Netanjahus teuer erkaufter Wahlsieg
Benjamin Netanjahu hat die Wahl ausschließlich mit dem Thema Sicherheit gewonnen und dafür sogar einen Konflikt mit US-Präsident Barack Obama in Kauf genommen.
Nach der Wahl in Israel

Netanjahus teuer erkaufter Wahlsieg

Gastbeitrag Benjamin Netanjahu hat die Wahl ausschließlich mit dem Thema Sicherheit gewonnen und dafür sogar einen Konflikt mit US-Präsident Barack Obama in Kauf genommen.

Erschienen am: 28. März 2015 Artikel aus Rubrik: Europa-Ausland

Der Wahlsieg Benjamin Netanjahus dürfte in die Geschichtsbücher Israels als derjenige eingehen, der das außenpolitische Fundament des Staates in einem unnötig großen Ausmaße erschüttert hat. Um sich gegen seinen ­aussichtsreichen Kontrahenten Isaac Herzog durchzusetzen, griff der Likud-Spitzenkandidat tief in die nationalistische, rechte Rhetorikkiste. Er warf innerhalb der letzten Tage vor der Stimmabgabe die wesentliche Grundlage für die diplomatische Unterstützung Israels durch den Westen aus wahltaktischen Gründen über Bord: Die Zwei-Staaten-Lösung als der einzigen Lösung des jahrzehntelangen Kampfes zwischen Israelis und Palästinensern um das Land zwischen Mittelmeer und Jordanfluss.

Die ausgesprochen frostigen Reaktionen aller führenden westlichen Spitzenpolitiker auf Netanjahus Absage an die Gründung eines eigenständigen palästinensischen Staates – von US-Präsident Barack Obama über UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel – geben einen Vorgeschmack auf die langfristigen Folgen des außenpolitisch zu teuer erkauften Wahlsieges des Ministerpräsidenten. Die durchsichtigen Beteuerungen gegenüber amerikanischen Fernsehsendern, die Netanjahu anschließend zur offenkundigen Schadensbegrenzung abgab, vermochten Obama nicht zu überzeugen. In einer beispiellos drastischen Weise quittierte der US-Präsident das Abrücken des israelischen Regierungschefs von der Zwei-Staaten-Lösung mit den Worten: Die US-Regierung werde angesichts des Kurswechsels überprüfen, „welche anderen Optionen zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, dass es nicht zu einer chaotischen Situation in der Region kommt“, so Obama gegenüber dem amerikanischen online-Portal Huffington Post am vergangenen Wochenende. Die militärische und finanzielle Unterstützung der USA für Israel, die unter Obama weiter intensiviert und massiv aus­gebaut worden ist, nahm der US-Präsident ausdrücklich von der „Überprüfung“ der Optionen aus.

Beim Thema Iran gehen die nationalen Sicherheitsinteressen der USA und Israels weit aus­einander

Einen ersten Vorgeschmack auf die Perspektive eines Verlusts des diplomatischen Schutzschildes durch die US-Regierung erhielt Israels Ministerpräsident an diesem Montag: Erstmals verzichtete der amerikanische Delegierte beim UN-Menschenrechtsrat in Genf, einem Gremium, das sich nicht gerade durch politische Neutralität und Ausgewogenheit auszeichnet, auf eine Intervention zugunsten Israels. Stets hatte sich Jerusalem darauf verlassen können, dass Washingtons Diplomaten sich zu Wort meldeten – dort und auch in den anderen UN-Gremien.

Die amerikanisch-israelische Eis­zeit allein auf die persönlichen Verstimmungen zwischen Obama und Netanjahu reduzieren zu wollen, wie dies der einflussreiche Ex-Konkurrent des US-Präsidenten aus dem Wahljahr 2008, Senator John McCain in diesen Tagen erneut zu suggerieren versucht, führt in die Irre. Beim bilateralen Dauerkonflikt über das iranische Nuklearprogramm, den Netanjahu durch seinen Auftritt vor dem von den Republikanern dominierten US-Kongress unnötig verschärft hat, geht es um nichts weniger als um die unterschiedlichen strategischen Ausrichtungen Amerikas und Israels. Obama, der sich in der Außenpolitik als ein zunehmend wankelmütiger Präsident erwiesen hat, will mit dem Mullah-Regime in Teheran eine tragfähige dauerhafte Regelung über die ausschließlich friedliche Nutzung und Kontrolle der iranischen Nukleareinrichtungen herbeiführen. Und: Der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009 will unter Beweis stellen, dass sein hartnäckig verfolgter Ansatz Früchte tragen wird, auf diplomatischen Wege und unter Anwendung harter Wirtschaftssanktionen das iranische Nuklearprogramm über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren unter wirksamer internationaler Kontrolle zu halten. Für Benjamin Netanjahu, dies hat der Ministerpräsident am 3. März in seiner Ansprache vor den beiden Kammern des US-Kongresses überdeutlich gemacht, ist dies der direkte Weg zum Aufstieg der Islamischen Republik Iran zur Atommacht. Die nationalen Sicherheitsinteressen beider befreundeten Länder gehen beim Thema Iran weit aus­einander.

