Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Millionen Deutsche aus ihrer Heimat, hier Marienbad in Tschechien, vertrieben. (Foto: picture alliance)
Vertriebene

Eine Neiddebatte mit Tradition

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Wer Vertriebene und Spätaussiedler mit Flüchtlingen gleichsetzt, schafft Konflikte innerhalb der Gesellschaft und spielt Populisten in die Hände, warnt Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen.

Spätaussiedler? Heimatvertriebene? Flüchtlinge? Für die SPD und das linke Lager scheint alles gleich, Einheitsbrei sozusagen! Migranten.

Turnusgemäß zum Bundestagswahlkampf greift sie auf ihre verstaubte und gleichmacherische Neiddebatte zurück. Deutsche Heimatvertriebene und Spätaussiedler waren schon in der Vergangenheit Zielscheibe unsachlichen Wahlkampfes. Vertriebenenthematik ist wieder erschreckend aktuell. Jedoch lässt sich weder der Zuzug von deutschen Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, noch jener von Aussiedlern und Spätaussiedlern in den Jahren danach mit der Flüchtlingssituation von heute vergleichen. Wer es dennoch tut und Unterschiede ausblendet, zieht dann die falschen Schlüsse und spielt Gruppen gegeneinander aus. So lag schon der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, dem „ein verfolgter Afrikaner lieber als ein bedrängter Russlanddeutscher aus Kasachstan“ war, in den 90er-Jahren mit seiner unverantwortlichen Äußerung daneben. Und jetzt schlägt der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Schulz in dieselbe Kerbe: Ungerecht gehe es zu in Deutschland, weil der eine mehr habe als der andere.

Für gelingende Integration sind Neiddebatten Gift. Wer etwa Deutsche aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, aus Kasachstan, aus Russland oder der Ukraine mit Asylbewerbern gleichsetzt, verkennt völlig die unterschiedlichen Integrationsvoraussetzungen, schafft Konflikte innerhalb der Gesellschaft und negiert selbst empfundene kulturelle Identität. Wer nicht differenziert – ob aus Ideologie oder Unkenntnis –, wird dem Selbstverständnis der Menschen nicht gerecht und spielt Populisten von Links und Rechts in die Hände.

Keine Vergleichbarkeit von damals mit heute

Die Flüchtlingsproblematik von heute lässt sich mit jener von vor 70 Jahren allenfalls auf der Ebene des persönlichen Traumaempfindens der Opfer vergleichen. Jeder Mensch, der vertrieben und mit Gewalt gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen, ist ein Opfer und erlebt einen dramatischen Bruch in der eigenen Biografie. Das galt bereits 1945, es gilt auch heute!

Deswegen hat der Bund der Vertriebenen – aus eigener Erfahrung heraus – zu Empathie mit heutigen Opfern von Flucht und Vertreibung aufgerufen. Sie haben die schmerzhafte Erfahrung gemeinsam, dass „Heimat“ als solche dann immer mehr an Bedeutung gewinnt, wenn man sie verloren hat. Denn Heimat ist viel mehr als nur ein geografischer Ort. Heimat – das sind Verstecke, Gerüche, Klänge, Lieder Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Millionen Deutsche aus ihrer Heimat, hier Marienbad in Tschechien, vertrieben. und Freunde, aber auch die Gräber von Vater und Mutter. Heimat umfasst somit auch die Orte des Gedenkens und der Trauer. Heimat ist die innere Landschaft in uns selbst – eine „Topografie des Herzens“. Jeglicher darüber hinausgehende Vergleich muss jedoch unweigerlich auf den Holzweg führen.

Flucht, Vertreibung, Integration nach 1945

Bei der Volkszählung von 1950 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 7,8 Millionen Vertriebene gezählt. Inzwischen wurden 16 Millionen deutsche Heimatvertriebene und Spätaussiedler aufgenommen. Es waren Deutsche, von denen zehn Jahre nach Flucht und Vertreibung 79 Prozent die Bereitschaft zur Rückkehr in die alte Heimat zur Priorität erklärten. Bei Flüchtlingen von heute ist das erkennbar ganz anders, die Auswahl Deutschlands als Zielland erfolgt meist mit der klaren Absicht, auf Dauer hier zu bleiben, obwohl ein Zuzug in einen völlig fremden Kulturkreis erfolgt.

Wir müssen daher im politischen, aber auch im gesellschaftlichen Diskurs deutlich mehr differenzieren zwischen den deutschen Vertriebenen der Nachkriegssituation und der daraus entstandenen Vertriebenenpolitik einerseits und der Integrationspolitik als Antwort auf kulturkreisfremde Migration. Beide Politikfelder haben zwar eine entscheidende Schnittmenge – beide kümmern sich nämlich um Menschen, die nach Flucht und Vertreibung zugezogen sind – doch gleich danach beginnen die Unterschiede. Für die einen war es „ein anderer Teil Deutschlands“, für die anderen ist es schiere „Fremde“. Für die Integrationsbemühungen in unserem Land ist genau diese Unterscheidung essenziell: Deutsche Heimatvertriebene und Spätaussiedler waren und bleiben Adressaten der Vertriebenenpolitik, wohingegen die heutigen Flüchtlinge ausschließlich Adressaten einer Integrations- und der Migrationspolitik sein können.

Deutsche aus Russland benachteiligt

Wozu es führt, wenn Neid und Missgunst die Debatte bestimmen und einzelne Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, zeigt die steigende Altersarmut unter den Deutschen aus Russland und anderen Spätaussiedlern. Ursachen sind die restriktiven Änderungen des Fremdrentengesetzes in den 90er-Jahren (Lafontaine-Initiative). 1996 wurden lebensbiografieunabhängige Pauschalkürzungen (40 Prozent) sowie Deckelungen (auf einen Betrag unter der Armutsgrenze) eingeführt, deren einziger erklärter „Zweck“ die „Akzeptanzerhaltung“ der sozialrechtlichen Integration der Spätaussiedler sein sollte, nachdem genau diese Akzeptanz durch eine Neiddebatte erst beschädigt worden war.

Dass damals thematisierte Unterschiede im Rentenniveau lebenslaufbezogene und nicht systematische Ursachen (etwa eine Besserstellung) hatten, wurde gezielt ausgeblendet. Während die Ost-Rente an das Westniveau angeglichen wird, bleiben bisher die Deutschen aus Russland ein zweites Mal unberücksichtigt. Entfremdung, Identitätsnegierung, Frust und Selbstausgrenzung sind die Folgen. Das zeigt: Wer die Debatte falsch führt, schafft neue Probleme, anstatt alte zu lösen. Wenn wir aber die richtigen Schlüsse aus unserer Zuwanderungsgeschichte ziehen und Integration eine Richtung geben, dann klappt’s auch mit den alten und den neuen Nachbarn.