Götterdämmerung? Der neueste Skandal erhöht den Druck auf den FIFA-Präsidenten Sepp Blatter. Foto: Imago/Sven Simon
FIFA im Visier

Ein großer Sumpf

Es war einer der schwärzesten Tage in der FIFA-Geschichte: Festnahmen und Ermittlungen von Justizbehörden aus den USA und der Schweiz erschüttern den Fußball-Weltverband. Der Imageschaden kurz vor der Präsidentenwahl wäre fatal, wenn die FIFA überhaupt noch ein positives Image hätte. Doch ihr Ansehen ist schon lange vollständig ruiniert.

Wenige Tage vor dem FIFA-Weltkongress und der wahrscheinlichen Wiederwahl von Präsident Sepp Blatter am 29. Mai in Zürich gingen Schweizer Sicherheitsbehörden gegen mehrere Top-Funktionäre des Weltfußballverbands vor, darunter zwei Vizepräsidenten. Insgesamt nahm die Kantonspolizei Zürich sieben Funktionäre im Züricher Nobelhotel Baur au Lac fest. Vier der Verhafteten sind beim Kongress stimmberechtigt, einige sind Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees. Dieses 22-köpfige Gremium trifft alle wichtigen Entscheidungen des Weltverbandes. Nach der Festnahme hat die Schweiz mehrere Konten gesperrt. Den Verhafteten wird laut Mitteilung des Schweizer Bundesamtes für Justiz von US-Ermittlern vorgeworfen, seit 1991 Bestechungsgelder und verdeckte Provisionen von insgesamt mehr als 100 Millionen Dollar angenommen zu haben. Das US-Justizministerium beschuldigt insgesamt 14 Personen des organisierten Verbrechens und der Korruption.

Ermittlungen auch wegen der WM-Vergabe an Russland und Katar

Zeitgleich rückte die Schweizer Staatsanwaltschaft in das FIFA-Hauptquartier ein und beschlagnahmte Computerfestplatten und Unterlagen zur skandalumtosten WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2022. In diesem Zusammenhang hatte die FIFA im November 2014 Strafanzeige gestellt und damit Ermittlungen bewirkt. „Die Bundesanwaltschaft hat rund um die Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 ein Strafverfahren wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie des Verdachts der Geldwäscherei gegen unbekannt eröffnet“, heißt es offiziell. Zumindest als Zeugen sollten alle an der WM-Vergabe beteiligten Exekutivkomitee-Mitglieder infrage kommen. Zu diesen gehört auch Franz Beckenbauer. „Es war eine monatelange Planung“, sagte der Sprecher der Schweizer Staatsanwaltschaft, André Marty. Fifa-Präsident Blatter zähle aber nicht zu denjenigen, die befragt werden sollen, sagte Marty. Das könne sich aber ändern. Russlands Autokrat Wladimir Putin protestierte prompt gegen die „Ausweitung der US-Gesetze“ außerhalb der eigenen Grenzen. Ziel der Amerikaner sei es, Russland die WM wegzunehmen und Blatters Wiederwahl zu verhindern.

Verhaftungen im engsten Führungszirkel

Gleich zwei FIFA-Vizepräsidenten, Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo, gehören zu den Beschuldigten der US-Justiz. Der Brite Webb ist zudem Präsident des Nord- und Zentralamerikanischen und Karibischen Fußballverbandes Concacaf, der Uruguayer Figueredo Vizepräsident des Südamerikanischen Fußballverbandes Conmebol. Als Webb im April zum Concacaf-Präsidenten gewählt wurde, gratulierte Blatter herzlichst via Twitter: „Das beweist das Vertrauen in seine Führung.“ Webb galt auch als Blatters wichtigster Mann für die Finanzen im Weltverband und möglicher Nachfolger des ewigen Sepp. Zudem taucht unter den Verhafteten mit Jack Warner, der sich in seiner Heimat Trinidad und Tobago der Polizei stellte, ein weiterer ehemaliger FIFA-Vize und langjähriger Stimmenbeschaffer Blatters auf der Liste des US-Justizministeriums auf. Warner war bereits über andere Korruptionsfälle gestolpert. In Auslieferungshaft befinden sich laut dem Schweizer Bundesamt für Justiz außerdem Eduardo Li, Präsident des Fußballverbandes von Costa Rica, der Brasilianer José Maria Marin, Exekutivmitglied des Südamerikanischen Fußballverbandes, Julio Rocha, ehemaliger Präsident des Fußballverbandes von Nicaragua, der Brite Costas Takkas, ehemaliger Generalsekretär des Fußballverbandes der Cayman Islands, sowie Rafael Esquivel, Präsident des venezolanischen Fußballverbandes und Exekutivmitglied des Südamerikanischen Fußballverbandes.

Nicht das letzte Kapitel

Laut Pressemitteilung des US-Justizministeriums geht es um Korruption, organisierte Kriminalität, Überweisungsbetrug und Geldwäsche. Den Festgenommenen droht die Auslieferung in die USA. „Den Angeklagten wird eine ungezügelte und systemische Korruption vorgeworfen, die sowohl im Ausland als auch in den Vereinigten Staaten tief verwurzelt ist“, so US-Justizministerin Loretta Lynch. Mindestens zwei Generationen von Fußballfunktionären hätten „das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht“, um Millionen Dollar in Bestechungs- und Schmiergeldern anzuhäufen. „Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier. Die heutige Ankündigung hat die Botschaft: Genug ist genug“, so Lynch. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen: „Lassen Sie es mich deutlich sagen: Diese Anklage ist nicht das letzte Kapitel unserer Untersuchung“, betonte die Justizministerin. Das Bestechungsgeld sei von Sportmedien- und Sportvermarktungsunternehmen gezahlt worden. Sie ermöglichten Zahlungen an Delegierte der FIFA und andere Funktionäre von Unterorganisationen in Höhe von weit mehr als 100 Millionen Dollar.

Was sie gemein hatten, war die Gier.

Kelly Currie, US-Generalstaatsanwältin

Im Gegenzug sollen sie bei der Austragung von Fußballturnieren in den USA und Lateinamerika Medien-, Vermarktungs- und Sponsoringrechte erhalten haben. Bestechung habe es zudem bei der 2004 beschlossenen Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 an Südafrika gegeben. Der Inhalt von US-Gerichtsakten betrifft aber auch Schmiergeldzahlungen rund um Blatters Wiederwahl zum Präsidenten des Weltverbandes 2011. Demnach sollen jeweils 40.000 US-Dollar vor der Wahl in Umschlägen den Besitzer gewechselt haben – in einem Hotel in der Karibik. „Wir zeigen der Fifa die Rote Karte. Diese Untersuchung ist nicht beendet. Wir wollen den Fußball von der Korruption säubern“, kündigte FBI-Chef James Comey an. Generalstaatsanwalt Kelly Currie ergänzte: „Diese Art der Korruption und der Bestechung im internationalen Fußball läuft seit zwei Jahrzehnten.“ Alle Angeklagten hätten amerikanische Gesetze gebrochen. „Was sie gemein hatten, war die Gier.“

FIFA blamiert sich

Die FIFA reagierte auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz scheinbar gelassen. Verbandssprecher Walter De Gregorio erklärte, der Weltverband werde die Arbeit der Staatsanwaltschaft vollumfänglich unterstützen. „Die Fifa ist in diesem Kontext die beschädigte Partei“, wand sich De Gregorio, man sei „sehr glücklich, dass das nun passiert ist“. Dass Personen aus dem innersten Führungszirkel verhaftet wurden, konnte De Gregorio nicht als Problem erkennen. Er blamierte sich mit der Antwort, dass Blatter natürlich der Präsident, aber eben nicht in den Skandal verstrickt sei und er deshalb nicht verstehen könne, wie Journalisten überhaupt Blatters Rücktritt fordern könnten. „Es ist nicht gut fürs Image, nicht gut für den Ruf. Aber es ist gut für die Transparenz und die Bereinigung. Es ist kein schöner Tag für uns, wir haben anderes zu tun, aber es ist auch ein guter Tag für uns“, so der Sprecher. Die WM-Vergaben nach Russland und Katar würden nicht angezweifelt, die Präsidentenwahl wie geplant stattfinden – natürlich, wer könnte anderes erwarten.

