Eben Flörsheim überflogen: Die neue Landebahn Nordwest des Flughafens Frankfurt am Main. Bild: Fraport AG/Stefan Rebscher.
Flughafen und Lärmschutz

Flughafen als kulanter großer Nachbar

2011 bescherte die Eröffnung ihrer Landebahn Nordwest der Frankfurter Fraport AG eine massive Protestbewegung. Im Rheingau-Städtchen Flörsheim hat der Flughafenbetreiber darum 245 besonders tief überflogene Wohnobjekte aufgekauft. Inzwischen ist halbwegs Frieden eingekehrt – und mancher lärmgeschädigte Flörsheimer wohnt nun als Mieter trotzdem weiter in seinen vier Wänden.

Das kennt man von allen großen Flughäfen: Wenn der Flugbetrieb sich verändert, wenn der Flughafen wächst oder eine neue Start- oder Landebahn in Betrieb genommen wird, reagieren lärmgeplagte Anwohner empfindlich.

Schwer betroffen: Flörsheim am Main

So erging es auch dem Betreiber des Frankfurter Rhein-Main-Flughafen, der Fraport AG, bei der Inbetriebnahme ihrer neuen Landebahn Nordwest am 20. Oktober 2011. Als erstes landete am Tag darauf zwar Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der neuen Bahn, um sie in einer Feierstunde einzuweihen. Für die Anwohner war das aber kein Trost. Denn plötzlich befand sich etwa das idyllische 20.000-Einwohner-Städtchen Flörsheim am Main – durchaus einen Abstecher wert: hier beginnt die Riesling-Region Rheingau – im Nordwesten des Flughafens genau in der neuen Einflugschneise.

Plötzlich befand sich das Rheingau-Städtchen Flörsheim genau in der Einflugschneise.

Der Eröffnungstermin traf mit einer vielwöchigen stabilen Hochdruck-Wetterlage zusammen, die dazu führte, dass der Rhein-Main-Flughafen ungewöhnlicherweise hauptsächlich von Westen her angeflogen wurde – über Raunheim und Flörsheim. Normalerweise kommen etwa 70 Prozent der Flüge von Osten herein und 30 Prozent von Westen. Ausgerechnet ab der Inbetriebnahme der neuen Landebahn Nordwest war es umgekehrt – und das wochenlang. „Es war wie verhext“, erinnert sich ein Fraport-Mitarbeiter. Für die Flörsheimer muss es gewesen sein, als ob ein Fluglärmschalter umgelegt worden sei.

Es war wie verhext: Auf Grund einer ungewöhnlichen, aber stabilen Wetterlage kamen ab dem Tag der Inbetriebnahme der neuen Landebahn plötzlich 70 Prozent aller Flüge von Westen herein, über Flörsheim – und das wochenlang.

Protest gegen die Landebahn-Pläne gab es in der ganzen Region schon seit 2008. Aber jetzt ging es richtig los. 100.000 Personen zusätzlich seien vom Fluglärm betroffen, hieß es in der Presse. Schnell formierte sich eine massive Protestbewegung aus 70 Bürgerinitiativen mit 150.000 Personen. Dem hessischen Landtag wurde eine Petition mit 40.000 Unterschriften übergeben, beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel gingen hunderte Klagen ein. Häuserfronten an der Bundesstraße B 8 waren mit Protestplakaten zugekleistert.

Nachtflugverbot

Neun Tage vor der Inbetriebnahme der neuen Landebahn hatte das Kasseler Gericht ein Nachtflugverbot zwischen 23 Uhr und 5 Uhr verhängt. Der Flughafenbetreiber hat sich dem Urteil absolut willig gebeugt und sich sogar mit der Lufthansa gestritten, die dagegen protestieren wollte. Heute beschreibt die Fraport das Nachtflugverbot als „großes aktives Schallschutzprogramm“. Aber gegen den Protest hat das zunächst nicht viel geholfen.

Casa-Programm der Fraport AG: Ankauf oder Entschädigung

Um die Stimmung zu beruhigen, reagierte die Fraport AG schließlich auf völlig freiwilliger Basis mit einem europaweit einzigartigen Programm: In einer genau beschriebenen Zone in Flörsheim, die mit unter 350 Metern besonders niedrig überflogen wurde, bot der Flughafenbetreiber betroffenen  Immobilienbesitzern an, ihre Wohnobjekte durch die Fraport Casa GmbH aufzukaufen. Wohneigentümer, die vor Abschluss des Raumordungsverfahrens zum Bau der Landebahn am 10. Juni 2002 ein Objekt erworben oder eine Baugenehmigung beantragt hatten, sollten Vertrauensschutz genießen. Das Angebot wurde schließlich auf etwa 1000 Wohneinheiten in einer 420 Meter breiten Schneise ausgedehnt.

