Begegnung in Sotschi
Das Treffen Merkels mit Putin im russischen Sotschi: Wie viel Show, wie viel Substanz? Wie die Ergebnisse der Gespräche an der russischen Schwarzmeerküste die deutsch-russischen Beziehungen und den G20-Gipfel in Hamburg beeinflussen könnten.
Russland

Begegnung in Sotschi

Das Treffen Merkels mit Putin im russischen Sotschi: Wie viel Show, wie viel Substanz? Wie die Ergebnisse der Gespräche an der russischen Schwarzmeerküste die deutsch-russischen Beziehungen und den G20-Gipfel in Hamburg beeinflussen könnten.

Ein Ereignis hoher außenpolitischer Relevanz stand Anfang Mai im Fokus der russischen Öffentlichkeit: der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi, wo sie mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zusammentraf. Dabei fällt auf, wie unterschiedlich russische Experten und Medien abseits der üblichen Trennlinie zwischen regierungsnahen und regierungskritischen Beobachtern die Ergebnisse des Treffens beurteilen.

Wichtiger deutsch-russischer Dialog

Die deutschen Kommentare zu dem Treffen Merkels mit Putin in dessen Sommerresidenz in Sotschi sind schnell zusammengefasst. Die überwiegende Mehrheit der Stimmen aus Deutschland betonte den pragmatischen Charakter der Gespräche der beiden Politiker und bezweifelte konkrete Ergebnisse in der Syrien- und der Ukrainefrage sowie zum deutsch-russischen Verhältnis. Die Bundeskanzlerin habe – gerade auch mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen im September – vor allem ihre Bereitschaft verdeutlichen wollen, auch mit einem schwierigen Gesprächspartner wie Putin im Gespräch zu bleiben. Der russische Präsident wiederum habe dem eigenen Volk im Jahr vor den Präsidentschaftswahlen signalisieren können, dass sich das Verhältnis Russlands zur westlichen Welt und speziell zu Deutschland auf dem Weg der Normalisierung befinde. Der Journalist und Buchautor Robin Alexander, der mit Merkel nach Sotschi reiste, fasst in einem Artikel für Die Welt die Atmosphäre bei der Pressekonferenz anschaulich zusammen: „Der russische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin richten den Blick nach vorn – denn so müssen sie einander nicht anschauen.“

Der russische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin richten den Blick nach vorn – denn so müssen sie einander nicht anschauen.

Die Welt

Deutlich unterschiedlicher fielen die Reaktionen und Kommentare auf russischer Seite aus. Zwar wurde allgemein betont, dass die Gegensätze speziell in der Ukrainefrage weiter bestehen blieben. Allerdings halten viele russische Beobachter die Fortsetzung des deutsch-russischen Dialogs an sich für so wichtig, dass sie allein darin eine Rechtfertigung des Treffens von Merkel und Putin sehen. Bereits am Tag vor den Gesprächen hatte die Tageszeitung Kommersant auf die einschränkende Ankündigung von Regierungssprecher Steffen Seibert hingewiesen, dass es sich bei dem Termin der Bundeskanzlerin in Sotschi lediglich um eine von mehreren Reisen zur Vorbereitung des bevorstehenden G20-Gipfels im Juli in Hamburg handle. Die seit der Zuspitzung der Lage in der Ukraine Anfang 2014 ausgesetzten Regierungskonsultationen zwischen Putin und Merkel seien hingegen noch nicht wieder aufgenommen worden. Auch der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, habe nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax betont, das Treffen in Sotschi sei nicht gleichbedeutend mit einer Wiederaufnahme der Konsultationen.

Ukraine: unüberwindbare Gegensätze

Im Aufmacher des Kommersant am Tag nach dem Treffen zwischen Merkel und Putin beschreibt Sonderberichterstatter Andrej Kolesnikow auf gewohnt spitzzüngige Weise die wichtigsten Inhalte der Pressekonferenz. Sein Fazit der Gespräche: Er hält die Gegensätze bei der Bewertung der Geschehnisse in der Ost- und Südukraine für noch unüberwindbarer als vor dem Treffen. Die einzige Gemeinsamkeit sieht er im erklärten Festhalten Merkels und Putins am Minsker Abkommen und am Normandie-Format zur Lösung der Ukrainefrage. Die Liste der Streitthemen habe hingegen von den faktischen Enteignungen von Unternehmen über die Transportblockaden bis hin zur Einführung des russischen Rubels als Alternativwährung zur ukrainischen Griwna in der Ostukraine gereicht. Die größten Meinungsverschiedenheiten gebe es über die Reihenfolge der Schritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens. Während Angela Merkel den Zugriff der Ukraine auf die gesamte gemeinsame Grenze mit Russland als notwendige Bedingung für eine politische Lösung in der Ostukraine einschließlich Kommunalwahlen bezeichnet habe, bestehe Wladimir Putin darauf, dass zuerst die politischen Fragen gelöst werden müssten. Kolesnikow schließt süffisant mit der Feststellung, dass die großen Portionen beim gemeinsamen Abendessen nach der Pressekonferenz wohl das einzige Entgegenkommen Putins gegenüber der deutschen Kanzlerin gewesen seien.