Blatter mied angesichts des neuerlichen Skandals zunächst die Öffentlichkeit und spielte dann wieder einmal den aufklärerischen Reformer. „Dies ist eine schwierige Zeit für den Fußball“, ließ der 79 Jahre alte Schweizer am Mittwoch in seiner ersten Stellungnahme verlauten. „Wir werden dafür sorgen, dass alle daran beteiligten Personen aus dem Fußball entfernt werden.“ Sich selbst meinte er natürlich nicht damit, weil er bis jetzt nicht auf der Liste der Angeklagten steht. Immerhin sagte der 79-jährige Schweizer seine Eröffnungsrede zum zweiten Teil der FIFA-Medizinkonferenz ab und lud Vertreter aller sechs Konföderationen zu einer Sondersitzung in Zürich ein. Der Weltverband Fifa sperrte insgesamt elf Funktionäre vorläufig für sämtliche Fußball-Aktivitäten. Neben den sieben oben genannten Personen sind das Nicolás Leoz (Paraguay), Chuck Blazer (USA) und Daryll Warner (Trinidad und Tobago).

Ein US-Ermittler stufte die Korruption in der FIFA laut einem Bericht des „Spiegel“ als „institutionalisiert“ ein. „Wir sind schockiert, wie lange das schon vor sich geht und dass es fast alle Bereiche durchdringt“, wird ein Justizbeamter auch von der „New York Times“ zitiert. „Es scheint ein integraler Bestandteil der Fifa zu sein, der jeden Bereich betrifft, und war offenbar einfach ihre Art, Geschäfte zu machen.“

So bleibt wieder die Frage, warum der 79-jährige Blatter offensichtlich schwerwiegende kriminelle Aktionen in seiner Organisation tatsächlich entweder nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. In jedem anderen Weltunternehmen müsste er zurücktreten, wenn er davon wusste, aber auch, wenn er davon nicht wusste. Erst kürzlich hatte Blatter in einer eigenen Untersuchung über die WM-Vergabe an Russland und Katar die FIFA reinwaschen lassen, auch wenn sein Chefermittler Michael Garcia aus Protest gegen diese Interpretation seines Berichts zurücktrat.

UEFA fordert Blatters Rücktritt

UEFA-Präsident Michel Platini forderte Blatter zum Rücktritt auf: „Genug ist genug. Wir wollen diesen FIFA-Präsidenten nicht mehr haben!“ Blatter lehnte dieses Ansinnen im Vier-Augen-Gespräch ab, berichtete der Franzose auf einer Pressekonferenz in Zürich. „Es wäre ein Zeichen von Größe gewesen. Fußball ist wichtiger als Personalien, aber er hat gesagt: ‚Es ist zu spät. Ich kann nicht aufhören, nicht zu Beginn dieses Kongresses.“ Für den Fall des Wahlsiegs von Blatter schloss Platini einen Rückzug der europäischen Mannschaften aus allen FIFA-Wettbewerben nicht aus. Bei einer Sondersitzung rund um das Champions-League-Finale in Berlin werde man in der kommenden Woche „alle Möglichkeiten ins Auge fassen“, so der Franzose in Zürich. Die Spitze des europäischen Fußballverbandes UEFA hatte am Mittwoch eine Verschiebung der für Freitag geplanten Präsidentschaftswahlen gefordert und sogar einen Boykott nicht ausgeschlossen. Später einigte man sich auf die laue Reaktion, dass man bei der Präsidentschaftswahl zu großen Teilen für Prinz Ali bin al-Hussein votieren wolle – was die meisten Europäer ohnehin wollten. Laut dem ehemaligen FIFA-Mediendirektor Guido Tognoni wäre ein Boykott des Kongresses durch die UEFA eine echte Gefahr für Blatter gewesen. Zwar sei eine Wiederwahl trotzdem wahrscheinlich, aber „ein Fifa-Präsident, der von einem Rumpfparlament gewählt wird, der blickt schwierigen Zeiten entgegen.“

