Sparen muss sich wieder lohnen, findet Sparkassenverbandschef Georg Fahrenschon. (Bild: Imago)
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Sparen muss sich wieder lohnen

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon, beschreibt die Folgen der Niedrigzinspolitik und macht Vorschläge, wie die private Vermögensbildung gestärkt werden könnte.

Wenn Kinder zum ersten Mal alleine Brötchen holen gehen dürfen, dann schmilzt ihnen das mitgegebene Geld vor Aufregung fast in der Hand. Die Summen dabei sind gering. Der Stolz auf die übertragene Verantwortung ist umso größer.

Nun geht es in einer Volkswirtschaft um viel mehr als um’s Brötchenkaufen. Trotzdem braucht es für eine stabile Wirtschaft genau die zwei Elemente, die schon in diesem kleinen Beispiel stecken: Erstens das Zutrauen in die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, also das Gefühl „mein Geld ist etwas wert“. Und zweitens das Vertrauen in das Wirtschafts- und Finanzsystem als Ganzes, also dass man für die Scheine und Münzen auch wirklich etwas bekommt.

Jede Volkswirtschaft braucht dieses Vertrauen der Menschen, um dauerhaft stabil zu bleiben. Deshalb müssen wir mit diesem Vertrauen sehr achtsam umgehen. Und wo es an Achtsamkeit fehlt, müssen wir dieses Vertrauen wieder herstellen.

Die Kritik an der EZB erreicht die Menschen

Nicht zu Unrecht sprach der erste Wirtschaftsminister der jungen Bundesrepublik, Ludwig Erhard, immer davon, dass Psychologie ein zentrales Erfolgskriterium der Wirtschaftspolitik sei.

In den letzten Wochen ist diese negative Psychologie und Verunsicherung in verschiedenen Zusammenhängen deutlich geworden. Ein eklatantes Beispiel ist die zunehmend breite und zunehmend scharfe Kritik an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Diese Kritik hat die volkswirtschaftlich-abstrakte Ebene verlassen und ist jetzt bei den Menschen angekommen. Sie fürchten angesichts ausbleibender Zinsen und Zinseszinsen um ihre private Altersvorsorge.

Die Debatte um die Begrenzung oder gar Abschaffung von Bargeld hat auch deshalb so heftige Reaktionen ausgelöst, weil die Menschen nicht mehr bereit sind, weitere Eingriffe in ihre persönliche Freiheit einfach so wegzustecken.

Und die Debatte um die Begrenzung oder gar Abschaffung von Bargeld hat auch deshalb so heftige Reaktionen ausgelöst, weil die Menschen nicht mehr bereit sind, weitere Eingriffe in ihre persönliche Freiheit einfach so wegzustecken und sich ohne Not zusätzlicher Verunsicherung auszusetzen.

In Finanzdingen wird also das bisher Bewährte gerade gründlich untergepflügt. Der Grund dafür liegt darin, dass sich Europa immer noch nicht wirklich von der Finanzkrise erholt hat, die in den Jahren 2008 und 2009 ihren Höhepunkt hatte. Zu viele Gesellschaften kämpfen mit einer drückend hohen Jugendarbeitslosigkeit, in zu vielen Ländern lahmen die Innovationsanstrengungen der Unternehmen. Wo aber Strukturreformen verschleppt werden, fehlt es an nachhaltigen Wachstumsimpulsen.

Der andauernde Krisenmodus

Die Europäische Zentralbank hat versucht, hier in die Bresche zu springen und der Politik Zeit zu kaufen. Daraus ist ein Dauerzustand geworden, der aber nicht tragfähig ist. Denn dass die Geldpolitik der EZB aus dem Krisenmodus gar nicht mehr herausfindet, birgt neue Gefahren. Obwohl die EZB immer umfangreichere Mittel einsetzt, ist die positive Wirkung ihrer Politik schwach. Die Verzerrungen und Nebenwirkungen, die diese Politik auslöst, treten indes immer deutlicher hervor.

In Deutschland sind wir jetzt bereits mit den Spuren beschäftigt, die all diese Maßnahmen und Rahmenbedingungen im Portemonnaie der Sparer und in unserer bislang so stabilen Vorsorgekultur hinterlassen haben. Es zeigt sich, dass diese Spuren tiefer sind, als Viele anfangs dachten. Denn sie gehen quer durch die verschiedensten Wirtschaftsbereiche.

Den Unternehmen zum Beispiel fällt es zunehmend schwer, auf Basis der geltenden Berechnungsmethoden die betriebliche Altersvorsorge auszufinanzieren. Mancher Unternehmer muss sich deshalb bei Investitionen zusätzlich zurückhalten.

Die Sozialkassen hingegen verzeichnen zwar ein Hoch bei der Zahl der Beitragszahler, können die eingenommenen Beiträge aber nur mit Minierträgen oder gar kleineren Verlusten anlegen. Die über 2.000 Stiftungen in Deutschland haben Mühe, aus ihrem Stiftungskapital noch ausreichende Erträge zu erwirtschaften und daraus so wichtige Aufgaben wie Lehrstühle an Hochschulen oder soziale Aufgaben zu finanzieren. Und auch Kreditinstitute, die vor allem von der Umwandlung von Einlagen in Kredite leben, spüren das extrem niedrige Zinsniveau in ihren Büchern.

