Andreas Scheuer ist Bundesverkehrsminister und CSU-Bezirksvorsitzender in Niederbayern. (Foto: Marko Priske/BK)
Verkehr

„Wir brauchen weniger Verkehr bei mehr Mobilität“

Interview Aus dem BAYERNKURIER-MAGAZIN: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erklärt, wie er die Staus in den Städten reduzieren und den ländlichen Raum besser anbinden will. Und er sagt, welche Rolle Elektroroller dabei spielen können.

Herr Scheuer, Sie haben als Bundestagsabgeordneter einst den Parlamentskreis automobiles Kulturgut mitgegründet. Ist das Auto bald ein Fall für das Museum?

Ein klares „Nein“. Aber es wird künftig nicht mehr nur darum gehen, welches Fahrzeug in einem Werk vom Band läuft. Es wird mehr darum gehen, wie man es einsetzt. Und es wird nicht mehr nur um das eigene Auto gehen.

Spätestens seit Bekanntwerden der Manipulationen beim Diesel scheint das Auto aber der Hauptgegner von Klimaschützern und Mobilitätsplanern zu sein. Fast immer geht es in der Debatte darum, den Autoverkehr zurückzudrängen oder zu verbieten. Ist das tatsächlich die Lösung aller Probleme?

Klar ist: Wir brauchen weniger Verkehr bei mehr Mobilität. Was aber jetzt viele als ihren Ansatz entdeckt haben, nämlich „verbieten, verteuern, verteufeln“, ist nicht meine Politik. Es geht nicht nur um den Verkehr in den großen Städten. Die Menschen im ländlichen Raum sehen das Thema vielfach ganz anders als in der allgemeinen Berichterstattung. Ich denke da an eine Familie. Der Vater ist Facharbeiter, der zu seiner Arbeitsstelle zwanzig Kilometer mit dem Auto fahren muss. Die Frau, die neben ihrem Halbtagsjob die Familie managt, braucht auch ein Auto, um zur Arbeit zu kommen und die Kinder zum Musikunterricht oder zum Sport zu fahren. Wir würden einen sehr großen Fehler machen, wenn wir diese Bevölkerungsgruppe, die im ländlichen Raum lebt – und das ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland –, bei unseren Überlegungen vergessen würden. Was dann geschieht, sieht man auf der Umfragelandkarte Deutschlands. Wenn ich die Diskussionen in Ostdeutschland betrachte – in drei Ländern wird dort demnächst gewählt –, dann fühlen sich dort viele Menschen abgehängt. In Bayern haben wir gegen solche Entwicklungen immer erfolgreich angekämpft.

Wenn von unseren Diskussionen nur übrig bleibt, dass alles teurer wird und es mehr Verbote gibt, dann werden wir die Menschen nicht mitnehmen.

Andreas Scheuer

Was lässt sich gegen dieses Gefühl unternehmen? Während wir im Westen über autofreie Innenstädte diskutieren, plakatiert die AfD im Osten „Rettet den Diesel“. Fällt das Land auch bei der Mobilität auseinander?

Wir müssen den Bürgern die Angst vor den neuen Entwicklungen nehmen. Die Politik diskutiert gerne über Begriffe wie „maschinelles Lernen“, „künstliche Intelligenz“, „Digitalisierung“ – viele Menschen haben aber Angst, dabei nicht mitzukommen. Ich fasse alle diese Begriffe unter „Fortschritt“ zusammen. Dabei müssen wir eines beachten: Wenn von unseren Diskussionen nur übrig bleibt, dass alles teurer wird und es mehr Verbote gibt, dann werden wir die Menschen nicht mitnehmen. Wir werden sie dann mitnehmen, wenn sie neugierig auf neue Mobilität sind, wenn sie begeistert vom Fortschritt sind. Das war übrigens immer eine Stärke Bayerns. Bayern hat die Verbindung aus Tradition und Fortschritt in perfekter Weise geschafft.

Was tun Sie konkret gegen das Gefühl des Abgehängtseins?