Wohneigentümern, deren Immobilien mit unter 350 Metern besonders tief überflogen wurden, bot Fraport den Ankauf ihrer Wohnobjekte oder eine Ausgleichszahlung an.

Der Ankaufpreis und Verkehrswert der betroffenen Immobilien wurde von unabhängigen Experten des TÜV Süd bestimmt und entsprechend der Gegebenheiten von vor der Flughafenerweiterung festgelegt. Von der Fraport AG früher finanzierte Schallschutzmaßnahmen wurden nicht berechnet.  Bestehende Mietverhältnisse wurden durch die Fraport Casa GmbH übernommen. Antragsberechtigte Flörsheimer, die ihre Immobilie nicht verkaufen wollten, konnten stattdessen eine Ausgleichszahlung – Entschädigung – beantragen, die sich nach der Wohnfläche richtete.

Bis Oktober 2014 hat der Flughafenbetreiber in Flörsheim 245 Wohnobjekte übernommen, 118 weitere Anträge waren zu diesem Zeitpunkt noch in Bearbeitung.

Ende Oktober 2014 ist die Antragsfrist ausgelaufen und die Fraport AG wartete mit einer positiven vorläufigen Bilanz ihres Casa-Programms auf, das sie sich immerhin über 100 Millionen Euro hat kosten lassen: 245 Wohnobjekte in Flörsheim hat der Flughafenbetreiber gekauft, für 125 wurden Ausgleichszahlungen geleistet. Weitere 156 Anträge auf Ausgleichszahlung und 118 Anträge auf Ankauf waren Anfang November 2014 noch in Bearbeitung. Soweit man das aus der Flörsheimer Nachbarschaft beurteilen kann: Die Stimmung im Ort hat sich einigermaßen beruhigt.

Plötzlich schliefen manche Flörsheimer wieder besser

Interessantes Detail: Es gab eine Anzahl von betroffenen Flörsheimern, die zwar ihre Immobilie an die Fraport AG verkauft haben, aber dann doch darin wohnen bleiben wollten. Plötzlich schien sie der Fluglärm, gegen den sie zuvor protestiert hatten, nicht mehr zu stören, glossierte damals manche Regionalpresse und hatte sogar Verständnis für das paradoxe Phänomen: Ein Haus oder eine Wohnung ist für viele Eigner das zentrale Stück Altersvorsorge. Wenn die an Wert verliert, schläft man schlecht, ganz unabhängig vom Fluglärm. Die Fraport AG hat diesen Immobilienbesitzern ihre Sorge sozusagen abgekauft, sogar zum alten Verkehrswert. Und plötzlich schliefen manche Flörsheimer wieder besser. So, wie gesagt, die psychologischen Spekulationen mancher Regionalzeitung.

Der Verkauf ist für die Betroffenen keine leichte Entscheidung gewesen.

Der Flughafenbetreiber hat sich an solchen Spekulationen nie beteiligt: „Ja, es gab eine Anzahl von Wohneigentümern, die nach dem Verkauf als Mieter in der Immobilie zurück geblieben sind.“ Aber aus vielen unterschiedlichen, persönlichen Gründen: Kinder, die ihren Schulbesuch in Flörsheim fortsetzen wollten, eine pflegebedürftige Großmutter oder ähnliches. „Der Verkauf ist für die Betroffenen keine leichte Entscheidung gewesen.“

Mit der Devise „Gute Nachbarschaft als Programm” hat die Fraport AG 2012 für ihr Casa-Programm geworben. Im Rheingau-Städtchen Flörsheim hat sie sich jedenfalls als kulanter großer Nachbar gezeigt.

Vielleicht wäre das auch für den Münchner Flughafen mit seiner geplanten dritten Startbahn eine Lösung.

Der Vergleich

Zum Vergleich: Der Frankfurter Flughafen, der größte in Deutschland, hat mit zwei Start- und Landebahnen sowie einer reinen Start- und einer reinen Landebahn im Juli 2015 mit 6,2 Millionen Fluggästen den passagierstärksten Monat seiner Geschichte hingelegt. Das waren 130.000 mehr als im bisherigen Spitzenmonat, dem August 2014, wie der Flughafenbetreiber Fraport mitteilte. Am 31. Juli 2015 wurde zudem mit 216.732 Fluggästen ein Tagesrekord aufgestellt. Auch die Zahl der Starts und Landungen war mit 43.710 so hoch wie noch nie in einem Monat. Der Münchner Flughafen hat im Juli mit nur zwei Start- und Landebahnen 3,94 Millionen Fluggäste abgefertigt, also fast zwei Drittel der Frankfurter Zahlen. Die Zahl der Starts und Landungen lag bei 34.453, also etwa 78 Prozent des Frankfurter Volumens. Es liegt daher nahe, dass die Auslastung der Bahnen in München größer ist als in Frankfurt.