Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Stoiber-Kolumne

Wie China den Westen herausfordert

Kolumne Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber warnt vor den politischen und wirtschaftlichen Ambitionen Chinas und fordert die Europäische Union auf, sich für fairen Wettbewerb stark zu machen.

Wenn Europa unsere Zukunft ist, und dies hat Franz Josef Strauß schon vor vierzig Jahren, nach seinem spektakulären Besuch bei Mao Tse-tung 1975 formuliert, dann muss sich Europa mehr mit China beschäftigen.

Griff nach Schlüsseltechnologien

China hat seit der Öffnung des Landes nach dem Tod Maos 1976 einen in der Weltgeschichte beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg hinter sich. Das Wirtschaftswachstum seit 1978 betrug durchschnittlich zehn Prozent pro Jahr. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf verdreifacht. Mehr als 800 Millionen Menschen konnten so aus der absoluten Armut herausgeholt werden. Heute kommen 120 der weltweit fünfhundert umsatzstärksten Unternehmen aus China, fast genauso viele wie aus den USA. Das Land ist längst keine billige Werkbank westlicher Firmen mehr, sondern investiert gezielt in hochinnovative Unternehmen und Produkte. Mit seiner Strategie „Made in China 2025“ greift China nach der Weltmarktführerschaft in Schlüsselbereichen der Wirtschaft wie Künstliche Intelligenz, Robotik oder Maschinenbau. Laut einer aktuellen McKinsey-Studie sind im letzten Jahr 48 Prozent der weltweiten Investitionen für Start-Ups auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz in chinesische Gründungen geflossen. Digitale Unternehmen wie Alibaba, Baidu oder Tencent arbeiten technologisch auf dem neuesten Stand und brauchen den Vergleich mit Apple, Google, Facebook oder Amazon nicht zu scheuen.

Heute bietet China mit seinem autoritären Staatskapitalismus anderen Staaten eine echte Alternative zur Marktwirtschaft westlicher Prägung.

Edmund Stoiber

Darüber hinaus versucht China mit seinem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ weit über die Wirtschaft hinaus auch politischen Einfluss zu gewinnen. Im Rahmen dieser auch „Belt and Road“ genannten Initiative will der chinesische Staat eintausend Milliarden Euro in vitale Infrastrukturen wie Kraftwerke, Häfen, Flughäfen oder Bahnstrecken in über sechzig Ländern in Afrika, Asien und Europa investieren. Das bietet zwar enorme ökonomische Chancen, zugleich aber drohen Abhängigkeiten, wenn arme Transitländer wie Sri Lanka oder Pakistan die durch chinesische Kredite finanzierte Infrastruktur nicht bezahlen können.

Wettbewerb der Systeme

Mit dieser strategisch und langfristig auf Dominanz ausgelegten Politik stellt China den Westen nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch politisch vor eine sehr grundsätzliche Herausforderung. Bislang galt es uns als unumstößliche Wahrheit, dass die westliche Ordnung, also die Kombination aus Marktwirtschaft, liberaler Demokratie und Rechtsstaat, humaner und vor allem wirtschaftlich erfolgreicher ist als jede andere Gesellschaftsordnung. Nun ist der Westen mit einem neuen Systemwettbewerb mit China konfrontiert, der viel komplexer ist als der Systemwettbewerb zwischen dem Westen und der Sowjetunion und seiner Satellitenstaaten bis Ende der 80er Jahre. Damals waren die Positionen klar: freiheitliche Demokratien und Marktwirtschaft gegen Kommunismus und Planwirtschaft. Heute bietet China mit seinem autoritären Staatskapitalismus anderen Staaten eine echte Alternative zur Marktwirtschaft westlicher Prägung.