Reaktionen aus aller Welt

Andere waren in ihren Äußerungen ebenfalls deutlich: Der Präsident des englischen Fußballverbands, Greg Dyke, forderte den Rücktritt von Blatter, ebenso wie Englands Premierministers David Cameron. Dyke sagte der britischen Nachrichtenagentur Press Association in der Nacht zum Donnerstag in Zürich: „Sepp Blatter muss als FIFA-Präsident gehen.“ Sichtlich empört zeigte sich der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der schon früher nach einem heimlichen Besuch der WM-Baustellen in Katar die Vergabe an den Sklavenhalterstaat scharf kritisiert hatte: „Die Fußballwelt muss sich dagegen wehren. Wenn jetzt der Stall nicht ausgemistet wird, ja wann soll er denn ausgemistet werden?“ Er rief auch jetzt wieder zum Boykott der WM in Katar auf. „Als alter Gewerkschafter sage ich: Wir Europäer streiken. Wir spielen in dem Saustall nicht mehr mit! Ohne Europa wird es keine WM geben.“ Wenn der Europäische Verband sage: „Macht eure Weltmeisterschaft mit Blatter, aber wir gehen nicht hin“, dann sei die FIFA Geschichte. „Man muss nicht so lange rumeiern. Entweder wird jetzt Sauberkeit geschaffen oder der Fußball geht vor die Hunde“, erklärte Blüm.

Man muss nicht so lange rumeiern. Entweder wird jetzt Sauberkeit geschaffen oder der Fußball geht vor die Hunde.

Norbert Blüm, Ex-Arbeitsminister

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach reagierte bestürzt: „Es ist schockierend und schädlich für den gesamten Fußball, was sich in Zürich abspielt.“ Auch Liga-Präsident Reinhard Rauball forderte Blatter indirekt zum Rücktritt auf: „Sollten sich die Vorwürfe als richtig herausstellen, würde dies die Fifa und den gesamten Weltfußball in den Grundfesten erschüttern. Sepp Blatter – obgleich offensichtlich persönlich nicht betroffen – sollte dem Fußball einen großen Dienst erweisen. So kann es nicht weitergehen.“ Bundesinnen- und -sportminister Thomas de Maizière (CDU) forderte angesichts des aktuellen Fifa-Skandals: „Korruption und Geldwäsche sind schwere Vorwürfe, eine umfassende Aufklärung ist das Gebot der Stunde.“ Hier sei auch die Fifa gefordert. „Die Glaubwürdigkeit der Fifa wurde ja schon seit einiger Zeit stark kritisiert. Was wir da jetzt erleben, macht einen ja schier fassungslos“, sagte de Maiziére. Der sportpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Eberhard Gienger (CDU), forderte ebenfalls Aufklärung darüber, ob die WM-Vergaben an Russland und Katar tatsächlich manipuliert wurden. „Wenn sich dies bestätigen sollte, müssen die Vergabeverfahren neu aufgerollt werden“, betonte er. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, selbst jahrelang in der FIFA-Exekutive, sah das ein wenig anders: „Das ist ein großer Sumpf. Das Problem ist nicht damit erledigt, dass man Sepp Blatter als Präsident verhindert. Der Fehler liegt im System der Fifa. Es können sich zu viele bedienen.“ Auch die englische Fußballlegende Gary Lineker twitterte: „Falls Blatter nur einen Hauch von Anstand hat, sollte er jetzt fortgehen, sich in seinem Bau verschanzen, sich in seinen Sessel setzen und seine Katze streicheln.“