Die großen Portionen beim gemeinsamen Abendessen waren wohl das einzige Entgegenkommen Putins gegenüber der deutschen Kanzlerin.

Kommersant

Auch Nina Ilyina, die als außenpolitische Korrespondentin für die Tageszeitung Wedomosti in Sotschi war, sieht das Festhalten beider Politiker am Minsker Abkommen grundsätzlich positiv. Allerdings fügt sie hinzu, dass Wladimir Putin eher die Erfolge des Normandie-Formats betonte, während Angela Merkel das Format als nicht besonders effektiv ansehe und nur wegen seiner Alternativlosigkeit an ihm festhalte. Die regierungsnahe Rossijskaja Gaseta zitiert den russischen Präsidenten mit dem Vorschlag, zukünftig auch Vertreter aus Kiew und aus den „nicht anerkannten Republiken“ in der Ostukraine zu den Verhandlungen einzuladen, um die Effektivität des Normandie-Formats weiter zu erhöhen. Die Bundeskanzlerin habe mit dem russischen Präsidenten darin übereingestimmt, dass zunächst ein Waffenstillstand erreicht werden müsse. Wladimir Putin habe darüber hinaus die stabilisierende Rolle der speziellen Beobachtermission der OSZE gewürdigt und betont, dass eine Schwächung oder gar Aushöhlung der Mission zu einer Gewalteskalation führen könne. In einem Namensartikel für Iswestija bezeichnet der deutsche Osteuropa-Historiker Alexander Rahr es als minimalen Erfolg des Treffens in Sotschi, dass man sich immerhin auf eine Stärkung der Rolle der OSZE im Ukrainekonflikt geeinigt habe.

Sanktionen bleiben

Zur Frage der EU-Sanktionen gegen Russland wird Angela Merkel in mehreren russischen Medien mit den Worten zitiert, sie hoffe, dass die Sanktionen aufgehoben werden könnten, wenn die Minsker Vereinbarungen umgesetzt würden. Wie einfach durch das Weglassen entscheidender Nebensätze solche Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden können, zeigte sich am Abend des Treffens in Sotschi in der Talkshow „60 Minuten“ des staatlichen russischen Fernsehsenders Rossija 1: hier wird daraus die schlichte Feststellung, die Bundeskanzlerin wolle die Sanktionen aufheben.

Im persönlichen Gespräch hat Nina Ilyina von Wedomosti dem Verfasser bestätigt, dass sie bereits während der Pressekonferenz Merkels und Putins in Sotschi solche Gerüchte gehört habe, die mit den Aussagen der Bundeskanzlerin allerdings nichts gemein hätten. Außer ihrem Fokus auf die Ukraine betont die Rossijskaja Gaseta auch die Gemeinsamkeiten, die Merkel und Putin in der Syrienfrage gefunden hätten. So müsse nach Auffassung beider so schnell wie möglich eine Eindämmung der Kampfhandlungen erreicht werden, um den Menschen vor Ort zu helfen. Angela Merkel habe hinzugefügt, dass Deutschland und Russland vereint seien im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und dass beide Länder alles tun müssten, um der Welt Frieden zu bringen.

Putins Unterstützung für G20-Agenda

Bei der Pressekonferenz hätten Angela Merkel und Wladimir Putin auch noch andere Themen angesprochen und sich dabei einiges zugemutet. So habe die Bundeskanzlerin den russischen Präsidenten auf Minderheitenprobleme (LGBTI in Tschetschenien sowie das Verbot der „Zeugen Jehovas“ in Russland) angesprochen und ihn an das Demonstrationsrecht erinnert. Auf Merkels Frage nach dem Vorgehen russischer Sicherheitskräfte gegenüber Demonstranten bei den Anti-Korruptions-Protesten Ende März und Anfang April habe Putin die dabei vorgenommenen Verhaftungen verteidigt. Auch habe er darauf verwiesen, dass die Ordnungskräfte in Russland zurückhaltender agierten als in einigen westlichen Ländern, wo der Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken durchaus üblich sei. Putin habe seinerseits die Kanzlerin daran erinnert, dass vor drei Jahren in Odessa ukrainische Nationalisten prorussische Aktivisten ins örtliche Gewerkschaftshaus getrieben und dann bei lebendigem Leibe verbrannt hätten. Diese einseitige Darstellung der Ereignisse am 2. Mai 2014 ist nicht nur höchst fragwürdig; der russische Präsident schien mit dem Hinweis, die internationale Gemeinschaft dürfe solche Verbrechen nicht vergessen und ihre Wiederholung nicht zulassen, Merkel und dem Westen indirekt zumindest einen Teil der Verantwortung für die Geschehnisse in Odessa zuschieben zu wollen.

Was wird nun bleiben von dem Treffen Merkels und Putins am 2. Mai 2017 in der Schwarzmeerstadt Sotschi? Hervorzuheben ist die Tatsache, dass Angela Merkel die volle Unterstützung des russischen Präsidenten für ihre Agenda beim G20-Gipfel in Hamburg gewonnen hat. Damit hat sie ihr Minimalziel erreicht, und angesichts kleinerer Ergebnisse wie der Einigung auf eine Stärkung der Rolle der OSZE im Ukrainekonflikt hat das Treffen in Sotschi seinen Zweck durchaus erfüllt.