Internationales Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Bild: Stiftung Bayerische Gedenkstätten/fkn
Konzentrationslager

Ende der Barbarei, Anfang der Erinnerungskultur

Kommentar Am 23. April 1945 in Flossenbürg und am 29. April 1945 in Dachau öffneten sich die Lagertore für Tausende KZ-Häftlinge. Die US-amerikanische Armee befreite Ende April / Anfang Mai 1945 auch diejenigen, die von den Nationalsozialisten aus ganz Europa in das weitverzweigte KZ-Außenlagernetz verschleppt und dort versklavt wurden.

Heuer ist dies 70 Jahre her. Die Bilder der Befreiten haben sich tief in unser Gedächtnis eingegraben. Die Bilanz des Grauens, die man nach 1945 zog und die nie völlig abzuschließen sein wird, ist zutiefst erschütternd:

Folter, Zwangsarbeit und Demütigung

Im KZ Dachau und seinen 140 Außenlagern – darunter Mühldorf und Kaufering – waren über 200000 Menschen gefangen. Es gab mehr als 41500 Tote, ermordet in zwölf Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft; mindestens 160000 weitere Opfer, durch Folter, Zwangsarbeit und Demütigung gezeichnet für ein ganzes Leben, hinein bis in die Gegenwart. Nicht zu vergessen die über 4000 russischen Kriegsgefangenen, die in der SS-Schießstätte Hebertshausen brutal um ihr Leben gebracht wurden.

Rund 100000 Häftlinge hielt die SS zwischen 1938 und 1945 im KZ Flossenbürg gefangen. Seine knapp 90 Außenlager – darunter Hersbruck/Happurg – erstreckten sich von Bayern über Böhmen und Sachsen. Mindestens 30.000 Menschen brachte dieses Lager den Tod.Die Hölle auf Erden.

Das Schicksal der KZ-Opfer ist unsere Verpflichtung. Karl Freller

Zu den wichtigsten und nachhaltigsten Erfahrungen in meinem Leben gehören die Begegnungen mit KZ-Überlebenden. Diese Zeitzeugen bringen bis heute immer wieder die Kraft auf, in jenes Land zurückzukehren, das ihnen abgrundtiefen Schmerz zugefügt hat – ohne Hass, ohne Rachegedanken. Sie berichten in unseren Schulen von ihrem individuellen Schicksal als Verfolgte in Nazi-Deutschland. Welch überragende Persönlichkeiten, getragen von tiefer Menschlichkeit!

Vor dieser Stärke habe ich die allergrößte Hochachtung. Am vergangenen Wochenende waren über 40 Überlebende zu Gast bei der Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, zur zentralen Feier in der KZ-Gedenkstätte Dachau an diesem Wochenende sind mehr als 100 ehemalige Häftlinge eingeladen. Ihr Schicksal ist unsere Verpflichtung!

Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten sieht ihre Aufgabe zu­allererst darin, an den unfassbaren Zivilisationsbruch zu erinnern, der in deutschem Namen in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts begangen wurde. Das geschieht zum einen durch internationale Vernetzung, damit dieses Gedenken über Staatsgrenzen hinweg für die Zukunft wachgehalten werden kann. Das geschieht zum anderen durch die pädagogische Arbeit in den Gedenkstätten, die als Lernorte wahrgenommen und angenommen werden.

Die Anfänge der Gedenkarbeit gingen von den Überlebenden aus: In Flossenbürg entstand durch die Initiative von so genannten Displaced Persons eine erste Gedenkstätte im „Tal des Todes“. Ein Denkmalkomitee ließ aus den Steinen von Wachtürmen eine Kapelle errichten. In Dachau erhielt das Comité International de Dachau den Häftlingsbereich als Gedenkort und schrieb mit der Gründung der KZ-Gedenkstätte im Jahr 1965 einen Wettbewerb für die Errichtung eines Mahnmals am ehemaligen Appellplatz aus.

Integraler Bestandteil der jährlichen Befreiungsfeierlichkeiten

Die beiden Orte in Dachau und Flossenbürg sind und bleiben integraler Bestandteil der jährlichen Befreiungsfeierlichkeiten. Einen Rückblick auf die Anfänge der Gedenkarbeit bietet in diesem Jahr die Sonderausstellung der KZ-Gedenkstätte Dachau zur Errichtung des „Internationalen Mahnmals“, die heute am 2. Mai eröffnet wird. Mit dem am vergangenen Wochenende für den Probebetrieb eröffneten Bildungshaus in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg haben wir die Zukunft der Erinnerungsarbeit im Blick.

In unserer Arbeit geht es ganz besonders um die jugendlichen Besucher und damit die künftigen Generationen. Dafür arbeiten wir in der Stiftung und den Gedenkstätten. Unterstützung erfahren wir dabei vom Comité International de Dachau ebenso wie von der Vereinigung der Überlebenden der Außenlager, von der Stadt Dachau ebenso wie von der Gemeinde Flossenbürg sowie von zahlreichen bürgerschaftlichen Gruppen und Vereinen, deren Anliegen es seit langem – und zu Beginn hier und dort auch gegen Widerstände – ist, die Erinnerung zu bewahren.

Die Stiftungsarbeit wird institutionell und bei den großen Projekten vom Freistaat Bayern und von Bundesseite gefördert. Das zeigt die Bedeutung, die diesem Teil deutscher Geschichte von staatlicher Seite für das Verständnis der Gegenwart beigemessen wird. Unterstrichen auch durch die Präsenz der Bundesministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, bei der diesjährigen Befreiungsfeier in der Gedenkstätte Flossenbürg und von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Befreiungsfeierlichkeiten in der Gedenkstätte Dachau sowie von Ministerpräsident Horst Seehofer bei beiden Gedenkveranstaltungen.

Demokratie muss täglich geschützt werden

Wer in unserem Land lebt, sollte dessen Geschichte kennen – auch und gerade jene, die sich nicht wiederholen darf. Dies sind wir nicht nur den Opfern des NS-Regimes und deren Angehörigen schuldig, sondern auch uns selbst und unserer Jugend – als ständige Warnung, wie angreifbar und verletzlich unsere Zivilisation ist. Demokratie muss täglich gelebt und täglich geschützt werden. Deshalb ist die Rolle der NS-Zeit im kollektiven Gedächtnis so wichtig. Wer die Geschichte nicht kennt, kann nicht aus ihr lernen.

Nur eine starke, wehrhafte Demokratie kann verhindern, dass Extremisten jemals wieder eine Chance bekommen, anderen Menschen mit Gewalt ihr Denken aufzwingen zu wollen. Deshalb sind für mich persönlich demokratische Parteien und das Engagement in ihnen so wichtig. „Nie wieder“ muss als Auftrag wirklich gelebt ­werden!

Der Autor ist Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten und stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion.