Der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte. (Bild: Imago/ZUMA Press)
Präsident Duterte

Ein Rückschritt für die Philippinen?

Gastbeitrag Bislang galten die Philippinen als politisch relativ stabil. In seinem Länderbericht für die Hanns-Seidel-Stiftung beschreibt Götz Heinicke die Situation in dem Inselstaat nach der Wahl des umstrittenen Rodrigo Duterte zum neuen Präsidenten. Dessen Äußerungen - vom angedrohten Kriegsrecht bis zur unmenschlichen Behandlung Krimineller - geben großen Anlass zur Sorge um das südostasiatische Land.

Vor genau 30 Jahren wurde auf den Philippinen der langjährige Diktator Ferdinand Marcos im Rahmen der sogenannten „EDSA-Revolution“ von der Bevölkerung außer Landes gejagt. Seitdem galt das südostasiatische Land mit einer Bevölkerungszahl von knapp 100 Millionen als relativ stabil. Die folgenden Präsidenten waren mehr oder weniger dem Lager der damaligen Revolutionsführer um Corazon Aquino zuzuordnen. Das hat sich nun geändert. Am 9. Mai 2016 fanden Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen statt. Zum neuen Präsidenten wurde Rodrigo Duterte gewählt. Dem langjährigen Bürgermeister der Stadt Davao auf Mindanao, der drittgrößten Metropolregion der Philippinen, eilt ein zweifelhafter Ruf voraus. Die Amtszeit von Alt-Präsident „Ninoy“ Aquino wird am 30. Juni 2016 enden und Duterte wird die Amtsgeschäfte übernehmen. Es ist zu erwarten, dass es erhebliche Veränderungen in der philippinischen Politik und Entwicklung aufgrund dieses Wechsels geben wird. Wie diese genau aussehen werden, ist noch unklar.

Menschenrechtsorganisationen zeigen sich besorgt

Rodrigo Duterte verkauft sich gerne als Mann des Volkes, der aber – das wird gerne verschwiegen – Rechtsanwalt ist. Im Gegensatz zu seinen Kontrahenten tritt er stets „hemdsärmelig“ auf und spricht nur selten Englisch. Duterte kündigte im Wahlkampf an, für „Recht und Ordnung“ zu stehen. Sein Wahlprogramm bestand vor allem aus Parolen und er rühmte sich wegen seines „harten Durchgreifens“ gegenüber Kriminellen. So äußerte er, bereits in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit Kriminalität und Rauschgifthandel bekämpfen und zerstören zu wollen und die Kriminellen zu exekutieren und „den Fischen zum Fraß“ vorzuwerfen. Diese Vorhaben könne er durch seine „Erfolge“ in den letzten 30 Jahren in der Stadt Davao unterstreichen, in der er gerade den zweifelhaften Ruf genoss, die Stadt mit harter Hand gesäubert und eigenmächtig „Todesschwadronen“ zur Exekution von Menschen eingesetzt zu haben.

Rückfall in eine Diktatur?

Während des Wahlkampfes drohte er, falls ihm Kongress oder Senat die Gefolgschaft verweigerten, diese kurzerhand abzusetzen und das Kriegsrecht auszurufen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich internationale Medien und Menschenrechtsexperten schockiert und besorgt über die Wahl Dutertes zum Präsidenten zeigen und vor einem Rückfall in eine Diktatur warnen. Diese Sorgen sind nicht von der Hand zu weisen, insbesondere die Menschenrechtssituation der Philippinen steht in den kommenden Jahren vor einer gewaltigen Herausforderung für Sicherheitskräfte, Justiz und Zivilgesellschaft. Nichtsdestotrotz muss eingeräumt werden, dass Duterte einen beachtlichen Erfolg erreicht hat: Obwohl er im Wahlkampf auf den katholischen Philippinen den Papst und die Kirche schwer beleidigt, sich über Frauen und Vergewaltigungen lustig gemacht und der Schutzmacht USA gedroht hatte, sie des Landes zu verweisen, sowie für ein rigoroses Rauchverbot in allen öffentlichen Bereichen, eine Ausgangssperre für Jugendliche ab 22 Uhr und Alkoholverbot ab 24 Uhr plädiert hatte und selbst die beliebten Karaoke-Etablissements abschaffen möchte, wurde er trotzdem mit überwältigendem Vorsprung (ca. 38 Prozent der Stimmen) zum neuen Präsidenten gewählt. Vor allem die Mittelschicht und Kleinunternehmer zählten zu seinen Wählern.

Unzufriedenheit der Bevölkerung mit politischer Elite und der ungleichen Teilhabe

Enttäuschung und Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den bisherigen politischen Dynastien und der ungleichen Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg werden als Beweggründe angeführt, die den erstaunlichen Erfolg Dutertes begründen. Während der Präsidentschaft Aquinos konnten wirtschaftliche Erfolge erzielt werden. Auch die Menschenrechtssituation bei Straftaten, die von Sicherheitskräften verübt wurden (extra-judical killings), hat sich erheblich verbessert. Allerdings lebt die Mehrheit der Filipinos weiterhin in Armut und hat von den Erfolgen nichts zu spüren bekommen. Das Wirtschaftswachstum lag zwar in den letzten Jahren zwischen 6 und 7 Prozent, dies gleicht aber nur das Bevölkerungswachstum aus.

