Der Barmherzige Samariter in einer Darstellung von Julius Schnorr von Carolsfeld (Foto: Picture Alliance).
Asylpolitik

Nachdenken über das „C“

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Ein bemerkenswerter Wettstreit hat in der Flüchtlingskrise eingesetzt: Was ist christlich? Wer handelt christlich? Und: Wer handelt nicht christlich? Ein Denkanstoß von Professor Johannes Schroeter.

„Wie christlich ist die CSU noch?“, titelt die Süddeutsche Zeitung. „CDU und CSU sind dem C in ihrem Namen häufig nicht gerecht geworden“, behauptet die Zeitschrift „Publik Forum“, und schreibt: „Das Flüchtlingspapier, das die ‚Christlich-Soziale Union‘ gerade auf den Markt geworfen hat, ist nicht nur weit vom christlichen Anspruch entfernt – es ist ein Antipapier zum Evangelium.“ Wer sich wie die CSU als Partei auf christliche Grundsätze berufe, müsse sich auch an christlichen Maßstäben messen lassen, erklärte ein Spitzenvertreter der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Das Evangelium als Orientierung

Nichts ist in turbulenten Zeiten besser, als Orientierung zu haben. Das christliche Evangelium bietet eine. Darum sei hier der Versuch unternommen, die Maßstäbe einer christlichen Sozialpolitik aus dem Evangelium abzuleiten. Die maßgebliche Textstelle ist bestens bekannt. Dennoch birgt sie vielleicht Überraschungen.

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter schildert der Evangelist Lukas in seinem zehnten Kapitel. Ausgangspunkt ist ein Gespräch Jesu mit einem Gesetzeslehrer. Was sei nötig, „um das ewige Leben zu gewinnen“? Unter anderem die Erfüllung des Gebots: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Zur Illustration erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Mann geht von Jerusalem nach Jericho, fällt unter die Räuber und bleibt halb tot liegen. Mehrere Passanten gehen achtlos an ihm vorbei. Aber ein Mann aus Samarien sieht ihn und hat Mitleid mit ihm. Er kümmert sich um den Verletzten und bringt ihn zu einer Herberge. Nach einer Weile reist er weiter, beauftragt aber zuvor den Wirt mit der weiteren Pflege. Dafür bezahlt der Samariter den Wirt. „Geh und handle genauso!“, rät Jesus.

Weder die Bundesrepublik Deutschland noch die großen Kirchen noch die politischen Parteien können lieben.

Johannes Schroeter

Die erste Konsequenz dieser Bibelstelle ist, dass christliche Zuwendung für den hilfsbedürftigen Nächsten aus Liebe erfolgt. Lieben können Menschen, aber keine Organisationen. Das betrifft den Staat, aber auch die Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts, und auch politische Parteien. Weder die Bundesrepublik Deutschland noch die großen Kirchen noch die politischen Parteien können lieben. Insofern kann man weder vom Staat noch von einer Kirche oder einer Partei Handeln aus Nächstenliebe erwarten. Lieben tut immer der einzelne Mensch.

Der Samariter hilft freiwillig

Liebe ist ein persönliches Geschenk. Der barmherzige Samariter schenkt Zuwendung. Er hilft persönlich, aus Liebe, aus eigenem Entschluss, und wo es kostet, trägt er die Kosten selbst. Das unterscheidet den Samariter von dem Wirt, der eine Nebenrolle in dem Gleichnis spielt. Auch der Wirt hilft, aber im Auftrag und gegen Bezahlung. Das ist nicht unrecht, aber auch nicht christlich. Es ist kommerzielle Dienstleistung. Der Wirt befindet sich in guter Gesellschaft. Auch Taxifahrer, Rechtsanwälte, Ärztinnen oder Lehrerinnen leisten Dienstleistung gegen Bezahlung. Im Rahmen einer Dienstleistungsgesellschaft haben sie nützliche, achtbare Berufe. Auch der Wirt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter hat eine sinnvolle Rolle. Man wird ihm nicht absprechen, sich freundlich und höflich um den Überfallenen gekümmert zu haben. Trotzdem ist nicht der Wirt das Beispiel für die Nächstenliebe, sondern der Samariter. Der ist der Uneigennützige, aus Liebe Handelnde.