Die USA reagieren auf den neuen Rivalen mittlerweile mit einem Handelskrieg durch Strafzölle auf chinesische Produkte. Präsident Trump beklagt eine Benachteiligung Amerikas durch den gewaltigen Exportüberschuss Chinas, die Wettbewerbsverzerrung durch hochsubventionierte Staatsunternehmen und durch weiter bestehende Produktionshemmnisse für ausländische Unternehmen in China. Gerade in den letzten beiden Punkten hat er nicht unrecht. Aber es ist offensichtlich, dass Amerika durch seine aggressive Handelspolitik das „Reich der Mitte“ nicht nur zu fairem Handel und einer ausgeglichenen Handelsbilanz zwingen will, sondern grundsätzlich in seinem Aufstieg stoppen will. Das wird aber meines Erachtens nicht gelingen.

Europa braucht eine Antwort

Die Länder der Europäischen Union können auf die strategische Dominanz Chinas nur eine gemeinsame Antwort geben. Deutschland alleine hätte keine Chance. Aber die EU hat auf die wirtschaftliche Offensive des Riesenreichs bisher keine überzeugende Antwort gefunden. Ein Nachteil ist dabei, dass die Europäer zu wenig über China und die Mentalität der Chinesen wissen. Der China-Experte Eberhard Sandschneider hat dies in einem Vortrag anlässlich des 90. Geburtstags von Eberhard von Kuenheim auf den Punkt gebracht: „Chinas Aufstieg fasziniert uns, er beschäftigt uns, er fordert uns heraus, aber die meisten Debatten im Westen sind geprägt von einer ausgesprochenen Kompetenzlücke zu Chinas Politik, Wirtschaft, Kultur und Geschichte. Wir wissen zu wenig über China, obwohl wir fast täglich über das Land sprechen.“

Europa hat nicht die Kraft, um einen gesellschaftlichen Wandel in China herbeizuführen.

Edmund Stoiber

China setzt seine wirtschaftliche Macht gezielt auch in Europa ein, um einzelne EU-Staaten als Unterstützer für seine Interessen zu gewinnen. Mit Erfolg: So hat Griechenland im vergangenen Jahr erstmals im UN-Menschenrechtsrat nicht zusammen mit allen anderen EU-Mitgliedstaaten geschlossen die Menschenrechtssituation in China verurteilt. Der Kauf des größten griechischen Hafens Piräus durch ein chinesisches Staatsunternehmen und hohe chinesische Investitionen im griechischen Energie- und Tourismussektor dürften dabei keine unwesentliche Rolle gespielt haben. Ein anderes Beispiel ist die sogenannte „16+1“-Initiative Chinas mit sechzehn mittel- und osteuropäischen Ländern, darunter elf Mitgliedstaaten der EU. Ziel der Initiative ist eine engere Zusammenarbeit u.a. bei der Infrastrukturfinanzierung. Das birgt allerdings die Gefahr, dass China über diesen Weg auch Einfluss auf EU-Entscheidungen nehmen will. Hier muss die EU sehr aufpassen, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt.

Einsatz für internationale Standards

Was sollte die EU tun? Zunächst einmal sollte sie die Prämisse akzeptieren, dass sich China weder einbinden noch eindämmen lässt. Dazu ist das Land viel zu groß und selbstbewusst. Europa hat nicht die Kraft, um einen gesellschaftlichen Wandel in China herbeizuführen, etwa indem es seine Vorstellungen von Menschenrechten zur Bedingung für verstärkten Handel macht. Deshalb sollte sich die EU darauf konzentrieren, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und sich für die gemeinsame Einhaltung internationaler Standards einzusetzen. Die Gelegenheit ist günstig: Durch die handelspolitischen Spannungen mit den USA ist China bestrebt, die Handelsbeziehungen auch mit Europa zu intensivieren. Die Neue Seidenstraße bietet dazu noch viel wirtschaftliches Potenzial. Diese Chance sollte die EU in ihrem eigenen Interesse nutzen. Eine Abschottungspolitik wäre schädlich. Klar ist aber auch: Die Infrastruktur in Europa sollte auch in Europa finanziert werden. Dazu muss die EU bereit sein, diese Priorität zu setzen. Nur dann lässt sich der politische Einfluss Chinas in Europa unter Kontrolle halten.