Mittendrin: Bei Scheidungen sitzen die Kinder meistens zwischen den Eltern. Ihr Wohl kommt zu kurz.(Bild: Imago/Blickwinkel)
CSU-Familienkommission

„Oberstes Prinzip ist das Wohl des Kindes“

Interview Die CSU-Familienkommission beschäftigt sich derzeit mit dem Thema „Wechselmodell“ bei Scheidungskindern. Darüber sowie über allgemeine familienpolitisch relevante Entscheidungen aus CSU-Sicht sprach der Bayernkurier mit der Vorsitzenden der Familienkommission, der Landtagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Kerstin Schreyer-Stäblein.

Bayernkurier: Sie sind nicht nur seit 2008 passionierte Familienpolitikerin im Bayerischen Landtag und seit 2011 Vorsitzende der Familienkommission der CSU, sondern auch ausgebildete Diplom-Sozialpädagogin und Familientherapeutin. Was sind aus Ihrer Sicht wichtige familienpolitische Fragestellungen, mit denen sich die CSU beschäftigen sollte?

Schreyer-Stäblein: In erster Linie ist es wichtig, dass das Bayerische Betreuungsgeld endlich umgesetzt wird. Durch die Anhörung verschiedener Fachverbände im Sozialausschuss, die von der SPD gefordert wurde, hat sich das Gesetzgebungsverfahren leider weiter verzögert. Darüber hinaus dürfen wir aber auch weitere familienpolitische Problemstellungen nicht vernachlässigen. Gemeinsam mit der Familienkommission der CSU beschäftige ich mich gerade mit der Fragestellung, ob das deutsche Sorge- und Umgangsrecht noch zeitgemäß ist oder ob an der einen oder anderen Stelle Anpassungsbedarf besteht. Betrachtet man die Statistik, so stellt man fest, dass aktuell circa 35 Prozent aller in einem Jahr geschlossenen Ehen im Laufe der folgenden 25 Jahre gelöst werden; in vielen Fällen sind auch Kinder betroffen. Zum Wohle dieser Kinder ist es wichtig, dass im Falle einer Scheidung individuelle Lösungen gefunden werden. Viele Familien schaffen das ganz hervorragend, andere wiederum brauchen die Entscheidung des Familiengerichts.

Bayernkurier: In Deutschland ist es üblich, dass nach einer Scheidung das Kind bei einem Elternteil lebt, während das andere Elternteil – meist der Vater – ein Umgangsrecht hat. Gibt es hierzu bessere Alternativen?

Schreyer-Stäblein: Eine generelle Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Es kommt dabei immer auf die familiären Umstände jedes Einzelfalls an. Eine viel diskutierte Möglichkeit, die es bereits in anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Belgien und Schweden gibt, ist das rechtlich verankerte „Wechselmodell“, wie das Prinzip der Doppelresidenz für Kinder auch genannt wird. Die Kinder leben dabei abwechselnd, zum Beispiel im Wochenrhythmus, im Haushalt des Vaters und der Mutter.

Die Erziehung, die Verantwortung, aber auch die Ausübung von Rechten werden somit von beiden Elternteilen in ähnlichem Umfang übernommen. Die Kinder haben dadurch zwei feste Wohnsitze und verbringen ihren Alltag zeitweise sowohl mit dem Vater als auch mit der Mutter; eine vollkommen zeitgleiche Aufteilung zwischen Vater und Mutter ist jedoch meist nicht praktikabel. In Deutschland ist dieses Modell bereits auf freiwilliger Basis möglich und kann in diesen Fällen eine sehr gute Lösung sein. Problematisch wird es allerdings, wenn sich die Eltern nicht einig sind beziehungsweise nach der Trennung um das Kind streiten.

Bayernkurier: Ist  nicht in jedem Fall schwierig, so ein Modell in der Realität umzusetzen? Beide Parteien müssten ja beispielsweise in der Nähe der Schule des Kindes eine Wohnung finden. Und könnte ein Kind durch das Wechselmodell nicht hin- und hergerissen sein?

Schreyer-Stäblein: Selbstverständlich gibt es dabei jede Menge zu bedenken. Ich sage auch nicht, dass das Wechselmodell pauschal angewendet werden soll. Nach wie vor ist es richtig und wichtig, dass die individuelle Lebenssituation betrachtet wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, wie die Betreuung des Kindes vor der Trennung zwischen den Eltern aufgeteilt wurde. Zudem gibt es viele weitere Faktoren, die bedacht werden müssen, wie zum Beispiel ob überhaupt die räumliche Wohnsituation der Eltern ein Wechselmodell zulässt, wie die Persönlichkeit des Kindes ist und ob die gemeinsamen Absprachen zwischen den Eltern in dem Umfang getroffen werden können, dass dem Kind eine konstante Lebenssituation bei beiden Elternteilen möglich ist.

Bayernkurier: Anfang Oktober 2015 hat der Europarat eine Resolution verabschiedet, in der alle Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, das Wechselmodell als bevorzugtes Modell im Gesetz zu verankern. Wie sehen Sie diese Entscheidung?

Schreyer-Stäblein: Ich denke, wir sollten diese Resolution zum Anlass nehmen, das deutsche Familienrecht zu überprüfen. In unzähligen Gesprächen mit betroffenen Vätern und Müttern wurde deutlich, dass künftig das Wohl des Kindes noch mehr in den Fokus gerückt werden muss, nicht die Interessen der Eltern. So kann es nicht sein, dass sich ein Elternteil gegen eine zeitlich gleichberechtigte Betreuung des Kindes wehrt, nur um so die Unterhaltsansprüche für das Kind gegenüber dem Ex-Partner nicht zu verlieren. Deshalb muss geprüft werden, wie im Falle geteilter Elternverantwortung nach einer Scheidung, also zum Beispiel im Wechselmodell, die Unterhaltsverpflichtungen geregelt werden sollen.

Bayernkurier: Die Familienkommission der CSU, deren Vorsitzende Sie sind, beschäftigt sich gerade mit dieser Problematik.

Schreyer-Stäblein: Genau. Da das ganze Thema sehr emotional ist, gibt es meist zwei Parteien: Die einen lehnen das Wechselmodell pauschal ab, die anderen befürworten es uneingeschränkt. Ich denke, dass beides nicht der richtige Weg ist. Die Familienkommission nimmt sich deshalb dieser ganzen Thematik an. Gemeinsam mit verschiedenen Fachexperten sowohl aus dem juristischen als auch dem sozialpädagogischen und psychologischen Bereich versuchen wir, das Wechselmodell auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend zu bewerten und zu prüfen, was davon in das deutsche Rechtssystem übertragen werden sollte. Ein besonderes Anliegen ist mir dabei die Fragestellung, was für Flexibilität das Gericht braucht, um für jedes Kind eine passgenaue Antwort zu finden, oder ob es zu allen bisherigen Lösungen noch weitere Alternativen braucht.

Bayernkurier: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie das Wechselmodell nicht pauschal befürworten?

Schreyer-Stäblein: Ich finde es grundsätzlich absolut wichtig, dass auch nach einer Scheidung die Kinder beide Elternteile als enge Bezugspersonen haben. Ob jedoch das Wechselmodell der Weisheit letzter Schluss ist oder eine andere Form der geteilten Elternverantwortung anzustreben ist, muss die Arbeit in der Familienkommission erst noch zeigen. Erst wenn wir zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen sind, werden wir eine Position erarbeiten. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die CSU hierzu klar Stellung bezieht und sich für entsprechende Verbesserungen einsetzt. Dabei ist und bleibt oberstes Prinzip, das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen.