Das Hauptpodium im Schlossgarten beim diesjährigen, 35. Erlanger Poetenfestival. (Foto: Erich Malter / Erlanger Poetenfest)
35. Erlanger Poetenfest

Literatur lockt und „rockt“

Mit einem Porträt des österreichischen Romanciers Robert Menasse ging am Sonntag das 35. Erlanger Poetenfest gleichermaßen unterhaltsam wie politisch zu Ende. Die Abschlussveranstaltung stand damit stellvertretend für das Programm der diesjährigen Poetenfest-Ausgabe, die in einer engen Verbindung von Literatur und Politik weit über 12.000 Besucher nach Erlangen lockte.

Schon am Vormittag hatte Robert Menasse in der traditionellen Sonntagsmatinee des Erlanger Poetenfests eine Überwindung der Nationalstaaten zu Gunsten einer Stärkung der europäischen Institutionen gefordert. Die vorangegangenen beiden Porträts des diesjährigen Poetenfests waren der Frauenrechtlerin und Publizistin Alice Schwarzer und der Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff gewidmet.

Besondere Anziehungskraft ging – trotz Temperaturen von 34 Grad im Schatten – auch in diesem Jahr von den langen Lesenachmittagen im Erlanger Schlossgarten aus. Ein leidenschaftlicher Beitrag des Regisseurs und Autors Oskar Roehler, ein berührender Auftritt der 3sat-Preisträgerin des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, Dana Grigorcea, und ein rekordverdächtiger Ansturm auf die Lesung der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer gehörten zu den Höhepunkten der Nachmittage. In der Revue der Neuerscheinungen lasen im halbstündigen Rhythmus außerdem Autoren wie Henning Ahrens, Nora Bossong, Matthias Nawrat, Christiane Neudecker, Ulrich Peltzer, Robert Schindel, Raoul Schrott oder Anne Weber. Ihre Kinder- und Jugendbücher präsentierten Franziska Biermann, Nele Brönner, Christian Duda, Julia Freidank, Hannes Klug, Dorit Linke, Uticha Marmon und Florian Wacker.

Literaturszene befasst sich mit Politik

Gesprächsrunden und Podiumsdiskussionen zu gesellschaftlichen und politischen Themen sind seit Langem fester Bestandteil des Poetenfest-Programms. Vor allem die diesjährige traditionelle Sonntagsmatinee unter dem Titel „Was hält Europa noch zusammen?“, das aktuelle Podium über den Anschlag auf „Charlie Hebdo und die Folgen“ für das Selbstverständnis des Westens sowie die Debatte „Den Koran lesen. Über Gewalt und Islam“ als auch die Gesprächsrunde „70 Jahre Kriegsende – Schatten auf der Seele“ drückten der Veranstaltung 2015 ihren ganz eigenen Stempel auf. Wie ein roter Faden zogen sich aus aktuellem wie historischem Anlass daher auch das Thema Flucht und Vertreibung durch das Programm; vor zahlreichen Veranstaltungen wurden deshalb literarische Zeugnisse dazu vorgelesen.

„Berührend, produktiv und anregend“

Begonnen hatte das viertägige Festival am 27. August mit der „Bayern 2-Nacht der Poesie“, die – wie auch das Büchermagazin „Diwan“ von Bayern 2 – live vom Erlanger Poetenfest übertragen wurde. Außergewöhnlich viele Besucher verzeichnete die achtstündige 12. Erlanger Übersetzerwerkstatt, die am Abend des 28. August von der Verleihung des „Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung“ an die Lyrikerin und Übersetzerin Uljana Wolf gekrönt wurde. Im Gespräch mit der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Susan Bernofsky sowie der Laudatorin und Trägerin des Preises von 2013, Yoko Tawada, sprach sie dabei über Mehrsprachigkeit, „Falsche Freunde“, das künstlerische Potenzial des Fehlerhaften und das Ausloten von Sprachübergängen.

Musik, eine Filmreihe und Ausstellungen rundeten das Programm des 35. Erlanger Poetenfests ab, von dem Menasse am späten Sonntagabend sagte, dass er kaum ein anderes Festival kenne, das so „berührend, produktiv und anregend“ sei wie das Erlanger Poetenfest. Das nächste, 36. Erlanger Poetenfest wird von 25. bis 28. August 2016 stattfinden.