September 2015: Der Grenzübergang Freilassing, im Bild die Zeltstadt vor der Grenze. (Bild: Imago/Eibner Europa)
Berchtesgaden

Extreme Belastung für die Region

Gastbeitrag Ein Tag für die Geschichtsbücher: der 4. September 2015. Vor einem Jahr öffnete Bundeskanzlerin Merkel die Grenze zu Österreich und ermöglichte tausenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland. Ein Jahr danach zieht der Landrat des Berchtesgadener Landes, Georg Grabner, Bilanz und spricht über die aktuelle Situation in der Grenzregion.

Der Landkreis Berchtesgadener Land war und ist aktuell von der Flüchtlingswelle durch die unmittelbare Nachbarschaft zu Österreich ganz besonders betroffen. Bis August 2015 war die Situation insbesondere durch illegale Schleusungen über die Autobahn A 8, aber auch durch Flüchtlingsaufgriffe an den kleinen Grenzübergängen von Laufen bis Berchtesgaden geprägt. Die Polizeiinspektionen der Bayerischen Landespolizei, die Schleierfahndung und das Kreisjugendamt waren hier in besonderem Maß gefordert.

Ab dem 13. September 2015 aber änderte sich die Lage grundlegend, nachdem durch den Bund die Grenzkontrollen zu Österreich eingeführt wurden. Die Flüchtlinge wurden auf der Balkanroute in der Regel per Bahn zunächst nach Salzburg gebracht. Von dort machten sie sich zu Fuß auf den Weg zum Grenzübergang „Saalachbrücke“ nach Freilassing.

In den ersten Tagen standen Hunderte Migranten, darunter Familien mit Kindern, auf Salzburger Gebiet und warteten auf den Grenzübertritt.

Georg Grabner

In den ersten Tagen – bis das Land Salzburg geeignete Warteräume zur Verfügung stellte und auf Polizeiebene das Übergabeverfahren abgestimmt war – standen Hunderte Migranten, darunter viele Familien mit Kindern auf Salzburger Gebiet und warteten auf Ihren Grenzübertritt nach Deutschland.

An der Grenzbrücke wurden sie anschließend von der deutschen Bundespolizei kontrolliert und in stündlichen Kontingenten von zunächst 10 Personen, später 50 bis 100 Personen in den Wartebereich in Freilassing, eine ehemalige Möbelhalle, gebracht. Dort wurden die Flüchtlinge zunächst ersterfasst und anschließend – bis zu ihrer Weiterfahrt mit Sonderzügen in eine Erstaufnahmeeinrichtung im Bundesgebiet – medizinisch betreut und mit Nahrungsmitteln versorgt.

Hunderte Menschen täglich – bis zur Schließung der Balkanroute

Von Mitte September 2015 bis Anfang März 2016, als die Balkanroute geschlossen wurde, kamen täglich Hunderte Menschen in der Möbelhalle an, an Spitzentagen zwischen 2.000 und 4.000 Personen. Dass diese gewaltige organisatorische und humanitäre Aufgabe bewältigt werden konnte, war nur dank des engagierten Einsatzes der Polizeikräfte, vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes Berchtesgadener Land und der Stadt Freilassing und insbesondere zahlreicher ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer von Organisationen oder aus der Bevölkerung möglich.

Erstaufnahmeeinrichtung ist noch immer in Betrieb

Nach wie vor ist der Wartebereich in der Freilassinger Möbelhalle in Betrieb und wird seit dem Frühjahr vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) organisiert. Durch die Bundespolizei finden auch derzeit noch Grenzkontrollen statt. Zu Stoßzeiten führt dies immer wieder zu Rückstaus, insbesondere am Grenzübergang Walserberg bei Piding.

Der Landkreis ist aufgrund seiner Grenzlage trotz rückläufiger Migrantenzahlen weiterhin stark gefordert. So führen die Folgewirkungen des Flüchtlingszugangs mit vielen unbegleiteten Minderjährigen zu zahlreichen Vormundschaften, die vom Landkreis organisiert und betreut werden müssen.

Enorme Belastung für den Landkreis

Neben der Belastung durch die eingeführten Grenzkontrollen und der humanitären Versorgung der aufgegriffenen Migranten musste das Landratsamt Berchtesgadener Land regulär, wie jeder andere Landkreis, Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens unterbringen. Dieser Personenkreis wurde zuvor in München registriert und dann uns zugeteilt.

Die Beschaffung von Unterkunftsmöglichkeiten stellte gerade in Oberbayern mit seinem engen Immobilienmarkt eine große Herausforderung dar. So hatten wir zum 31. August 2015 insgesamt 725 Asylbewerber und Flüchtlinge im Landkreis untergebracht. Ein Jahr später waren es 907 und zwischenzeitlich auch deutlich mehr. Glücklicherweise haben sich die Prognosen, dass wir Mitte 2016 bis zu 2.000 Asylbewerber im Landkreis unterbringen müssen, nicht bestätigt. Diese Menge an Unterkunftsplätzen hätten wir nicht bereitstellen können. Die Bearbeitung der eintreffenden Migranten konnte nur durch größte Kraftanstrengungen der Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Kommunen gelingen. Hier hat sich gezeigt, zu welchen Leistungen die ehrenamtlichen Hilfskräfte und der öffentliche Dienst in Bayern fähig sind.

Die weitere Entwicklung kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös abgeschätzt werden.

Georg Grabner

Die weitere Entwicklung kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös abgeschätzt werden. Hier ist es notwendig, dass wir unsere Interessen auf europäischer und internationaler Ebene vehement durchsetzen.

„Der Landkreis bekommt Wohnraumprobleme“

Die verstärkte Anerkennung von Asylbewerbern führt zu Fehlbelegungen in den Unterkünften und erhöht den Bedarf des ohnehin knappen Wohnraums im Landkreis. Hier sind die Kommunen, die Wohnungswirtschaft und der Freistaat Bayern gefordert, die Voraussetzungen für den Neubau von Mietwohnungen zu schaffen.

Der von der Bayerischen Staatsregierung beschlossene Wohnungspakt Bayern kommt hier gerade auch der einheimischen Bevölkerung zugute. Die Integrationsschritte Sprache, Wohnung, Ausbildung und Arbeitsplatz sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine in Zukunft gelingende Gesellschaft. Daran arbeiten wir zusammen mit allen Akteuren vor Ort mit Nachdruck weiter.