Netanjahu setzte ausschließlich auf das Thema Sicherheit

Wie in jedem seiner bisherigen Wahlkämpfe, von 1996, über 2009 und 2013, so konzentrierte Benjamin Netanjahu auch im März 2015 seine beträchtliche Überzeugungskraft darauf, die Bevölkerung Israels vor der Bedrohung durch die äußeren Feinde des Staates zu warnen: Hamas, Arafat, Hisbollah, Saddam Hussein, Iran. Mit Ausnahme des 2004 verstorbenen PLO-Vorsitzenden sowie des 2006 hingerichteten irakischen Diktators bilden jetzt nur noch der Iran und dessen strategische Ableger im Süden und Norden Israels die konstante Drohkulisse, vor deren Hintergrund sich der Ministerpräsident als der einzige Garant der Sicherheit Israels zu profilieren suchte. Nahezu 20 Jahren nach seinem überraschenden Wahlerfolg gegen Shimon Peres, der wenige Monate nach dem Mord Rabins durch den jüdischen Rechtsextremisten Amir den Friedensprozess hätte weiterführen können und als sicherer Sieger galt, setzte Netanjahu auch jetzt ausschließlich auf das Thema Sicherheit. Er ließ in den Werbespots seines Likud seine Konkurrenten als kleine, unerfahrene Kinder portraitieren, denen das Wohl und das Schicksal des jüdischen Volkes nicht anvertraut werden könnte. Erhellende Bemerkungen über die sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen des Landes, von Herzogs und Livnis Zionistischer Union immer wieder als klare Defizite der Amtsjahre Netanjahus gebrandmarkt, kamen vom Ministerpräsidenten nicht. Als eine Woche vor dem Wahldienstag ein regierungsamtlicher Sozialbericht das öffentliche Augenmerk auf die dramatischen Mietpreissteigerungen in den Ballungszentren lenkte, gab der Regierungschef auf seiner Facebook-Seite lakonisch zurück: Ja, es gehe bei den sozialen Fragen um das „Leben insgesamt“, um das er – Netanjahu – sich auch kümmere, „nämlich um das Leben des Staates angesichts der Bedrohung Israels durch den Iran zu sichern.“

Eindeutig minderheitsfeindlicher Aufruf

Unterstützt von einschlägigen Umfrageergebnissen, die eine Wechselstimmung prognostizierten – weg von dem bislang stets ausschlaggebenden Sicherheitsthema, hin zu den sozialen und gesellschaftlichen Fragen – hoffte das Anti-Netanjahu-Lager auf die Wende. Auch die erstmals angetretene gemeinsame Liste der arabischen Parteien – eine Reaktion auf die von Außenminister Liebermann initiierte Anhebung der Prozenthürde auf 3,25 Prozent – ließ die Erwartungen der säkularen, realpolitisch orientierten Bevölkerungsgruppen an einen Sieg in die Höhe schnellen. Als am Wahltag überproportional viele arabische Israelis ihre Stimme abgaben – traditionell lehnt eine Mehrheit der stimmberechtigten arabischen Minderheit ihre Partizipation an den Knesset-Wahlen aus Protest ab – vollzog Netanjahu eine zweite, folgenschwere Kehrtwende: In jedem anderen demokratischen Land wäre es nicht denkbar gewesen, dass ein Spitzenkandidat und Regierungschef am späten Nachmittag eines für ihn nicht gut verlaufenden Wahltages an seine Anhänger öffentlich appelliert, zu den Urnen zu gehen. Die Begründung Netanjahus hinterließ nicht allein bei den arabischen Israelis einen schalen Nachgeschmack. Auch in der Metropole Tel Aviv, in der die oppositionelle Zionistische Union doppelt so viele Stimmen erhielt wie Netanjahus Likud, wurde der Appell des Ministerpräsidenten, wonach die „Araber in Scharen“ zur Wahl gehen würden und damit der Opposition zum Sieg verhelfen, als das gewertet, was er auch war: Als ein eindeutig minderheitsfeindlicher Aufruf und zugleich eine Absage an die politischen Rechte der arabischen Israelis. Sibyllinisch kommentierte Obama: Die Äußerungen des Regierungschefs über arabische Wähler stünden im Gegensatz zum „Besten“, was der israelischen Tradition eigen sei. Sollte dieses Prinzip aufgegeben werden, werde das nicht nur denjenigen Auftrieb geben, so Obamas Warnung, die nicht an einen jüdischen Staat glaubten, sondern den Verfall der Demokratie in Israel einleiten.