Der Reichtum bleibt auf die gleichen, einflussreichen Familien verteilt und wächst dort weiter an.

Die Schere zwischen arm und reich wächst weiter. Armut produziert zwangsläufig Kriminalität, was dann wiederum zu einem Problem vor allem für den Klein- und Mittelstand wird. Die Bevölkerung hatte den Eindruck, dass sich 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur Marcos wenig verändert hat und politische Posten in Familien quasi vererbt würden. Der Reichtum bleibt auf die gleichen, einflussreichen Familien verteilt und wächst dort weiter an. Duterte gilt daher als Hoffnungsträger für große Teile der Bevölkerung. Er hat sich offen gegen das „Old Establishment“ positioniert. Während des Wahlkampfes verwies er auf seine Erfolge als Bürgermeister von Davao und setzte sich erfolgreich von seinen Kontrahenten ab: Davao galt vor 30 Jahren als dreckigste und kriminellste Millionenstadt der Philippinen. Heute genießt sie zumindest den Ruf „sauberer und sicherer“ zu sein. Insofern ist die Wahl Dutertes zum neuen Präsidenten auch als eine Art demokratische Revolution zu verstehen, in der ähnlich wie vor 30 Jahren, die bisherigen Machthaber aus ihren Ämtern vertrieben wurden.

Chance für den Friedensprozess

Zu guter Letzt verbindet sich mit seiner Wahl auch die Hoffnung auf dauerhaften Frieden auf den Philippinen. Duterte selbst kommt von den Visayas, war jedoch beruflich aktiv in Mindanao, der zweitgrößten Insel mit der größten islamischen Minderheit.

Die Visayas

sind neben Luzon und Mindanao eine der drei Inselgruppen, die zusammen die Philippinen bilden. Luzon ist der nördliche Teil, die Visayas der mittlere und Mindanao der südliche Teil der Philippinen. Die Visayas sind wiederum politisch in vier Regionen aufgeteilt (Westliche, Östliche, Zentrale, Negros), die sich in insgesamt 16 Provinzen untergliedern. Duterte wurde auf der Insel Leyte geboren, die zu den östlichen Visayas gehört.

Er hat einen sehr direkten Zugang zu den Konflikten mit den MILF (Moro Islamic Liberation Front, eine islamistische Bewegung) beziehungsweise den Abu Sayyaf-Rebellen in Mindanao. Bei Konflikten mit den Rebellen der kommunistischen NPA (New People’s Army) wurde er in der Vergangenheit erfolgreich als Vermittler eingesetzt. Er kündigte bereits an, verurteilte NPA-Rebellen aus den Gefängnissen zu entlassen. Für den Friedensprozess mit den nach Unabhängigkeit strebenden Rebellenorganisationen bedeutet seine Wahl daher eine neue Chance. Bereits im Wahlkampf kündigte er an, innerhalb seiner sechsjährigen Amtszeit eine neue Verfassung erarbeiten zu wollen, die auch die Dezentralisierung des Landes vorsehen solle. Zukunftsprognosen für die Philippinen sind noch verfrüht. Duterte richtete seinen Wahlkampf vor allem auf das Thema Sicherheit aus, während er sich meist ausweichend zu anderen Themen äußerte, wie etwa der Wirtschaftspolitik. Sofern Duterte überhaupt einer politischen Richtung zuzuordnen ist, dann dürfte er am ehesten sehr weit links angesiedelt sein. Allerdings existieren auf den Philippinen keine mit Deutschland vergleichbaren politischen Strukturen und die Parteien sind meist Personen- und nicht programmorientiert.

Wahlergebnis ist noch nicht offiziell – Stimmen werden noch gezählt

Bis zur Stunde dauert die Auszählung der Wählerstimmen an und die Vize-Präsidentschaft ist noch nicht entschieden. Im Moment gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Leni Robredo von der liberalen Partei des derzeitigen Präsidenten Aquino und „BongBong“ Marcos, dem Sohn des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos. Derzeit liegt Leni Robredo in Führung. Bei den noch auszuzählenden Stimmen handelt es sich vor allem um die nicht zu unterschätzenden Stimmen der Auslands-Filipinos, die wohl verstärkt Marcos gewählt haben. Das Marcos-Lager hat schon angekündigt, dass es sich um Wahlbetrug handeln müsse, falls er nicht gewinne, da Marcos in der ersten Hochrechnung am Montag führte. Es ist davon auszugehen, dass er das Ergebnis auch gerichtlich anfechten lassen wird und noch einige Zeit vergehen wird, ehe die Vize-Präsidentschaft feststeht. Erst dann können weitere  Spekulationen über die zukünftige Politik der Regierung angestellt werden. Eine Wahl von „BongBong“ Marcos, der seine Popularität vor allem seinen Nachnamen verdankt, kann auf jeden Fall als Wunsch für einen Rückschritt in lange vergessene Zeiten gewertet werden.

