Was wurde aus dem unscheinbaren Gemälde, dem die Münchner Familie Engelberg ihr Leben verdankt? Eine Dokumentation im Jüdischen Museum zeigt es noch bis 13. Dezember. Screenshot: kunstjagd.com
Rechercheprojekt

Die Jagd nach dem verschollenen Gemälde

Es ist nur ein Gemälde - und auch noch seit 77 Jahren verschollen. Doch Jakob Engelberg und seine Familie verdanken ihm ihr Leben. Das Projekt #kunstjagd im Jüdischen Museum zeigt in einer Dokumentation die spannende Suche nach einem Gemälde, an der sich über 1.000 Menschen beteiligt haben und die durch fünf Länder führte.

November 1938: Zwei Gestapo-Männer klopfen an die Haustüre der jüdischen Kaufmannsfamilie Engelberg in München. Jakob Engelberg bleibt gerade noch ein wenig Zeit, um ein paar Sachen zu packen und sich von seiner Frau und seinen Kindern zu verabschieden – dann nehmen sie ihn mit. Ins Konzentrationslager nach Dachau.

15 Tage später ist Jakob Engelberg wieder frei. Mit seiner Familie kann er Deutschland verlassen. Dank eines Gemäldes.

Ein Gemälde als Fluchthelfer

Das Porträt einer Frau, das kaum materiellen Wert besitzt, ist der Grund, warum vier Generationen der Familie Engelberg heute noch am Leben sind. Jakobs Frau Paula hatte das Gemälde von Otto Th. W. Stein kurz nach seiner Verhaftung verkauft und dafür ein Visum der Schweiz für ihren Mann erhalten. Über Zürich floh die Familie nach New York und konnte dem Grauen des Zweiten Weltkriegs entfliehen.

Bis heute weiß niemand, was aus dem Gemälde wurde oder an wen Paula Engelberg es damals verkauft hatte. Doch genau das würde die Familie gerne wissen. Nicht, um das Gemälde wieder zu bekommen, sondern nur, um ein wenig Licht in ihre Familiengeschichte zu bringen.

Jakobs Sohn Edward Engelberg erinnert sich noch daran, wie seine Mutter das Bild von der Wand nahm, aus dem Rahmen löste, aufrollte und die Wohnung verlies. Bis heute kennt jeder in der Familie, die in den USA lebt, diese Geschichte: Dass die Engelbergs nur überleben konnten, weil Paula damals ein Gemälde verkaufte.

Zusammen mit dem Rechercheteam von „Follow the Money“ und den Medienpartnern Bayerischer Rundfunk, Deutschlandradio Kultur, ORF, SRF, Der Standard, SZ.de und Rheinische Post machte sich die Familie in diesem Jahr auf die Suche nach dem Gemälde, dessen Verkauf ihren Vorfahren einst das Leben rettete.

Die Jagd beginnt

Nur wo anfangen? Denn die Ereignisse um die Verhaftung von Jakob Engelberg liegen fast 80 Jahre zurück und viele Erinnerungen existieren nur noch sehr verschwommen. An wen hat Paula Engelberg das Gemälde, das ja eigentlich nichts wert war, verkauft? Wirklich an einen Generalkonsular aus der Schweiz? Hatte das Gemälde vielleicht doch einen Wert, den nur Paula kannte? Oder war es nur ein Abschiedsgeschenk an Freunde? Und welche Auswirkung hat die Erinnerung von Edward Engelberg, der glaubt, dass in der Wohnung seiner Familie zwei fast identische Frauenporträts hingen?

Mehrere Monate dauerte die Arbeit des Rechercheteams. Sie führte sie durch Deutschland, die Schweiz, Österreich, Tschechien und die USA. Auf der eigens eingerichteten Website wurden über Wochen und Monate die Ergebnisse der Suche veröffentlicht – immer in der Hoffnung, dass jemand mitliest, der vielleicht noch einen entscheidenden Hinweis geben kann.

Niemand wusste beim Beginn der Suche, ob dieses fehlende Stück in der Engelbergschen Familiengeschichte jemals gefunden werden kann. Jetzt ist die Suche zu Ende. Wie die sie ausging? Das zeigt noch bis zum 13. Dezember das Jüdische Museum in einer 45-minütigen TV-Dokumentation – besser als so mancher Krimi.

Follow the Money (gegründet 2013) ist ein journalistisches Recherche-Startup, das nach Antworten auf klare, instinktiv fesselnde Fragen zu Themenkomplexen sucht, die alle angehen.

Dabei wird der Weg zur Geschichte zur eigentlichen Story. Das Team setzt auf transmedial und seriell erzählten, technisch innovativen und vor allem offenen Journalismus: Die Reporter nehmen den Zuschauer, Hörer, User und Leser ernst. Sie nehmen ihn mit auf ihre Recherche, belehren ihn nicht von oben herab, sondern machen ihn zum Komplizen ihrer Arbeit. Dafür legen sie den Rechercheprozess offen und laden zum Mitmachen ein.

Der rote Faden durch die Recherche ist dabei die Spur des Geldes. So bricht das Format globale und nur scheinbar abstrakte Wertschöpfungsprozesse und Warenkreisläufe herunter, vom internationalen über den nationalen und regionalen bis hin zum lokalen Kontext.

Die #Kunstjagd entstand in Co-Produktion mit der Gebrüder Beetz Filmproduktion.