Missbraucht das Interpol-System, um seine Kritiker einzuschüchtern: Der türkische Diktator Erdogan. (Foto: Imago/Depo Photo)
Türkei

Erdogan missbraucht Interpol

Gastbeitrag Interpol ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Terror, Drogenhandel und andere schwere Verbrechen. Umso schwerer wiegt der Missbrauch dieses Systems durch den türkischen Präsidenten Erdogan, meint der CSU-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius.

Der Fall des türkischstämmigen Schriftstellers Doğan Akhanlı, der am Wochenende aufgrund eines von der Türkei erlassenen und von Interpol verbreiteten Fahndungsersuchens in Spanien festgenommen wurde, ist einer von vielen Versuchen einschlägiger Staaten, sich mit Hilfe von Interpol unliebsamen Oppositionspolitikern oder Regimekritikern zu entledigen.

Der lange Arm Erdoğans darf nicht quer durch Europa bis nach Spanien reichen.

Bernd Fabritius, CSU-Menschenrechtspolitiker

Eines muss klar sein: Der lange Arm Erdoğans darf nicht quer durch Europa bis nach Spanien reichen. Seit 2015 habe ich als vom Europarat beauftragter Berichterstatter zum Missbrauch des Interpolsystems einen Bericht sowie Reformvorschläge vorgelegt. Zu Recht fordert im Fall von Herrn Akhanlı nun auch die Bundeskanzlerin von der Türkei, Interpol nicht zu missbrauchen. Ich unterstütze ihre Bemühungen ausdrücklich und weise die unerhörten Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten gegenüber der Bundesregierung aufs Schärfste zurück.

Türkei lässt 10.000 Regimekritiker über Interpol suchen

Leider ist davon auszugehen, dass Dogan Akhanlı nicht der einzige Kritiker ist, dessen die türkische Regierung auf diese Weise habhaft werden möchte. Ende Juli verdichteten sich Hinweise, dass die Türkei eine Massenfahndung nach über 10.000 Personen bei Interpol veranlasst hat. Interpol kommentiert derartige Meldungen prinzipiell nicht, doch der aktuelle Fall belegt die gesteigerte Aktivität der Türkei in diesem Bereich. Weniger prominente Opfer missbräuchlich erlassener Fahndungsersuche, bei denen öffentliche Berichterstattung und Interventionen nationaler Regierungen ausbleiben, sind in ungleich größerer Gefahr.

Die gute und wichtige Arbeit von Interpol darf nicht dem Verdacht ausgesetzt werden, als Steigbügelhalter autoritärer Regime zu fungieren.

Bernd Fabritius

Ich fordere die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Interpol-Mitgliedsstaaten auf, Fahndungsersuchen aus der Türkei ganz besonders sorgfältig zu prüfen, bevor Freiheitsentzüge oder gar Auslieferungen erfolgen. Die gute und wichtige Arbeit von Interpol darf nicht dem Verdacht ausgesetzt werden, als Steigbügelhalter autoritärer Regime zu fungieren, die lediglich ihre Kritiker loswerden wollen.

Sechsmal mehr Interpol-Fahndungsersuchen binnen zehn Jahren

Die Zahl der über das Interpolsystem verbreiteten Fahndungsersuchen, sogenannte „Red Notices“, hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Wurden im Jahr 2005 noch 2343 Red Notices verbreitet, waren es 2016 insgesamt 12.787. Interpol verfügte zwar über Prüfmechanismen und Kontrollinstanzen, hat es jedoch verpasst, diese an die gestiegenen Fallzahlen anzupassen. 1996 hat sich die Kontrollkommission Interpols (CCF) mit ganzen 18 Fällen beschäftigt, bei denen die Rechtmäßigkeit der „Red Notice“ angezweifelt wurde. Sie tagte alle drei Monate, was angesichts der geringen Fallzahlen völlig ausreichte. Im Jahr 2016 waren es über 800 Fälle – wobei der drei-Monats-Rhythmus beibehalten wurde. Oppositionelle schmorten längst in Gefängniszellen autoritärer Staaten, bis die Kontrollkommission von Interpol die Unrechtmäßigkeit des Fahndungsersuchens feststellte.

Die Türkei setzt mit dem Missbrauch von Interpol auch die öffentliche Sicherheit aufs Spiel.

Bernd Fabritius

Mittlerweile hat Interpol reagiert und Anfang 2017, auch aufgrund des Drucks des Europarates, eine weitreichende Reform seiner Kontrollmechanismen umgesetzt. Die Kontrollkommission ist personell aufgestockt worden und tagt häufiger. Das Sekretariat der Kontrollkommission wurde personell und qualitativ so erweitert, dass eine missbräuchliche „Red Notice“ durch Justiziare schon im Vorfeld abgelehnt werden kann. Leider, das zeigt der Fall Akhanlı ganz deutlich, gehen die Reformen nicht weit genug. Jetzt muss gehandelt werden.

Schärfere Sanktionen für Interpol-Missbrauch gefordert

In meinem Bericht für die Parlamentarische Versammlung des Europarats rege ich härtere Sanktionsmöglichkeiten gegen die Interpol-Mitgliedsstaaten an. Derzeit stellt die temporäre Zugangssperrung einzelner Staaten zum Interpolsystem die einzige Sanktionsmöglichkeit dar, die zudem so gut wie nie verhängt wird. Ich schlage in meinem Bericht die Führung öffentlicher länderbezogener Statistiken vor, die einen Abschreckungseffekt erzielen sollen und als Hinweis für Mitgliedsstaaten dienen können, welche Fahndungsersuche intensiver geprüft werden sollten. Des Weiteren schlage ich vor, Geldstrafen für die Staaten zu verhängen, die in hoher Zahl missbräuchliche „Red Notices“ beantragen.

Interpol ist ein unverzichtbares Instrument zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität wie Schleuserei, Drogenhandel und Terrorismus. Umso gefährlicher ist dieser Missbrauch. Die Türkei und andere Staaten setzen somit nicht nur das persönliche Wohlergehen der Opfer missbräuchlicher Fahndungsersuchen sondern auch die öffentliche Sicherheit aufs Spiel.