Auf dem Planeten Nullzins

Alle genannten Institute sind aber professionelle Wirtschaftsakteure. Ihnen bieten sich verschiedene unternehmerische Möglichkeiten, gegenzusteuern. Die Sparkassen zum Beispiel intensivieren ihr Beratungsgeschäft, gehen durch den Einsatz digitaler Angebote stärker auf ihre Kunden zu als bisher und investieren massiv in eine Straffung der Verarbeitungsprozesse im Hintergrund. Sie haben sich für einen Mix aus Sparen und Investieren entschieden und entwickeln zum Beispiel neue innovative Zahlverfahren. Auf dieser Grundlage ist es den Sparkassen 2015 gelungen, fast 20 Prozent im Kundengeschäft zu wachsen. Wir sehen das auch als klaren Vertrauensbeweis unserer Kunden.

Das Vertrauen vieler Menschen in ihre eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat hingegen in den vergangenen Jahren ebenso gelitten. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen, sicher auch die Frage einer sich abschwächenden Chancengerechtigkeit. Aber schon im Herbst 2014 gaben 40 Prozent der Sparkassenkunden in Deutschland an, dass die aktuellen Niedrigzinsen ihr größtes finanzwirtschaftliches Problem seien. Tatsächlich erwirtschaften sichere Anlagen nur noch mikroskopisch kleine Erträge, was Sparer in ganz Europa schmerzt.

Gerade junge Menschen, die auf dem Planeten Nullzins ihre ersten Schritte ins Wirtschaftsleben machen, ziehen für sich deutliche Konsequenzen – sie hören auf zu sparen.

Gerade junge Menschen, die auf dem Planeten Nullzins ihre ersten Schritte ins Wirtschaftsleben machen, ziehen für sich deutliche Konsequenzen – sie hören auf zu sparen. Die Hälfte der heute unter 30-Jährigen hat keine Rücklagen für den Alltag oder gar für das Alter.

Die Konsequenz müsste aber genau die andere sein: mehr sparen, und zwar so viel mehr, dass es den ausgefallenen Zins und auch den ausgefallenen Zinseszinseffekt ausgleicht. Dafür reichen die aktuell gut neun Prozent Sparquote nicht aus. Deshalb sollten Finanzwirtschaft und Politik gemeinsam das Vertrauen und auch den finanziellen Spielraum der Menschen stärken. Aus Sicht der Sparkassen gibt es zwei Dinge, die wir dazu tun können.

Die Lösungsvorschläge

Der entscheidende Punkt ist dabei eine Stärkung der privaten Vermögensbildung und speziell der privaten Altersvorsorge. Wir können dazu neue Instrumente entwickeln, vor allem aber bestehende und bewährte neu justieren und teilweise reaktivieren. Die letzte Reform der vermögenswirksamen Leistungen liegt über 15 Jahre zurück. Das allein ist Anlass genug, noch einmal an die Stellschrauben im Vermögensbildungsgesetz heranzugehen. Die Anlagehöchstbeträge müssen deutlich angehoben werden. Sie sollten auch dynamisiert, also an die Einkommensentwicklung gekoppelt werden, damit wir die Übung nicht alle paar Jahre wiederholen müssen. Wir sollten auch mehr Einkommensklassen als bisher in die Förderung einbeziehen. Dies käme aus dem Stand Millionen von Arbeitnehmern zugute.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist der Ausbau der Wertpapierkultur in Deutschland. Aktien und Fonds sind eine Möglichkeit, volkswirtschaftlichen Wertzuwachs auch privaten Haushalten zu erschließen, und sie verbessern den Anlagemix bei der privaten Vermögensbildung. Die Sparkassen stellen sich der Aufgabe, die Menschen hier auch ein Stück weit zu schulen, damit sie mit gutem Gefühl eigenständige Anlageentscheidungen treffen können. Die Politik kann das unterstützen, indem sie an dem guten Nebeneinander von Beratung mit und ohne Honorar festhält. Denn Beratung auf Honorarbasis lohnt sich nur für den allerkleinsten Teil der Menschen – die anderen zahlen drauf, gerade wenn sie am Anfang nur kleine Anlagevolumina bewegen. Das wäre aus Sicht der Sparkassen nicht im Sinne der Verbraucher, und auch nicht im Sinne einer stärkeren Wertpapierkultur in Deutschland.

Klar ist aber: Auch in der Niedrigzinsphase bleibt Sparen der Grundstock für jeden Vermögensaufbau. Ohne eine selbst erwirtschaftete finanzielle Grundausstattung gibt es keine Brötchen – weder kleine, noch große. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen von den Zentralbanken nicht verunsichert werden. Stattdessen sollten ihnen passende Instrumente aufgezeigt werden, damit sie wieder mehr Zutrauen in den eigenen Vermögensaufbau fassen.