Das Medical Valley Center in Erlangen. (Bild: Medical Valley Center)
Medizintechnik

Spitzenforschung in Franken

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Das Silicon Valley kennt fast jeder, das Medical Valley wohl eher nicht. Dabei nimmt das Zentrum der bayerischen Medizintechnik in der Region Nürnberg-Erlangen eine international herausragende Position ein, erklärt Staatssekretär Stefan Müller.

Wir Franken sind ja nicht gerade bekannt dafür, unsere Stärken allzu laut zu Markte zu tragen. Viel lieber arbeiten, tüfteln, feilen wir möglichst ungestört und akribisch an besten Lösungen und freuen uns dann „derhamm“ (für die geschätzten Nicht-Franken unter den Lesern: „zuhause“) an unseren innovativen Erfolgen. Zu glauben, wir Franken seien etwa weltabgewandte Eigenbrötler, wäre indes ein großes Missverständnis. Denn solche global ausstrahlenden Erfolgsgeschichten gibt es in der fränkischen Historie durchaus viele und auf allerlei Gebieten – vom Globus über die Eisenbahn und den Fußballschuh oder die Jeans bis hin zu so unterschiedlichen Gesundheitsprodukten wie Papiertaschentüchern, Röntgenapparaten oder – viel moderner – Computer- und Magnetresonanztomografen.

Was könnte ein besseres Symbol für diese innovative, heimatverbundene Weltoffenheit sein, als die historische Firmierung der „Vereinigten Physikalisch-Mechanischen Werkstätten Reiniger, Gebbert & Schall – Erlangen, New York, Stuttgart“? Dieses 1886 gegründete Unternehmen, das bereits ab 1896 Röntgenröhren und -apparate herstellte und schließlich im Siemens-Konzern aufging, darf man getrost als die Keimzelle für den unternehmerischen Teil des heutigen „Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg“ bezeichnen. Physiknobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen hatte die nach ihm benannten Strahlen im November 1895 an der Universität in der Unterfranken-Metropole Würzburg gemacht. Und in Erlangen feiert das Universitätsklinikum mit seinem exzellenten Ruf in diesem Jahr sein 200-jähriges Jubiläum.

Hauptstadt der Medizintechnik

Medizinische Spitzenleistungen und medizintechnische Innovationen haben also Tradition in Franken – eine Tradition die heute ganz besonders in und um Erlangen lebt, blüht und gedeiht wie nie zuvor. Zum Platzhirsch Siemens „Healthineers“ sind über die Jahre eine Fülle mittelständischer „hidden champions“ getreten, wie etwa der Weisendorfer Titanprothesenspezialist Peter Brehm GmbH oder internationale Marktführer wie die HumanOptics AG, WaveLight oder Corscience, um nur wenige herausragende Beispiele zu nennen.

Medizinische Spitzenleistungen und medizintechnische Innovationen haben Tradition in Franken.

Stefan Müller

Unverzichtbar für diese Erfolgsgeschichten war und ist ganz sicher die enge Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft in der Region und die gezielte Förderung innovativer Ideen, etwa durch die Möglichkeit, an der Universität zu forschen und mit den Ergebnissen als Spin-Off weiterzuarbeiten und sie auch wirtschaftlich zu verwerten. Genau dies ist in Erlangen möglich, weil CSU-Politiker wie Erlangens Alt-Oberbürgermeister Siegfried Balleis über viele Jahre die Vision ihrer Stadt als der „Hauptstadt der Medizintechnik“ mit allem Nachdruck und durchaus auch gegen manche Widerstände verfolgt haben.

Herz des Valleys schlägt in Erlangen

Das vitale Herz des Medical Valley schlägt in Erlangen unweit der Siemens-Medizintechnik-Zentrale im so genannten Medical Valley Center, das ursprünglich als Innovationszentrum Medizintechnik und Pharma (IZMP) eingerichtet und vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber 2003 eröffnet worden war, um Startups und Spin Offs auf dem Weg von der Forschung in die Anwendung zu begleiten und zu unterstützen.

Weltweite Strahlkraft

Dass das ZiMT, das Zentralinstitut für Medizinische Technik der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, direkt nebenan seinen Sitz hat, ist ein weiterer großer Pluspunkt der die Medizintechnikregion Erlangen auszeichnet. Und es zeigt deutlich den nachhaltigen politischen Willen, hier im Herz der Metropolregion Nürnberg den deutschen Hotspot für Medizintechnik zu schaffen und weiter auszubauen. 2016 wird dementsprechend im oberfränkischen Forchheim ein zweites Innovations- und Gründerzentrum nach dem erfolgreichen Erlanger Muster eröffnet.

Mehr als 100.000 Studierende

Das Medical Valley umfasst heute einerseits ein Gebiet in dem elf Hochschulen mit knapp 100.000 Studierenden zuhause sind, und bietet so die Möglichkeit für eine immense interdisziplinäre Bandbreite. Mit ihren spezialisierten medizinischen und medizintechnischen Studiengängen steht die Universität Erlangen-Nürnberg im Zentrum dieses produktiven Austauschs. Andererseits sind in der Metropolregion Nürnberg traditionell viele kleine und mittlere Unternehmen angesiedelt, die fertigungstechnische oder andere hochspezialisierte Kompetenzen auch für den Bereich der Medizintechnik einbringen können.