Ich kämpfe dagegen, dass wir eine Spaltung erleben – Ost und West, Stadt und Land oder Jung und Alt. Dazu kann ich viel beitragen. Denn Mobilitätsfragen sind auch immer Fragen nach Chancen auf Teilhabe. Wir haben eine ganze Liste von Ansätzen, die wir intensiv verfolgen. Zum Beispiel erhöhen wir die Mittel zum Ausbau des regionalen Verkehrs, das GVFG-Bundesprogramm, deutlich: Von derzeit 333 Millionen Euro steigern wir die Mittel auf eine Milliarde Euro. Wir arbeiten am Deutschlandtakt, um Regional und Fernverkehr der Bahn besser zu vernetzen. Das ist nach der Bahnreform wohl das größte Projekt im Schienenverkehr.

Wenn der Mobilitätssektor die Klimaziele der Bundesregierung 2030 erreichen will, müssen gut 40 Prozent der Emissionen eingespart werden. Wie kann das gelingen?

Wir arbeiten in meinem Ministerium jeden Tag aktiv am Klimaschutz. Wir haben jüngst dem Klimakabinett mehr als 50 Maßnahmen vorgelegt, um dieses Ziel zu erreichen. Wir legen den Schwerpunkt dabei auf den Straßenverkehr. 60 Prozent der CO2-Emissionen betreffen den Pkw-Verkehr, 35 Prozent stammen von Lkw, die restlichen fünf Prozent verteilen sich auf Schiene, Wasserstraße und Luftverkehr.

In der Stadt wird die Mobilität zunehmend elektrisch, kleiner und flinker werden.

Andreas Scheuer

Um welche Maßnahmen geht es?

Da geht es etwa um die Förderung klimafreundlicher Wagenflotten. Allein die Veränderung bei der Dienstwagenbesteuerung hat zu einer höheren Nachfrage nach Elektrofahrzeugen geführt. Bei der Ladeinfrastruktur und bei den digitalen Verkehrsmanagementsystemen geben wir jeden Tag Förderbescheide heraus. Insgesamt über Hunderte Millionen Euro. Wir unterstützen die Kommunen, wenn sie neue Fahrzeuge mit alternativen Antrieben anschaffen. Wir stärken den öffentlichen Personenverkehr mit Milliardenbeträgen jährlich für die Schiene. Wir machen das größte Projekt für den Radverkehr in Deutschland. Wir sehen doch, dass der gute alte Drahtesel zunehmend durch moderne Elektrofahrräder ersetzt wird. Oder nehmen Sie meinen Vorschlag, bei dem es darum geht, die Schwelle zu senken, das größere Elektro-Zweirad verkehrssicher zu benutzen. Es geht nicht darum, Motorradführerscheine zu verschenken. Das will keiner. Wir wollen den Umstieg verkehrssicher erleichtern – auch auf leistungsstärkere Elektro-Zweiräder mit größerer Reichweite. Die sind nämlich eine Alternative für Menschen, die dreißig Kilometer aus dem Umland in eine Stadt fahren und bisher das Auto benutzen. Wir engagieren uns sogar bei der Forschung zu alternativen Kraftstoffen. Wir finanzieren in Leuna für den Flughafen Leipzig eine strombasierte Kerosinanlage. Das sind hochinnovative Fortschrittsthemen. Deutschland ist gut aufgestellt. Was wir aber jetzt brauchen, ist Geschwindigkeit.

Wenn die Menschen erfahren, dass sie mit einem anderen Verkehrsmittel schneller und günstiger ans Ziel kommen, dann lassen sie auch ihr Auto stehen.

Andreas Scheuer

In der Diskussion um die Mobilitätswende geht es auch darum, gerade die Großstädte vor dem Verkehrskollaps zu bewahren. Ein häufig genanntes Ziel lautet, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf zwanzig Prozent zu reduzieren. Was halten Sie von solchen Plänen?