Die internationale Staatengemeinschaft ist gut beraten, die Menschenrechtssituation in den Philippinen in den nächsten Monaten und Jahren besonders genau zu verfolgen und entsprechenden Druck auszuüben. Der Schutz der Menschenrechtssituation stellt eine gewaltige Herausforderung für Zivilgesellschaft, Polizei, Militär und Justiz dar. Gerade bei den philippinischen Sicherheitsbehörden konnte eine positive Bewusstseinsveränderung in den vergangenen Jahren beobachtet werden. Inwieweit der populistische Wahlkampf bereits Auswirkungen auf das zukünftige Handeln der Sicherheitskräfte haben wird, bleibt abzuwarten. Die arme philippinische Bevölkerung ist sicherlich bereit, Eingriffe in ihre persönliche Lebensführung zu akzeptieren, sofern und unter der Bedingung, dass sich ihre persönliche Lebenssituation verbessert. Dies ist die Mammutaufgabe für Duterte. Die Bevölkerung erwartet von ihm, aufgrund seines markigen Wahlkampfs, dass sich innerhalb von sechs Monaten etwas ändern wird, insofern steht er unter einem enormen Druck. Es wird sich zeigen, wie er damit umgehen wird. Die Präsidentschaft Dutertes bringt Veränderungspotential für die Philippinen mit sich. Dieser Wunsch nach Veränderungen entspricht dem Willen des Wählers. Duterte äußerte sich in einem TV-Interview am Dienstagmorgen nach der Wahl bereits wieder sehr versöhnlich: Er meinte, es werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht werde und man solle doch bitte die Wahlkampfparolen nicht zu ernst nehmen. Auch bestätigte er, dass er selbstverständlich die demokratischen Werte respektiere. Der 71 jährige zukünftige Präsident, dem eine sechsjährige Amtszeit bevorsteht, hat sich selbst ein halbes Jahr Zeit für die Veränderungen gegeben. Zu Weihnachten 2016 werden wir mehr wissen, was dies für ihn und seine Wähler bedeutet. Aufgrund dieses Zeitfensters ist die Wahl des Vize-Präsidenten so bedeutsam. Es ist nämlich der Vizepräsident, der direkt und unabhängig vom Volk gewählt wird und im Falle eines Rücktritts verfassungskonform nachfolgen würde.

Erste Ziele

Der künftige philippinische Präsident Rodrigo Duterte hat unterdessen erste Ziele geäußert: Er will in dem südostasiatischen Land die Polizei mit gezielten Todesschüssen auf Verbrecher schießen lassen, die Widerstand leisten. Zudem werde er in dem von Kriminalität geplagten Land die 2006 abgeschaffte Todesstrafe wieder einführen. Er bevorzugt für die Vollstreckung den Galgen: „Erschießen ist zu teuer, wegen der Kugeln.“ Hinrichtungen auf dem elektrischen Stuhl seien wegen des Stromverbrauchs ebenfalls zu teuer. „Soll ich etwa noch Geld ausgeben, wenn ich einen schlechten Menschen töte?“, so der neue Präsident.

Nur weil du ein Journalist bist, bist du von Attentaten nicht ausgenommen, wenn du ein Hurensohn bist.

Rodrigo Duterte

Duterte drohte auch den im Süden des Landes aktiven verschiedenen muslimischen Terroristengruppen. Er rief sie auf, ihre Geiseln freizulassen und sich zu stellen. Andernfalls müssten sie mit „Konsequenzen“ rechnen. Die Terrororganisation Abu Sayyaf zeigte sich wenig beeindruckt und drohte in einer Videobotschaft mit der Enthauptung einer zweiten kanadischen Geisel, wenn sie nicht bis zum 13. Juni  ein Lösegeld in Millionenhöhe erhalte. Die Abu Sayyaf, in Deutschland berüchtigt wegen der Entführung der Familie Wallert im Jahr 2000, hatte im April bereits einen entführten Kanadier enthauptet. Sie hält mehrere Ausländer, darunter einen Norweger und einen Niederländer, fest.

Den Tod wünscht Duterte offenbar auch einigen Journalisten: „Nur weil du ein Journalist bist, bist du von Attentaten nicht ausgenommen, wenn du ein Hurensohn bist“, sagte der neue Präsident jetzt bei einer Pressekonferenz in seiner Heimatstadt Davao. Journalisten, die die Wahrheit berichteten, werde nichts passieren. Korrupte Journalisten rette das Recht auf freie Meinungsäußerung aber nicht. Die Journalistengewerkschaft der Philippinen reagierte entsetzt: „Nichts rechtfertigt das Ermorden von Journalisten.“ Seit 1986 wurden 176 Journalisten auf den Philippinen ermordet. (avd)