Über 100 Firmen-Neugründungen und Ansiedlungen in der Region seit 1998 sprechen eine deutliche Sprache. Da kann es kaum verwundern, dass das Medical Valley eine deutschlandweite Spitzenstellung bei Patent-Erstanmeldungen im Bereich „Diagnostik, Chirurgie und Identifizierung“ einnimmt: Sie stiegen von 32 Prozent im Jahr 2008 auf 42 Prozent im Jahr 2012. Dazu kommen mehr als 63 Prozent aller Patenterstanmeldungen in Deutschland im Bereich „Röntgentechnik“ von hier.

 

Interesse von ausländischen Unternehmen

Die auch in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende aktive und bewusste Kooperation aller Akteure vor Ort ist die große Stärke des Medical Valley – und dies strahlt inzwischen auch international aus: Erste Unternehmen aus dem Ausland werden hier aktiv oder verlegten im vergangenen Jahr sogar ihren Sitz hierher.

Rund 195.000 Mitarbeiter erwirtschafteten 2015 in Deutschlands insgesamt 1.240 Medizintechnikunternehmen einen Gesamtumsatz von 28,4 Milliarden Euro, davon im Inland 9,2 Milliarden Euro und im Ausland 19,2 Milliarden Euro, was einer ausgeprägten Exportquote von 68 Prozent entspricht. 95 Prozent der Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter. Unser fränkisches Medical Valley spielt in diesem Konzert bereits heute eine herausragende Rolle.

Förderung der Branche durch den Bund

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte das Projekt Medical Valley von 2010 bis 2015 als nationales Spitzencluster für Medizintechnik. Aus den Spitzenclusterprojekten entstanden nach Aufzeichnungen des Medical Valley Centers bereits 130 Patente und Erfindungsmeldungen; die Forscher zählen bis heute mehr als 350 Publikationen in wissenschaftlichen Medien.

Ende Mai 2016 stellte das BMBF sein neues „Fachprogramm Medizintechnik“ vor, mit dem es für die nächsten fünf Jahre 240 Millionen Euro bereitstellt, um die Innovationskraft Deutschlands in diesem Wachstumsfeld zu stärken und gleichzeitig noch stärker am Bedarf der Patienten auszurichten.

Dieses neue Fachprogramm ist Ergebnis des nationalen Strategieprozesses „Innovationen in der Medizintechnik“, den das BMBF vor fünf Jahren gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheitsversorgung und der Selbstverwaltung ins Leben gerufen hat. Ziel des Strategieprozesses war es, an den Nahtstellen zwischen Forschungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik die Grundlagen für eine Innovationspolitik aus einem Guss zu schaffen.

„Wir wollen Forschungsergebnisse schnell zur Anwendung bringen“

Das Programm ist in die Hightech-Strategie und das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung eingebettet. Es ist direkter Ausdruck unserer Politik, innovative Ansätze aus der Forschung schneller in die Anwendung zu bringen.

Im Kern geht es uns darum, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu steigern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Medizintechnikbranche zu stärken, denn das Patientenwohl ist heute mehr denn je eng an den medizinischen und technischen Fortschritt geknüpft. Innovative Medizinprodukte tragen wesentlich dazu bei, dass Menschen bis ins hohe Alter ein aktives Leben führen können und dass eine soziale Teilhabe von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gesichert ist.

Dieser großen gesellschaftlichen Bedeutung entspricht eine anspruchsvolle neue Maßgabe für die Förderung von Projekten: Die Anbieter der Branche müssen den medizinischen Nutzen innovativer Produkte künftig stärker belegen. Dies erfordert häufiger als bisher klinische Studien und aufwändigere Entwicklungsprozesse.

Fokus auch auf kleine und mittlere Unternehmen

Damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die das innovative Rückgrat der Medizintechnikbranche in Deutschland bilden, den hohen Aufwand und die steigenden Kosten für klinische Studien dennoch tragen können, setzt das BMBF in seinem aktuellen Zehn-Punkte-Programm „Vorfahrt für den Mittelstand“ bereits wichtige Impulse für mehr Innovation in kleinen und mittleren Unternehmen. Davon profitiert auch die Medizintechnik; zum Beispiel im Rahmen der breitenwirksamen Unterstützung von Forschung und Entwicklung durch die Fördermaßnahme „KMU-innovativ: Medizintechnik“. Hier stellt das BMBF seit 2013 20 Millionen Euro Fördermittel pro Jahr zur Verfügung.

Das fränkische Medical Valley mit den hier angesiedelten Forschungseinrichtungen und Firmen ist mit den bereits geschaffenen Strukturen bestens auf diese neuen Rahmenbedingungen und Herausforderungen vorbereitet.

Neue Fachmesse in Nürnberg soll weitere Impulse liefern

Mit der neuen Fachmesse MT CONNECT in der Messe Nürnberg kommt erstmals im Juni 2017 ein weiterer wichtiger Baustein für die Vernetzung aller Akteure der Branche hinzu. Zusammen mit dem künftig in das Messeprogramm integrierten MedTech Summit entsteht in der Medizintechnikregion Franken einer der wichtigsten Treffs der Gesundheitsbranche.