Weißhelme helfen Opfern der Giftgasattacke. Das Nervengift muss abgewaschen werden. (Bild: Imago/Zuma Press/Syria Civil Defence)
Syrien

Giftgas auf Frauen und Kinder

Menschenrechtlern zufolge sind bei einem Angriff mit Giftgas auf die Stadt Chan Scheichun 72 Menschen getötet worden. Die USA, Großbritannien und Frankreich machen die Regierung von Präsident Assad dafür verantwortlich. Das russische Verteidigungsministerium behauptet indes, die syrische Luftwaffe habe bei einem Angriff eine Chemiewaffenfabrik getroffen.

Bei einem der schwersten Angriffe mit Giftgas im syrischen Bürgerkrieg sind Aktivisten zufolge mindestens 72 Menschen getötet worden, darunter 20 Kinder und 17 Frauen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Dienstag aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Chan Scheichun im Nordwesten des Landes zudem Dutzende Verletzte. Mehrere Stellen machten die Regierung von Baschar al-Assad für den Angriff verantwortlich. Die Rettungshelfer der Organisation Weißhelme berichteten sogar von 240 Verletzten. Die Hilfsorganisation Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) sprach von 100 Toten und 400 Verletzten.

UNO-Untersuchung angekündigt

Die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung an. Der UN-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch auf Antrag Frankreichs und Großbritanniens zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte „den offensichtlichen C-Waffenangriff“. Solche Kriegsverbrechen müssten bestraft werden.

Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat.

Boris Johnson, Außenminister Großbritannien

Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich zutiefst besorgt. Experten der OPCW sammelten und analysierten zur Zeit alle verfügbaren Informationen, teilte die Organisation in Den Haag mit. Noch herrscht allerdings Rätselraten über den Urheber der Attacke. Die USA, Frankreich und Großbritannien sehen die syrische Regierung hinter dem Angriff. „Wie am 21. August 2013 in Ghouta greift Baschar al-Assad Zivilisten an und nutzt dabei Mittel, die von der internationalen Gemeinschaft geächtet sind“, teilte der Élyséepalast am Dienstag mit. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte: „Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat.“ Das Weiße Haus sprach von „abscheulichen Handlungen des Regimes“. Auch Aktivisten machten für den Angriff Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Chan Scheichun kein Giftgas eingesetzt.

Russlands alternative Fakten

Das russische Verteidigungsministerium hingegen behauptet, die syrische Luftwaffe habe bei dem Angriff auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Chan Scheichun im Nordwesten des Landes eine Chemiewaffenfabrik getroffen. Es sei ein großes Munitionslager der Terroristen und eine Ansammlung militärischer Geräte ins Visier genommen worden. Das gehe aus den Aufnahmen der russischen Luftraumbeobachtungssysteme hervor. Auf dem Gebiet der Lagerstätte hätten sich Werkstätten befunden, in denen Geschosse mit chemischen Kampfstoffen produziert worden seien, hieß es weiter. Die syrische Opposition wies diese Aussagen als „Lüge“ zurück.

Menschenrechtsbeobachter erklärten, Jets hätten am Morgen mehrere Angriffe geflogen. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Dies deutet laut Experten auf ein Nervengift wie Sarin oder Tabun hin. Dafür spricht ebenfalls, dass auch behandelnde Ärzte durch den Hautkontakt mit den Opfern kurze Zeit später die gleichen Symptome aufgezeigt hätten, wenn auch schwächer. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden. Später am Tag hätten Flieger erneut Chan Scheichun angegriffen. Andere Aktivisten erklärten, bombardiert worden sei eine Klinik, in der Verletzte behandelt worden seien.

Sowohl der Einsatz von chemischen Waffen als auch der bewusste Angriff auf medizinische Einrichtungen würden ein Kriegsverbrechen und eine weitreichende Verletzung der Menschenrechte bedeuten.

UN-Menschenrechtsrat

Die Syrien-Ermittler des UN-Menschenrechtsrates untersuchten den Vorfall, teilten sie in Genf mit. „Sowohl der Einsatz von chemischen Waffen als auch der bewusste Angriff auf medizinische Einrichtungen würden ein Kriegsverbrechen und eine weitreichende Verletzung der Menschenrechte bedeuten“, hieß es in einer Stellungnahme.

Chan Scheichun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Scham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

(dpa/BK)