Topsponsoren erhöhen den Druck

Der Weltfußball ist ein großes Geschäft, das zeigen gerade die aufgedeckten Vorfälle. Umso härter trifft es die FIFA, wenn sich ihre Geldgeber nicht mehr mit dem miserablen Image des Blatterschen Unternehmens identifizieren können. Genau das passiert offenbar jetzt: Auch die FIFA-Topsponsoren üben zunehmend Druck auf den Weltverband aus. Das Kreditkartenunternehmen Visa mahnte „rasche und sofortige Maßnahmen“ an. „Sollte die Fifa dies nicht tun, haben wir sie informiert, dass wir unser Sponsoring neu bewerten würden“, so die Unternehmensleitung. „Diese lange Kontroverse befleckt die Mission und die Ideale der FIFA“, schrieb der Getränke-Riese Coca-Cola laut der Nachrichtenagentur AFP. Der südkoreanische Automobilhersteller Hyundai will laut einer Mitteilung die Lage genau beobachten: „Als Unternehmen, für das ethischen Normen und Transparenz den höchsten Stellenwert besitzen, sind wir extrem besorgt.“ Der US-Fastfood-Gigant McDonald’s nimmt die Vorgänge „sehr ernst“. Und der deutsche Sportartikelhersteller adidas betonte zwar, sein Engagement fortsetzen zu wollen, forderte aber von der FIFA, weiter konsequent „Standards für Transparenz“ einzuführen. US-Konkurrent Nike, der selbst in die Ermittlungen hineingezogen werden könnte, will die Ermittlungen der US-Behörden unterstützen. Schon vor Bekanntwerden der neuen Korruptionsermittlungen hatten Coca-Cola und Visa die FIFA vor kurzem aufgefordert, sich entschiedener gegen Menschenrechtsverstöße im WM-Gastgeberland Katar einzusetzen. Aus dem Sponsorenpool waren die Airline Emirates und der Konzern Sony schon Ende 2014 ausgestiegen.

Präsidentenwahl als Farce

Für den ohnehin in der Kritik stehenden Präsidenten Sepp Blatter kam der Polizeizugriff ungelegen: Am 29. Mai wollte sich der 79-Jährige, ohne Programm und entgegen früherer Versprechungen, für eine weitere Amtszeit zum FIFA-Chef wählen lassen. Die Wiederwahl galt als nahezu sicher, auch weil sich in den vergangenen Tagen die Reihen potentieller Gegenkandidaten deutlich gelichtet hatten. Nach dem Präsidenten des niederländischen Fußballverbands, Michael van Praag, zog vor wenigen Tagen auch noch Portugals Fußball-Ikone Luis Figo seine Kandidatur zurück. Einziger verbliebener Gegenkandidat Blatters ist Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien, der ebenfalls auf dem Ticket der Europäer antritt. Van Praag galt als einer der härtesten Kritiker Blatters. Vor dem FIFA-Kongress 2014 im brasilianischen Sao Paulo hatte er bei einer UEFA-Sitzung das Wort ergriffen und den im Saal anwesenden Schweizer zum Rückzug aufgefordert. Dies bezeichnete Blatter später als schlimmste Brüskierung seiner Funktionärs-Laufbahn. Und Figo offenbarte bei seinem Rückzug das „Fairplay“ in der FIFA: Bei den Kongressen der Kontinental-Verbände von Asien, Afrika sowie Nord- und Südamerika in den vergangenen Monaten sei ihnen, als offiziellen Präsidentschaftskandidaten, keine Minute Rederecht eingeräumt worden. Im Gegensatz zum Amtsinhaber Blatter natürlich. „Ich stehe nicht zur Verfügung für das, was eine Wahl des Fifa-Präsidenten genannt wird. In den letzten Monaten habe ich Vorfälle in der ganzen Welt beobachtet, die jeden, der sich einen freien, demokratischen und sauberen Fußball wünscht, nur beschämen können“, schrieb Figo.

