt in den USA gesehen.

Die Wirtschaft ist ein zentraler Stabilitätsanker dieser Gesellschaft. Denn starke Unternehmen leisten über ihren monetären Beitrag hinaus einen wichtigen psychologischen Anteil zu dem, wonach sich die Menschen in einer volatilen Welt offenkundig am meisten sehnen: Stabilität und Sicherheit.

Dr. Nicola Leibinger-Kammüller ist Vorsitzende der Geschäftsleitung der TRUMPF GmbH + Co. KG, Ditzingen. Dies ist die gekürzte Fassung einer Rede, die sie anlässlich der Verleihung des Hanns Martin Schleyer-Preises 2016-2017 gehalten hat.