Saudi-Arabiens gefährliche Mission, der Jemen und die Macht im arabischen Raum. Bild: Fotolia, Vladimir Melnik
Macht im arabischen Raum

Riads Krieg im Jemen

Im Jemen geht es nicht mehr nur um die Zukunft des Jemen. Und es geht auch nicht um Religion - noch nicht. Es geht um den Iran und um Saudi-Arabien, um die Zukunft des Mittleren Ostens und um das Gleichgewicht der Macht in der arabischen Welt und in der ganzen Region.

Die Rivalität der beiden Theokratien – Saudi-Arabien und Iran – um die Vormacht in der Region wächst seit langem. Im Jemen ist sie jetzt militärisch geworden. Zum ersten Mal hat einer der beiden Rivalen direkt militärisch interveniert. Eine gefährliche Eskalation: Schon in zwei arabischen Ländern kämpfen Sunniten gegen Schiiten und Irans langen Arm, im Irak und in Syrien. Jetzt kommt Jemen dazu. An der Spitze der größten sunnitischen Koalition, die die Region je gesehen hat, zieht Saudi-Arabien mit Marokko, Ägypten, Sudan, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar, Bahrein auch im Jemen in den Krieg gegen Schiiten und gegen Teherans wachsenden Einfluss. Mit dabei sind auch die Türkei und die Atommacht Pakistan. Der Krieg zwischen Sunniten und Schiiten weitet sich aus. Im Jemen, könnte man sagen, macht die sunnitische Welt mobil gegen den Iran.

Arabische Liga gegen Teherean

Und das ist erst der Anfang. Auf ihrem Gipfel im ägyptischen Scharm El-Scheich hat die Arabische Liga beschlossen, eine Arabische Eingreiftruppe zu bilden. „Die Arabische Liga stellt eine Anti-Teheran-Truppe auf“, titelt die Pariser Tageszeitung Le Monde. Aufschlussreich: Bei der Intervention im Jemen setzen die Saudis und ihre Verbündeten viel mehr Truppen und Material ein als etwa beim Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien und im Irak. Aber da geht es auch nicht gegen Schiiten und nicht gegen Teheran, sondern gegen Sunniten. Wer jetzt Saudi-Arabiens Einsatz im Jemen beobachtet, darf fragen, wie ernst es Riad beim Kampf gegen den sunnitischen Islamischen Staat im derzeit schiitisch dominierten Irak eigentlich ist.

Im vergangenen September haben schiitische Huthi-Rebellen aus Jemens Norden die Hauptstadt Sanaa besetzt. Im Januar stellten sie den sunnitischen Staatspräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi unter Hausarrest, installierten eine eigene Übergangsregierung – und knüpften sofort Verbindungen nach Teheran: Im Februar sprachen sie dort um politische und wirtschaftliche Hilfe vor. Mit sofortigem Erfolg: Seit 2. März fliegen jede Woche 28 Flugzeuge von Teheran nach Sanaa – vorher nicht ein einziges.

Amerikanisch-iranische Entspannung beunruhigt Saudi-Arabien

Im Februar gelang Hadi die Flucht nach Aden im Süden des Landes. Hadi rief die Hafenstadt zur provisorischen Hauptstadt aus. Die Huthi-Rebellen folgten ihm und setzten zur Eroberung Adens an. Der ganze Süden drohte unter Huthi-Kontrolle zu fallen und mit Aden auch der Zugang zum Roten Meer und damit zum Suez-Kanal. War das der Auslöser für Riads Intervention? Noch wichtiger sei die bevorstehende Einigung bei den Lausanner Verhandlungen über das iranische Atomprogramm gewesen, meint die Londoner Tageszeitung The Independent. Richtig ist: Die amerikanisch-iranische Entspannung beunruhigt sunnitische Araber und vor allem Saudi-Arabien. Das Militärbündnis mit der Atommacht Pakistan führt vor, wohin die Reise gehen kann, wenn Teheran die nuklearen Fesseln abgenommen werden sollten. Auch der Zeitpunkt der Intervention im Jemen mag mit den Atomverhandlungen zu tun haben: Solange Teheran in Lausanne etwas will, muss es im Umgang mit Washingtons Partner Saudi-Arabien Zurückhaltung üben.

Mit Bagdad, Damaskus und Beirut habe Teheran schon drei arabische Hauptstädte unter Kontrolle, tönte im vergangenen Jahr ein iranischer Parlamentarier. Und jetzt sollte Sanaa dazu kommen. So haben jedenfalls die Saudis und andere sunnitische Araber das verstanden. Beobachter diagnostizieren in Riad Einkreisungsängste.

