Theo Waigel kritisiert FAZ-Artikel
In einem Brief an die Frankfurter Allgemeine geht Ex-Finanzminister Dr. Theo Waigel hart mit einem FAZ-Artikel zum 25. Jubiläum der Währungsunion und deren Vorreiterrolle für die Wiedervereinigung und die europäische Einigung ins Gericht. Dem Autor wirft er "gravierende Denkfehler und falsche Annahmen" vor.
25 Jahre Währungsunion

Theo Waigel kritisiert FAZ-Artikel

In einem Brief an die Frankfurter Allgemeine geht Ex-Finanzminister Dr. Theo Waigel hart mit einem FAZ-Artikel zum 25. Jubiläum der Währungsunion und deren Vorreiterrolle für die Wiedervereinigung und die europäische Einigung ins Gericht. Dem Autor wirft er "gravierende Denkfehler und falsche Annahmen" vor.

Leserbrief von Dr. Theo Waigel an die FAZ.

Betreff: Leitartikel von Herrn Holger Steltzner vom 1. Juli 2015

„Herrn Holger Steltzner unterlaufen in seinem Leitartikel „Zwei Währungsunionen – derselbe Fehler“ gravierende Denkfehler und falsche Annahmen. Es ist in sich nicht logisch, „die historische Chance auf eine freiheitliche und friedliche Einigung Deutschlands beim Schopf zu packen“ zu begrüßen und gleichzeitig die dazu zwingend notwendige deutsch-deutsche Währungsunion als Vorläufer der deutschen Einigung zu kritisieren. Ein halbes Jahr, nur wenige Monate nach der Einführung der D-Mark in der DDR, kam es am 3. Oktober zur Einheit Deutschlands. Wenn man den wirtschaftstheoretischen Ansätzen von Herrn Steltzner folgen wollte, hätte es dann innerhalb eines wiedervereinigten Deutschlands zu zwei Währungsgebieten kommen müssen. Die Unterschiede bei Löhnen, Gehältern und Renten wären so stark gewesen, dass eine Massenbewegung von Ost nach West stattgefunden hätte.

In der Theorie von Herrn Steltzner und weniger anderer Wirtschaftstheoretiker hätte es zu Zuzugsbeschränkungen, Ausschluss von Sozialleistungen und Abwehrmaßnahmen der Wanderungsbewegung von Ost nach West kommen müssen. Es wäre daher nach Holger Steltzner folgerichtig gewesen, eine neue Mauer zu erbauen, um einen Stufenprozess von einigen Jahren herbeizuführen, in denen dann die Konvertibilität zweier verschiedener Währungen hätte stattfinden müssen. Das hätte die größte Blamage Deutschlands seit 1945 bedeutet. Wäre es aber bei offenen Grenzen geblieben, die die Freiheitsbewegung in Ostdeutschlande erstritten hatte, wäre den Arbeitnehmern in der DDR etwa ein Drittel von dem geblieben, was man im Westen verdient und die DDR-Rentner wären weit unter das Existenzminimum abgesunken. Wie eine demokratisch legitimierte Regierung in der DDR die Kraft besessen hätte, einen solchen Zustand auch nur wenige Monate durchzuhalten, bleibt unerklärlich. Unter solchen Umständen hätte es keine Einigung zum Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunionsvertrag und auch keine Übereinstimmung beim Einigungsvertrag gegeben.

„Eigenartiges Verständnis von Tarifhoheit“

Die nach Herrn Steltzner konsequente Lösung wäre demnach gewesen, die DDR auf sich selbst zu verweisen und sie beim Transformationsprozess zu unterstützen. Doch schon Ende 1991 war Gorbatschow nicht mehr an der Macht und ob wir unter seinen Nachfolgern noch die Wiedervereinigung zu diesen Bedingungen erreicht hätten, wage ich in Frage zu stellen. Herr Steltzner verfügt auch über ein eigenartiges Verständnis der Tarifhoheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Er stellt zu Recht fest, für den Aufbau einer Marktwirtschaft sei es zentral, in das freie Spiel der Preise und Löhne nicht einzugreifen. Im Satz danach kritisiert er die Politik, sie habe es zugelassen, dass die ostdeutschen Löhne schnell auf westdeutsches Tarifniveau gehievt wurden. Allein dieser Widerspruch in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen zeigt die ganze Widersprüchlichkeit der Argumentation.

Im Übrigen sollte sich Herr Steltzner bei neuesten Untersuchungen über die Angleichung der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse kundig machen. Die KfW hat in einer großen Untersuchung von wenigen Monaten festgestellt, dass das BIP pro Person in den neuen Bundesländern 84 % betrage. Der Aufschwung in den 90er Jahren in den neuen Bundesländern sei vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren.

Es ist ein weiterer logischer Denkfehler im Artikel von Herrn Steltzner Fehler und Fehlentwicklungen der letzten Jahre auf den Maastricht-Vertrag und den Stabilitätspakt zurückzuführen. Das ist so verfehlt, wie wenn man die Einführung der bruttolohnbezogenen Rente in den 50er Jahren auf das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft des Jahres 1948 zurückführen wollte. Wer in solchen Kategorien denkt, der müsste heutige Verfassungsverstöße den Müttern und Vätern des Grundgesetzes 1949 anlasten. Herr Steltzner sollte sachgerecht konstatieren, dass Griechenland nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Wirtschafts- und Währungsunion besaß und dies in der Zeit von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel stattgefunden hat. Die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2004 geht wahrlich nicht auf mich oder Helmut Kohl zurück. Vielleicht erinnert sich auch Herr Steltzner noch an die Währungsturbulenzen Anfang der 70er Jahre und an die großen Währungskrisen 1992/93, 1995 und 1997/98. Auch die Bundesrepublik Deutschland hatte unter diesen Turbulenzen schwer zu leiden. Die FAZ hat lang gebraucht, bis sie endlich am Samstag, den 4. Juli die Erfolge Griechenlands in den Jahren 2013 bis 2014 herausstellte. Es wäre für die verantwortlichen Politiker in Griechenland durchaus hilfreich gewesen, wenn man diese schwierigen und erfolgreichen Bemühungen in Deutschland stärker registriert und gewürdigt hätte. Ich kann nur bedauern, dass der Wirtschaftsteil der FAZ, dessen Lektüre für alle am Wirtschafts- und Finanzleben Teilnehmenden und für mich seit 40 Jahren eine conditio sine qua non gewesen war, zunehmend durch eine ideologische Brille gestaltet wird.“

Dr. Theo Waigel, Bundesminister a.D.