Saubermachen nach dem Urnengang: ein Straßenkeherer fegt vor 10 Downing Street. (Foto: Imago/PA Images)
Grossbritannien

Scherbenhaufen nach der Wahl

Die noch amtierende Premierministerin Theresa May büßt bei den vorgezogenen Neuwahlen ihre Parlamentsmehrheit ein. Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn fordert bereits ihren Rücktritt - bekäme aber selbst keine Mehrheit zusammen.

Hoch gepokert – und am Ende verzockt: Theresa May hat mit ihrer konservativen Tory-Partei die Regierungsmehrheit im britischen Parlament verloren. Weder die Konservativen noch die oppositionelle Labour-Partei hatten am Freitagmorgen eine Chance, mehr als die Hälfte der 650 Wahlkreise für sich zu gewinnen. Einer aktuellen Auszählung nach gehen von den 650 Sitzen im Unterhaus 315 an die Konserativen, 261 an Labour, 35 an die Scottish National Party, 12 an die Liberal Democrats und 10 an die Democratic Unionist Party.

Desaströses Ergebnis

Damit steht Großbritannien kurz vor Beginn der Brexit-Verhandlungen über einen EU-Austritt vor einem Patt. Wenn keine Minderheitsregierung oder Koalition möglich ist, könnte es eine neue Wahl geben. Mays Herausforderer Jeremy Corbyn, dessen Labour-Partei stark zulegen konnte, forderte die Regierungschefin noch in der Nacht zum Rücktritt auf. Sie habe Stimmen, Sitze und Vertrauen verloren, sagte er. Das sei genug, um „zu gehen und Platz zu machen für eine Regierung, die wirklich alle Menschen dieses Landes repräsentiert“.

May dagegen erklärte nach einem Treffen mit Königin Elizabeth II., sie werde eine Regierung bilden. May strebe eine konservative Minderheitsregierung mit Duldung der nordirischen Protestanten der DUP (Democratic Unionist Party) an, hieß es in britischen Medien. Eine Absprache mit der DUP gebe es dafür bereits. Zudem kündigte Großbritanniens Premierministerin an, sie werde die Verhandlungen über den EU-Austritt wie von Brüssel vorgeschlagen am 19. Juni beginnen.

Die Premierministerin hatte die vorgezogene Wahl im April damit begründet, dass Großbritannien eine „starke und stabile“ Regierung in komplizierten Brexit-Zeiten brauche. Deshalb wollte sie die Regierungsmehrheit ihrer Konservativen im Unterhaus vergrößern. Mays Ziel war es, sich sowohl in ihrer Partei als auch im Land mehr Rückhalt für die Verhandlungen über den EU-Austritt zu sichern.

Unser Land braucht jetzt mehr als alles andere eine Phase der Stabilität.

Theresa May

Wie die Trennung von der EU vollzogen werden soll, war eines der Themen im Wahlkampf – aber nicht das dominierende. May steht für einen so genannten harten Brexit, das heißt, sie stellt die Kontrolle der Grenzen über eine Beteiligung Großbritanniens am europäischen Binnenmarkt. Labour dagegen will einen weicheren Brexit und eng mit der EU zusammenarbeiten. Aber die Entscheidung der Briten vom vergangenen Jahr, aus der EU auszutreten, will auch Corbyn nicht rückgängig machen. Einzig die Liberaldemokraten wollen den Brexit noch verhindern, dies gilt jedoch als aussichtslos.

May hatte sich in der Nacht ebenfalls zu Wort gemeldet, als sie ihren Wahlkreis Maidenhead gewann. Das Land brauche jetzt „mehr als alles andere“ eine Phase der Stabilität, sagte die angeschlagen wirkende Regierungschefin. Wenn ihre Partei die meisten Sitze gewönne, werde sie dafür sorgen, dass es diese Phase gebe.

Wie es weitergeht

Die Premierministerin bleibt zunächst im Amt. Sie kann nun versuchen, mit anderen Parteien ein Abkommen zu vereinbaren, oder sie geht zu Königin Elizabeth II. und erklärt ihren Rücktritt und den ihrer Regierung. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionschef Corbyn auffordern, eine Regierungsbildung zu versuchen. Die Liberaldemokraten, die von 2010 bis 2015 mit dem konservativen Premier David Cameron regiert hatten, schlossen eine Koalition und einen „Deal“ aus. Auch grundsätzlich unterschiedliche Haltungen der Parteien zum Brexit machen eine Zusammenarbeit schwer. Die nordirische DUP zeigte sich allerdings schon in der Nacht bereit, die Konservativen zu unterstützen.

Als May die Neuwahl überraschend ausgerufen hatte, galt noch ein überragender Sieg mit einem Zugewinn von 100 Sitzen für die Tories als wahrscheinlich. Mehrere Fehler im Wahlkampf und die Sicherheitsdebatte nach den Terroranschlägen in London und Manchester hatten die Premierministerin aber in Bedrängnis gebracht. In ihrer Amtszeit als Innenministerin waren 19.000 Stellen bei der Polizei gekürzt worden.

(dpa)