Jemen als politischer Hinterhof Saudi-Arabiens

Die Saudis sind entschlossen, es nicht dazu kommen zu lassen. Zuviel steht für Riad – und für das saudische Königshaus – auf dem Spiel. Der Jemen ist Saudi-Arabiens politischer Hinterhof. Wenn Riad dort der schiitischen Rebellion, gar iranischer Einflussnahme ruhig zusähe, käme das einer Kapitulation gleich, überlegt Le Monde. Riads Rolle als Führungsmacht der sunnitisch-arabischen Welt wäre dahin. Die Saudis haben auch den Aufstand der schiitischen Mehrheit im sunnitisch regierten Bahrein vor vier Jahren nicht vergessen und fürchten eine Wiederholung. Zudem sind auch in Saudi-Arabien zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung Schiiten, und die meisten von ihnen leben ausgerechnet dort, wo sich die wichtigsten saudischen Erdölfelder befinden.

Andere Infektionsgefahren kommen hinzu: Die regionale Hochburg der Huthis im Norden des Jemen grenzt an Saudi-Arabien. Auch auf der saudischen Seite der Grenze leben Schiiten. Tatsächlich hat die Region einmal zu Jemen gehört. Interessant: Etwa die halbe saudische Armee sei jemenitischer Stammes-Herkunft, berichtet The Independent. Saudische Soldaten sind über ihre Familien intensiv mit dem Jemen verbunden.

Ziel der Übergangsregierung demokratische Transformation

Am Chaos in ihrem jemenitischen Hinterhof haben nicht zuletzt die Saudis selber großen Anteil. Zunächst sah es so aus, als blieben dem Jemen üble Folgen aus dem sogenannten arabischen Frühling erspart. 2011 trieb eine Protestbewegung, an der die Stadtbevölkerung von Sanaa, Stammesführer, Islamisten und eben die Huthis Anteil hatten, Langzeit-Diktator Ali Abdullah Saleh aus dem Amt. Riad griff steuernd ein: Unter saudischer Führung arbeitete der Golf-Kooperationsrat einen Übergangsplan für Sanaa aus. Bei der Präsidentschaftswahl im Februar 2012 gab es nur einen einzigen Kandidaten: Abed Rabbo Mansur Hadi. Der neue Übergangspräsident – zwei Jahre später waren richtige Wahlen mit mehreren Kandidaten vorgesehen – sollte mit einer Regierung der nationalen Einheit Verfassungsreform und demokratische Transformation ins Werk setzen – im saudischen Sinne.

Doch von nationaler Einheit war – und ist – Jemen weit entfernt. Übergangspräsident Hadi hatte keine Hausmacht, sondern hing von Riad ab. Die schiitischen Huthis, die schon seit 2004 gegen Diktator Saleh gekämpft hatten, blieben im Übergangsarrangement außen vor. Zum anhaltenden Konflikt mit den Huthis kamen andere alte inner-jemenitische Bruchlinien. 38 Jahre lang war der Jemen geteilt in die prowestliche Jemenitische Arabische Republik im Norden und in die sozialistische Volksdemokratische Republik Jemen mit der Hauptstadt Aden im Süden. Der Wiedervereinigung 1990 folgten 1994 ein Aufstand im Süden und ein Bürgerkrieg, den der Norden schnell gewann. Im Süden blieben Zorn und Wut. Jetzt nutzen Separatisten im Süden die Gelegenheit und kämpfen nicht nur gegen die Huthis, sondern zugleich gegen den Norden. „Im Norden ist Revolution, und im Süden ist Revolution“, zitiert BBC News einen jemenitischen Journalisten.

Der Jemen zerfällt wieder. Aber nicht nur in Nord und Süd. Denn zu jener Bruchlinie kommen noch ältere Stammeskonflikte. Auch im Norden kämpfen Stämme gegen die Huthis, gegen Sanaa oder gegeneinander. Die Huthies wiederum konnten unzufriedene Stämme auf ihre Seite ziehen. Sogar Ex-Präsident Saleh, der die Huthis einst jahrelang mit Krieg überzog, hat sich jetzt auf ihre Seite geschlagen, zusammen mit Teilen der Armee.

