„Europa braucht einen Aufbruch“
Aufbruch, Einigkeit, Bürgernähe: Europa hat gar keine andere Wahl, als gemeinsam politische Antworten zu suchen, meint EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Zugleich warnt der stellvertretende CSU-Vorsitzende vor einem weiteren Vormarsch der Populisten.
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„Europa braucht einen Aufbruch“

Interview Aufbruch, Einigkeit, Bürgernähe: Europa hat gar keine andere Wahl, als gemeinsam politische Antworten zu suchen, meint EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Zugleich warnt der stellvertretende CSU-Vorsitzende vor einem weiteren Vormarsch der Populisten.

Herr Weber, im Mai 2019 ist die Europawahl. Müssen wir mit einem ähnlichen populistischen Erdrutsch wie in Italien rechnen?

Wir erleben die Erfolge des Populismus, Radikalismus und der einfachen Antworten in ganz Europa, nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland, Frankreich oder Spanien. Deshalb wird die Europawahl 2019 eine ungemein wichtige Wahl. Es geht um Stabilität im Europäischen Parlament und um die Funktionsfähigkeit der europäischen Institutionen. Wir müssen den Populismus ernst nehmen und die Sorgen, die dahinter stehen. Für mich ist die Grundbotschaft für 2019: Wir brauchen für Europa einen Aufbruch. Und wir müssen die Menschen neu überzeugen.

Diese Botschaft höre ich schon seit zwei Jahren. Wo ist denn dieser Aufbruch?

Wenn wir die Menschen überzeugen wollen, müssen wir auch über Erfolge reden dürfen, beispielsweise die 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum, die wir haben, und die Tatsache, dass acht Millionen Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wir haben Reformen gemacht und Probleme gelöst, weil wir Europäer zusammenhalten. Darauf wollen wir aufbauen und die heutigen Aufgaben lösen. Das ist eindeutig die Frage Migration und Sicherheit und damit verbunden die Identität des Kontinents.

Wir müssen den Populismus ernst nehmen und die Sorgen, die dahinter stehen.

Manfred Weber

Inwieweit hilft US-Präsident Donald Trump, diese Identität neu zu entdecken?

Donald Trump, aber auch die Aggression der russischen Führung und der neue Machtanspruch Chinas, führen uns vor Augen, dass wir nur als Europäer gemeinsam unsere Aufgaben bewältigen können. Insofern sind all diejenigen, die uns herausfordern, auch treibende Kräfte für die Vereinigung Europas. Europa muss aus dem Schatten Amerikas heraustreten. Wir brauchen jetzt europäisches Selbstbewusstsein in aller Freundschaft und Partnerschaft. Donald Trump zwingt uns geradezu, einen eigenen Weg zu gehen.

Sie sprachen vom Thema Migration. Die Asylreform soll unbedingt noch vor der Europawahl kommen. Geht da irgendetwas voran?

2018 ist ein Arbeitsjahr, in dem wir Antworten geben müssen, die wir den Menschen vorlegen können. Da gibt es vier große Bereiche: die Euroreform, das Brexit-Thema, die Migration und der neue EU-Finanzrahmen für die Jahre ab 2021. Bei diesen vier Themen wollen wir bis Anfang 2019 Lösungen erzielen.

Aber wo sehen Sie denn Lösungen bei der Asylreform?

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Die Frage ist jetzt, ob die Mitgliedsstaaten das Ziel ernst nehmen, Europa zu einen. Wir brauchen einen robusten Grenzschutz, der in der Lage ist, es mit der Mafia und mit Schlepperbanden aufzunehmen und Zuwanderung strikt zu kontrollieren. Das Zweite ist: Wir brauchen Solidarität in Europa. Man kann nicht sagen: Ich kümmere mich nicht darum, wenn einige Staaten unter Druck sind – das ist nicht akzeptabel. Der dritte Punkt ist ein Marshallplan für Afrika. Es ist sonnenklar, was zu tun ist. Jetzt muss man es eben tun und die Bereitschaft zum Kompromiss haben.

Donald Trump, aber auch die Aggression der russischen Führung und der neue Machtanspruch Chinas, führen uns vor Augen, dass wir nur als Europäer gemeinsam unsere Aufgaben bewältigen können.

Manfred Weber

Zurück zur Europawahl und möglichen Spitzenkandidaten. Ist es eine gute Idee, wenn der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz zurück nach Brüssel kommt?

Ich freue mich, dass es eine lebendige Diskussion gibt, wer Spitzenkandidat wird, in allen Parteien, ob national oder europäisch. Die Frage, wer führt Europa, muss den Menschen bei der Wahl vorgelegt werden. Nur gelebte Demokratie kann den Spalt zwischen Bürgern und Brüssel überbrücken. Ein Spitzenkandidat braucht am Ende eine Mehrheit der gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament. Es wird kein Kommissionspräsident gewählt, der nicht vorher Spitzenkandidat einer demokratischen Partei war.

Es wird jetzt spekuliert, dass Sie selbst antreten: Werden Sie Spitzenkandidat für die Europäische Volkspartei?

Die Debatte über Spitzenkandidaten im Allgemeinen läuft, das freut mich. Für mich persönlich stellt sich die Frage jetzt aber nicht.

Das Interview führte Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Zur Person:

Manfred Weber (45) sitzt seit 2004 im Europaparlament und ist seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP). Seit 2015 ist der Niederbayer auch Vizevorsitzender der CSU.