In der Stadt wird die Mobilität zunehmend elektrisch, kleiner und flinker werden. Die Elektrokleinstfahrzeuge – die E-Tretroller –, die wir kürzlich zugelassen haben, sind ein Teil dieses Konzepts. Mit ihnen lässt sich die „letzte Meile“ von der Haltestelle nach Hause oder in die Arbeit bewältigen. Und wir wollen Mobilität und Digitalisierung verbinden. Dabei geht es beispielsweise um das Management der Pendlerströme. Wenn es gelänge, einen Menschen, der mit dem Auto aus einer Vorortgemeinde in die Stadt fährt, mit einem zweiten, der nur wenige hundert Meter entfernt wohnt und das gleiche Ziel hat, zu vernetzen, könnten wir 40 Prozent des Pendlerverkehrs vermeiden. Und es geht darum, den Verkehrsteilnehmer bereits zu informieren, bevor er seine Reise beginnt: Welches Verkehrsmittel ist aktuell für ihn das beste? Der Verzicht aufs Auto gelingt am ehesten über Anreize. Wenn die Menschen erfahren, dass sie mit einem anderen Verkehrsmittel schneller und günstiger ans Ziel kommen, dann lassen sie auch ihr Auto stehen.

Sie haben gerade die E-Scooter angesprochen. Wie sinnvoll ist es, in Großstädten, in denen der Verkehrsraum eh schon knapp ist, zusätzliche Verkehrsmittel zuzulassen?

Wir können uns doch nicht von Entwicklungen abkoppeln. Viele fahren nach Barcelona, Madrid oder Paris und erzählen hinterher, wie toll ihre Besichtigungstour auf dem E-Tretroller war. Und zu Hause sagen wir dann, hier brauchen wir das aber nicht. So können wir neue Mobilität nicht umsetzen. Entscheidend ist doch, wie man so ein neues Angebot regelt. Wir haben klar festgelegt, wo die Roller fahren dürfen und ab welchem Alter man sie benutzen darf. Bei uns haben die Roller ein Versicherungskennzeichen. Darüber hinaus es ist die Verantwortung der Städte, bestimmte Regeln festzusetzen. Zum Beispiel: Wo darf man die Fahrzeuge zurückgeben? Überall in der Stadt oder nur an festen Terminals? Unsere Aufgabe ist es, einen Rahmen für neue Mobilität zu entwickeln und ihn verkehrssicher zu gestalten. Wenn jetzt regelmäßig berichtet wird, welche Unfälle mit Elektrokleinstfahrzeugen passieren, dann stelle ich die Frage, wird genauso intensiv über Unfälle mit Fußgängern, Skateboardfahrern oder Radfahrern berichtet? Es wird immer Konflikte geben – gerade im städtischen Raum. Mich stört, dass sich der Fokus so stark auf die E-Roller richtet, nur weil sie etwas Neues sind.

Lassen Sie uns noch kurz in die Zukunft blicken. Wann werden die, die es sich leisten können, mit dem Flugtaxi dem Stau entschweben?

Genau, das was Sie gerade gesagt haben, darf nicht passieren. Es darf keine soziale Frage werden: Die oben, die es sich leisten können, fliegen und die unten stehen im Stau. Ich denke bei diesen Fluggeräten zunächst an die Versorgungsinfrastruktur. In Ingolstadt, wo ich im Frühjahr das Flugtaxi von Airbus vorstellen durfte, geht es zum Beispiel um den Einsatz bei Rettungsdiensten, bei der Polizei oder für den Transport von Organspenden. In Ingolstadt hat man auch gesehen, wie zukunftsbejahend die Menschen sind. Bei dem Termin am Montagmorgen war es klirrend kalt. Und trotzdem sind 1.500 begeisterte Zuschauer gekommen. Neben Ingolstadt fördern wir übrigens vier weitere Modellregionen, mit denen wir gemeinsam die Voraussetzungen für den Einsatz der Flugtaxis schaffen wollen. Und wir begleiten ein Projekt einer weiteren bayerischen Firma. Sie hat ebenfalls einen Prototypen – entwickelt von bayerischen Ingenieuren. Unsere Behörden kümmern sich bereits jetzt um verschiedene Fragen: zum Beispiel wo dürfen solche Fluggeräte starten und landen? Welche gesetzlichen Regelungen sind zum Betrieb notwendig? Wir tun das, um Zeit zu gewinnen. Ich denke, die ersten Flüge erleben wir in nicht mehr allzu ferner Zukunft.

Das Interview führte Thomas Röll.
Das ganze Gespräch mit dem Bundesverkehrsminister lesen Sie im aktuellen Bayernkurier-Magazin.