Wohlfahrt verfolgt auch Eigennutz

In den großen Wohlfahrtsverbänden, auch den kirchlichen, finden sich die Nachfolger beider Rollen nebeneinander. Freiwillige sind am Werk, die uneigennützig und aus Liebe helfen. Es sind aber auch in erheblichem Umfang Hauptberufliche beschäftigt, die Einkommen erzielen wollen. In einer Stellenanzeige vom Mai 2016 hat der Deutsche Caritasverband angegeben, 600.000 Hauptamtliche und circa 500.000 Ehrenamtliche in seinen Reihen zu haben. Eine überschlägige Modellrechnung ergibt: Bei sehr niedrig angenommenen Löhnen von nur 1.000 Euro pro Kopf und Monat hätten die Mitarbeiter dieses Wohlfahrtsverbands einen monatlichen Eigenbedarf von 600 Millionen Euro. Das ist erheblich. Die erwähnte ausgeschriebene Stelle umfasste unter anderem „die Gestaltung sozialer Märkte“. Das ist Marketing. Eine zweite Konsequenz ist deshalb, dass es in den Wohlfahrtsverbänden – wie im biblischen Wirtshaus – durchaus auch kommerzielle Interessen der Mitarbeiter gibt; dass zudem eigennützige und uneigennützige Tätigkeiten miteinander verwoben sind. Das macht es schwer, politische Forderungen zu bewerten, die gerade Wohlfahrtsverbände an die Politik richten. Geht es dabei um prophetische Mahnungen oder um Marketing?

Liebe duldet keinen Zwang

Die dritte Konsequenz der Bibelstelle ist, dass Werke der Nächstenliebe nicht gefordert oder gar erzwungen werden können. Liebe ist unvereinbar mit Zwang. Das Evangelium erzählt ein Beispiel, wie ein Mächtiger einen Machtlosen zum Helfen zwingt. Der geschwächte Jesus wird nach Golgota geführt, und „auf dem Weg trafen sie einen Mann aus Zyrene namens Simon; ihn zwangen sie, Jesus das Kreuz zu tragen“ (Matthäus 27,32). Simon hilft, aber aus Zwang. Der befehlende Offizier mag Mitleid gehabt haben, aber er hilft nicht selber. In dieser Rolle befindet sich eine Regierung, die Hilfsmaßnahmen verfügt. Sie darf das, aber sie kann das nicht mit christlicher Nächstenliebe begründen. Nächstenliebe gestattet nicht das Erzwingen der Mitwirkung Dritter. Und Zwang beginnt bei der Finanzierung durch Steuern.

Das bedeutet Nächstenliebe: Handeln aus Liebe, aus eigenem Entschluss, auf eigene Rechnung.

Johannes Schroeter

Was bleibt übrig für eine Sozialpolitik gemäß christlichen Prinzipien? Sie lässt gute Werke zu. Sie sichert jedem Menschen die Freiheit, aus Nächstenliebe tätig zu werden. Nicht mehr und nicht weniger. In der Migrationswelle ist das unter anderem das Recht jedes Staatsbürgers, Menschen aus dem Ausland zu sich nach Deutschland zu holen. Nach dem Aufenthaltsgesetz muss man sich aber vorweg verpflichten, für die Kosten des Lebensunterhaltes zu bürgen. Das bedeutet Nächstenliebe: Handeln aus Liebe, aus eigenem Entschluss, auf eigene Rechnung. Wer ist dazu bereit?

Prof. Dr. Johannes Schroeter

ist Hochschullehrer, Vorsitzender des Familienbundes der Katholiken im Erzbistum München und Freising und Mitglied der Familienkommission der CSU.