Al-Kaida-Terroristen als Profiteure im Chaos

Übelster Akteur – und größter Profiteur – im jemenitischen Chaos und Machtvakuum sind Al-Kaida-Terroristen. Die Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) gilt als besonders aktiv und gefährlich. Zur Erinnerung: Die Familie von Ex-Al-Kaida-Chef Osama bin Laden stammt aus Jemen. Manche jemenitischen Stämme haben sich mit den Dschiahdisten arrangiert oder kämpfen sogar mit ihnen gegen die Huthis. Auch Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) sind kürzlich in Erscheinung getreten: mit mörderischen Selbstmordangriffen auf Huthi-Moscheen in Sanaa, die fast 140 Todesopfer forderten. Jemens Wüsten und Berge bieten den Terroristen fast unbegrenzte Rückzugsräume. Washington musste jetzt auch jenen Stützpunkt räumen, von dem es mit Drohnen Jagd auf die Terroristen machte. Von Jemen sind schon Anschlagsversuche und Anschläge gegen westlich Ziele ausgegangen: Die Charlie-Hebdo-Mörder sollen in jemenitischen Terrorlagern gewesen sein. Für den Westen werde die Terror-Gefahr aus Jemen steigen, warnt die New Yorker Tageszeitung The Wall Street Journal.

In Jemen wechseln Allianzen schnell. Im Grunde kämpft jeder gegen jeden, irgendwann jedenfalls. „Das Gewalt-Chaos in Jemen ist nicht geordnet genug, um die Bezeichnung ‚Bürgerkrieg‘ zu verdienen“, kommentiert wieder das Wall Street Journal.

Riad ohne zuverlässigen Partner am Boden

In das Chaos hat sich jetzt Saudi-Arabien begeben. Mit welchem Ziel? Denn nur mit Luftschlägen wird Riad weder die Huthis besiegen noch Übergangspräsident Hadi nach Sanaa zurückbringen können. Aber am Boden in Jemen verfügt Riad über keinen schlagkräftigen und zuverlässigen Partner. Sie haben nur den vertriebenen Präsidenten Hadi, der sich jetzt nach Riad geflüchtet hat, und den auch die meisten Huthi-Gegner nicht in Sanaa wiedersehen wollen. Tatsächlich haben die Saudis an der Grenze schon mehrere Divisionen Bodentruppen in Stellung gebracht. Saudi-arabische Presse spekuliert über Vorbereitungen für Bodenkrieg. Auch Ägyptens Außenminister sagt, sein Land sei bereit, „wenn nötig Bodentruppen“ einzusetzen.

Solche Ausweitung des Krieges birgt Gefahren für Jemen, für Riad und für die Region. Bislang haben konfessionelle Gegensätze im Jemen keine große Rolle gespielt. Saudi-Arabien und seine sunnitische Koalition gegen die Schiiten und gegen iranischen Einfluss tragen nun den konfessionellen Gegensatz und regelrechten Religionskrieg nach Jemen. Die Al-Kaida- und IS-Dchihadisten heizen ihn mit Lust weiter an. Was Teherans Einflus s im Jemen angeht, so erreichen die Saudis das Gegenteil von dem, was sie wollen: Die Huthis sind nun erst recht auf iranische Unterstützung angewiesen.

Eingreifen auswärtiger Mächte verlängerte Konflikte

Wenn eine auswärtige Macht in einen Bürgerkrieg eingreift, um die Niederlage einer Partei abzuwenden, warnt der amerikanische Mittelost-Experte Kenneth Pollack, dann führt das in aller Regel nicht zum schnellen Frieden, sondern nur zur Verlängerung des Konfliktes. Saudi­Arabien sei zwar momentan die Führungsmacht der arabischen Welt, so Pollack. Aber es ist auch ein Land mit großen inneren Herausforderrungen, sogar finanziellen Problemen. Das Königshaus befindet sich mitten in einem schwierigen Genrationswechsel. Selbst die hochmodern gerüstete saudische Armee verfügt nicht über die Mittel, um im Chaos-Land Jemen eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Riad bereite sich auf einen langen Krieg vor, sagen Beobachter. Wohin das Saudi-Arabien führt, wird sich zeigen.

„Wird Jemen zum zweiten Syrien?“, fragt das US-Politik-Magazin Foreign Policy. Bislang war Jemen für die Region nicht furchtbar wichtig. Zum großen, alles zerstörenden Krieg haben es die vielen Bürgerkriegsparteien nicht kommen lassen. Aber wenn jetzt im Jemen die beiden großen Vormächte der Region gegen einander antreten, kann der Krieg existentiell werden, vor allem für Saudi-Arabien. Weder die Golf-Staaten noch Teheran werden ihn dann noch beherrschen können oder wollen.