Um die Wiederwahl Blatters aber tatsächlich zu gefährden, kommen die Festnahmen ohnehin zu spät, sagen Experten. Nicht nur angesichts der üblichen Unterstützung des Schweizers aus den besonders korruptionsgefährdeten Verbänden Afrikas und Asiens. Es gibt derzeit keine Information, dass Blatter in die Affäre verwickelt ist. Und selbst wenn: Bisher hat der FIFA-Boss alle Skandale schadlos überstanden, weil sich bei der chronisch korrupten FIFA außer Europäern, Amerikanern und Australiern schlicht niemand dafür interessiert hat. Die vergangenen Präsidentschaftswahlen und WM-Vergaben waren stets von Bestechungsverdacht und dubiosen Wahlgeschenken umrankt. Besonders englische Medien machten sich sehr erfolgreich einen Sport daraus, FIFA-Funktionären Geld für deren Stimme anzubieten und diese bei den „Verhandlungen“ zu filmen.

Weltmeister im Aussitzen

Sogar das rechtskräftige Urteil eines Schweizer Gerichts von 2010, eine Einstellungsverfügung, nach dem Blatter von der Korruption in seinem Verband wusste und sie zumindest duldete – es ging immerhin um viele Millionen Schweizer Franken – hat ihm nicht geschadet. 2010 wurde ein Prozess gegen zwei unbekannte FIFA-Funktionäre und die FIFA selbst gegen eine Strafzahlung von 5,5 Millionen Schweizer Franken eingestellt. Voraussetzung dafür ist jedoch laut Gesetz, dass der Tatbestand erwiesen und zugegeben worden ist. Der lautete bei den Funktionären: Korruption. Und die FIFA unter Präsident Blatter wurde beschuldigt, von den Schmiergeldzahlungen gewusst zu haben, aber nichts dagegen unternommen zu haben. Auch das wurde also zugegeben. Ein weiterer Skandal: Die FIFA musste einen Teil der Strafe zahlen, forderte aber dennoch von den beiden Funktionären nicht die Millionen zurück, um die sie gebracht wurde. 2012 wurde aber dennoch bekannt, dass die beklagten Funktionäre Blatters Vorgänger und Förderer, Ex-FIFA-Boss Joao Havelange, und dessen Schwiegersohn Ricardo Teixeira, zugleich Brasiliens Fußballboss, waren. Diese Information wurde von Schweizer und britischen Medien gegen den erbitterten Widerstand der FIFA sowie der beiden Funktionäre freigeklagt.

Letzte Hoffnung für den Fußball

Die Korruptionsermittlungen des FBI und von englischen Behörden rund um die WM-Vergaben 2018 nach Russland und 2022 nach Katar sind die letzten Hoffnungen, dem Schweizer Ungemach zu bereiten. In den USA laufen seit Jahren Untersuchungen des FBI gegen frühere FIFA-Funktionäre. Der ehemalige US-Verbandschef Chuck Blazer und der jetzt in der Schweiz verhaftete Warner gehören zu Beschuldigten in diversen Korruptionsverdachtsfällen. Das Ansehen des Fußballweltverbandes jedenfalls kann Blatter nicht weiter beschädigen, da es bereits am absoluten Nullpunkt angelangt ist. Man darf aber gespannt sein, wie redselig so mancher verhaftete FIFA-Funktionär, darunter einige enge Vertraute des FIFA-Präsidenten, in amerikanischer Haft wird. Laut US-Justizministerin Lynch sind bereits sechs der 14 verhafteten Fifa-Funktionäre geständig. Eine Warnung für Blatter sollte ein Satz aus der US-Anklageschrift jedenfalls sein: „Wenn die Anführer einer Organisation jene betrügen, die sie repräsentieren sollten, müssen sie dafür verantwortlich gemacht werden.“